Nicht nur die Lebensschützer jubeln

USA Am Obersten Gericht hat sich mit Samuel Alito der Prototyp des modernen Konservativen etabliert

Schon seit gut einem Jahrzehnt dominieren die Rechten Exekutive und Kongress. Jetzt geht ihr letzter großer Traum in Erfüllung: Eine Mehrheit in der Judikative. Im Supreme Court, der höchsten Rechtsinstanz der Vereinigten Staaten, geben nun konservative Juristen den Ton an. Das hat tiefgreifende Auswirkungen auf rechtsstaatliche Versuche, Bushs Machtanmaßungen zu Kriegeszeiten zu checken - das wird die Umwelt- und Arbeitsschutzgesetze ebenso beeinflussen wie das Wahlrecht, die Debatte über homosexuelle Lebensbündnisse, die Kontroverse über eine Trennung von Kirche und Staat oder den künftigen Umgang mit dem Urteil des Obersten Gerichts von 1973 zum legalen Schwangerschaftsabbruch.

Der rechte Siegeszug erreicht mit dem Einzug des Juristen Samuel Alito in den Supreme Court ein entscheidendes Stadium, da etabliert sich ein gestandener neuzeitlicher Konservativer mit "extremen Ansichten", wie weit die Macht des Präsidenten "zu Kriegszeiten" reicht, schreibt die New York Times. Im Justizministerium während der Reagan-Ära, später als Berufungsrichter hat Alito serienweise Urteile gefällt und Papiere geschrieben, die ein Grundschema erkennen ließen: Beim Rechtsstreit zwischen der Regierung und den Bürgern - etwa einem Staatsanwalt und einem Angeklagten - haben die Interessen des Staates Priorität. So urteilte Alito 2004, Polizisten hätten verfassungskonform gehandelt, als sie an einem zehnjährigen Mädchen ohne richterlichen Beschluss eine Leibesvisitation vornahmen (gegen den Vater lag lediglich ein Hausdurchsuchungsbefehl vor). Geht es hingegen um Gesetze, mit denen der Staat Unternehmen in die Schranken weist, mit Umweltgesetzen etwa, tendiert Alito zur Parteinahme für die Privatwirtschaft.

Besonders die Abtreibungsgegner jubeln über seine Nominierung: "Die Lebensschützer standen noch nie so gut da wie jetzt", erklärt der konservative Frauenverband Concerned Women for America. Das vom Obersten US-Gericht 1973 im so genannten Roe-versus-Wade-Urteil erklärte Prinzip, das Recht auf Abtreibung sei im Rahmen des Grundrechts auf persönliche Freiheit und Schutz der Privatsphäre garantiert, wackelt bedenklich. Mitte der achtziger Jahre hatte Alito mitgeteilt, er halte dieses Urteil für falsch. Und bei den Senatsanhörungen im Januar ließ er durchblicken, das Oberste Gericht könne die Abtreibungsfrage durchaus neu aufgreifen.

Im Obersten Gericht tritt Alito die Nachfolge der zurückgetretenen moderat konservativen Sandra Day O´Connor an. Die 1981 noch von Präsident Reagan ernannte Richterin hatte zuletzt bei den vielen mit fünf zu vier ergangenen Urteilen oft "Zünglein an der Waage" gespielt - auf Seiten des moderaten Flügels, sie war für das Recht auf Abtreibung, skeptisch bezüglich der Todesstrafe und hartnäckig in der Auffassung, dass auch zu Kriegszeiten die Macht des Präsidenten ihre Grenzen haben müsse. Diese Mehrheiten dürften nun kippen. Nur vier der neun Richter gelten noch als liberal.

In den vergangenen Jahrzehnten waren die Gerichte, auch das Oberste Gericht, oftmals eher progressive Faktoren im Leben der USA - wenn auch gelegentlich mit Einschränkungen und nach Ansicht der "Linken" zu vorsichtig. Die dort ansässigen Juristen verteidigten Bürgerrechte, Umweltnormen, die Rechte der Angeklagten, das Wahlrecht, die Gleichberechtigung von Mann und Frau, die Pressefreiheit. Der konservativen Bewegung, vorzugsweie den christlichen Fundamentalisten, waren und sind die Richter ein Dorn im Auge. Die Gerichte würden ständig "neue Rechte" schaffen, die nicht mit der Verfassung vereinbar seien, heißt es. Man müsse nur an das Abtreibungsurteil denken. In harter und weitsichtiger Kleinarbeit haben die Konservativen deshalb so etwas wie eine Graswurzelbewegung gegen Abtreibung und "aktivistische Richter" aufgebaut.

Es blieb aber nicht bei den Graswurzeln: Auch Wirtschaftskreise erkannten, dass sie bei der Richterfrage ähnliche Interessen haben wie die sozial Konservativen. Gemeinsamkeiten mit dieser Klientel fand gleichfalls der sicherheitsstaatlich orientierte Flügel der Republikanischen Partei, der schon lange mit traditionellen Republikanern auf Kriegsfuß steht, die auch im Sicherheitsbereich so wenig Staat zulassen wollen wie möglich und wenig im Sinn haben mit George Bushs expansionistischer Politik nach außen und innen. Samuel Alito gilt als Prototyp des modernen Konservativen, der das Denken der christlichen Rechten, der wirtschaftlichen Eliten und der amerikanischen Bellizisten auf sich vereinigt. Richter am Obersten Gerichtshof werden auf Lebenszeit ernannt - Alito ist 55 Jahre alt.


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