Früher, als in Amerika die Kommunisten die Feinde waren und nicht die Terroristen, da stand Albert Einstein, der schlecht frisierte Entdecker der Relativitätstheorie, wegen seiner linken Gesinnung jahrzehntelang im Visier der US-Bundespolizei FBI, dokumentiert der amerikanische Wissenschaftsjournalist Fred Jerome an Hand von mehr als 1.800 ehemals geheimen FBI-Dossiers. Mit Informanten, mit Post- und Telefonüberwachung und mit Hausmülldurchsuchungen, habe FBI-Direktor J. Edgar Hoover versucht, den Querdenker aus Ulm als "Spion" zu entlarven und deportieren zu lassen. Freilich ohne Erfolg. Jeromes Buch The Einstein File (*) kam Ende Mai in den USA auf den Markt.
Hoover wurde vermutlich 1932 auf den 1933 in die USA ausgewanderten Einstein aufmerksam, wohl wegen eines Traktats der konservativen Woman Patriot Corporation. Einstein gehöre "mehr anarcho-kommunistischen Gruppen an als Stalin" und dürfe kein US-Visum erhalten, forderten die Patriotinnen. Einstein bekam sein Einreisevisum (und wurde sogar US-Bürger), aber die Schrift legte den Grundstein zu seinen FBI-Akten. Das FBI habe sich lange bemüht, diese Ermittlungen geheim zu halten, schreibt Jerome. Der Nobelpreisträger sei in den USA in den dreißiger Jahren wie ein Hollywood-Star verehrt worden. Einstein hatte seinen Freund Charlie Chaplin einmal gefragt, warum der gefeiert werde. "Mich umjubeln die Leute, weil jeder versteht, was ich mache", meinte Chaplin, "dich umjubeln sie, weil keiner kapiert, was du machst". Das muss Hoover (CIA-Chef von 1924 bis zum seinem Tod 1972) auf die Nerven gegangen sein, war Einstein doch in "subversiven Organisationen" aktiv: der Liga gegen Krieg und Faschismus, der War Resisters League, den Freunden der Abraham-Lincoln-Brigade (Amerikaner auf republikanischer Seite in Spanien)
1940 konnte Hoover seine "Informationen" über Einstein zum Einsatz bringen. Die US-Army suchte Wissenschaftler für das Manhattan Projekt zur Entwicklung der Atombombe. Hoover schlug Alarm: Einstein sei nicht geeignet, hieß es in dem "biografischen Überblick", den Hoover an den militärischen Geheimdienst schickte. Einsteins Wohnung in Berlin sei ein "kommunistisches Zentrum" gewesen. Einstein durfte nicht mitforschen, obwohl er es doch gewesen war, der 1939 in seinem berühmten Schreiben an US-Präsident Franklin D. Roosevelt für die Erforschung des Atoms eingetreten war, aus dem möglicherweise eine "extrem mächtige Waffe" entwickelt werden könne.
1933 nach Hitlers Machtantritt hatte sich Einstein schweren Herzens vom Pazifismus distanziert. Pazifismus allein könne den Faschismus nicht stoppen. Das war Hoover nicht patriotisch genug, obwohl Einstein auch die Sowjetunion kritisierte. Gegenüber Nationalsozialisten freilich hatte Hoover keine Berührungsängste, 1937 - so Jerome - lud Hoover Heinrich Himmler zur Weltpolizeikonferenz ein, und 1939 habe Hoover sein Porträtfoto für die deutsche Kriminalpolizei autografiert.
Nach dem Ende des Krieges musste sich das FBI etwas weniger Sorgen über Kritik an den Ermittlungen gegen Einstein machen. Die Angst vor den Roten ging um (manche Schulen verbannten sogar das Buch Robin Hood als kommunistische Propaganda), und das Un-American Activities Committee wie Senator McCarthy zitierten wirkliche und vermeintliche Kommunisten vor die berüchtigten Ausschüsse. Einstein, der zur Aussageverweigerung aufforderte, wurde nun auch in führenden Zeitungen als "Mitläufer" attackiert. Hoover störte sich an Einsteins Einsatz im "Kreuzzug gegen die Lynchjustiz" Mitte der vierziger Jahre (das FBI warnte, die Kampagne sei ein "kommunistischer Versuch" zur Rassenagitation) und an seiner Mobilisierung von Wissenschaftlern gegen die atomare Aufrüstung. Hoovers "Informationen" über Einstein waren durchsetzt von Fehlern: So spekulierte der FBI-Direktor über Einsteins Kooperation mit dem "Atomspion" Klaus Fuchs, vielleicht, weil Einsteins Sohn Albert ihn gekannt habe.
Die These brach schnell zusammen, berichtet Jerome. Einstein hatte überhaupt keinen Sohn namens Albert. In den FBI-Akten finden sich auch Berichte des militärischen Geheimdienstes G-2, wonach ein gutes Dutzend Angestellte von 1929 bis 1932 in Einsteins "Büro" in Berlin verschlüsselte Nachrichten für ein sowjetisches Spionagenetzwerk weiterleiteten. Dieser Vorwurf ließ sich trotz wochenlanger Nachforschungen im bombenzerstörten Berlin nicht erhärten. Einstein hatte nämlich gar kein Büro, erst recht keine Dutzend Angestellte. Kurz vor Einsteins Tod am 18. April 1955 schrieben mit der Sache befasste FBI-Beamte endlich: "Man muss annehmen, dass es keine Notwendigkeit für weitere Ermittlungen gibt."
Dass Einstein ein "Linker" und Anti-Militarist war (aber eben kein Spion), konnte man auch ohne Spitzel "ermitteln". Man musste nur seine Schriften lesen. 1949 verfasste er einen Aufsatz für das sozialistische Magazin Monthly Review (New York) gegen "die wirtschaftliche Anarchie der kapitalistischen Gesellschaft" und für den Aufbau einer "sozialistischen Wirtschaft", in der man sich freilich vor der "Macht der Bürokratie" hüten müsse.
"Im Zentrum des McCarthyismus", schreibt Jerome, "standen nicht die Fehler des FBI, sondern Maßnahmen gegen Leute mit wirklich linken Vorstellungen". Hoover habe gute Gründe besessen, Einstein zu verfolgen: "Einsteins unabhängige und linkslastige Ansichten und seine Popularität machten ihn zu einer Bedrohung für die, die Amerika zu einer Nation der politischen Schafe machen wollten".
Fred Jerome musste sich den Zugang zu vielen Dokumenten 2000 und 2001 auf dem Gerichtsweg erkämpfen. Schon Jahre zuvor hatte das FBI bereits mehr als 1.000 teils geschwärzte Seiten aus den Einstein-Akten auf die FBI-Website gestellt (http://www.foia. fbi.gov/einstein.htm). Gegen den berühmten Physiker sei wegen dessen "Verbindungen zur Kommunistischen Partei" ermittelt worden, begründet das FBI noch heute im Internet. Einstein sei zwischen 1937 und 1954 "Mitglied, Sponsor oder Anhänger von 34 kommunistischen Frontorganisationen" gewesen. Die Herausgabe weiterer Dokumente oder die Deklassifizierung der geschwärzten Papiere hatte das FBI jedoch verweigert, angeblich um die Informanten zu schützen. Auf Grund der Klage Jeromes musste jedoch eingeräumt werden, dass es eine zeitliche Obergrenze für deren Schutz gebe.
"Wir müssen dem FBI fast dankbar sein" für die Akten, fasste Jerome zusammen. Sie gäben trotz zahlreicher Fehler und Fehleinschätzungen Auskunft über den "vergessenen" Einstein. In den US-Medien werde der in der Regel nur als "genialer und vergesslicher Professor" porträtiert. Selbst als Time Einstein zur bedeutendsten Person des 20. Jahrhunderts kürte, verlor das Wochenmagazin kaum ein Wort über den radikalen Einstein. Und der war nicht allein. Auf der FBI-Website kann man Dokumente über andere prominente "Verdachtspersonen" einsehen: Hunderte Seiten über Bertolt Brecht, über die Sängerin Josephine Baker, den Maler Pablo Picasso, die Schauspielerin Lucille Ball und die Schriftsteller Thomas Mann und John Steinbeck. Hoovers FBI soll Akten über fast zehn Millionen Amerikaner angelegt haben.
(*) erschienen bei St. Martin´s Press, New York.
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