Noch keine Gerechtigkeit

Urteil Der Ex-Polizist Derek Chauvin wurde im George-Floyd-Prozess in allen Anklagepunkten schuldig gesprochen. Gerechtigkeit verlangt aber mehr als dieses Ausnahmeurteil
Ausgabe 16/2021
Feiernde Menschen in Minneapolis nach der Urteilsverkündung im George-Floyd-Prozess
Feiernde Menschen in Minneapolis nach der Urteilsverkündung im George-Floyd-Prozess

Foto: Scott Olson/Getty Images

Der Ex-Polizist wird in Handschellen aus dem Gerichtssaal geführt, viele in Minneapolis jubeln unter Tränen. Der Schuldspruch gegen Derek Chauvin sorgt für riesige Erleichterung. Endlich. Endlich ist ein weißer Polizist des Totschlags an einem schwarzen Menschen schuldig gesprochen worden. Gerechtigkeit verlangt aber mehr als dieses Ausnahmeurteil.

In allen Anklagepunkten schuldig, so befanden die Geschworenen nach nur zehn Stunden Beratung. Offenbar hatten sie, wie es die Anklage forderte, ihren eigenen Augen vertraut: Chauvin hat George Floyd am 25. Mai 2020 bei einer brutalen Festnahme umgebracht, indem er sein Knie mehr als neun Minuten auf den Nacken von Floyd drückte, selbst noch, als dieser nicht mehr atmete. Die Mauer polizeilicher Solidarität stürzte ein beim Prozess, um die Institution zu retten. Chauvin habe gegen Vorschriften verstoßen, so seine früheren Vorgesetzten. Im Prozess gehe es nicht gegen die Polizei, betonte die Anklage. Doch Chauvin ist alles andere als die totale Ausnahme. Wie die New York Times zusammenzählte, sind seit Prozessbeginn landesweit mindestens 64 Amerikaner von Polizisten getötet worden, mehr als die Hälfte davon Schwarze und Latinos.

Und doch gibt es die einen Spalt weit geöffnete Tür: Der Prozess kam zustande unter dem Druck von Millionen Menschen, überwiegend jung, angeführt von Afroamerikanern, die nach dem von einer 17-jährigen Schülerin aufgezeichneten Video der Tat auf die Straße gegangen sind. Die Empörten haben eine der größten Bürgerbewegungen der US-Geschichte entzündet. Joe Biden hat die Stärke der Bewegung erkannt und bereits im Wahlkampf viel über Gerechtigkeit gesprochen. Die USA dürften „diesen Moment nicht vorübergehen lassen“ und müssten für Gerechtigkeit eintreten, sagte er bei der Trauerfeier für Floyd. Wie dieses Verlangen nach Gerechtigkeit mit Inhalten gefüllt wird, muss sich erst noch zeigen.

Vielerorts wird über eine Polizeireform diskutiert, weniger Bewaffnung gefordert, mehr Bürgeraufsicht, ein anderes Konzept von Sicherheit – bisher ohne allzu großen Fortschritt, auch in von Demokraten regierten Kommunen. Doch nun definiert vielleicht das Urteil in Minneapolis, dass etwas anderes vorstellbar ist.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden