Obama betet für Petraeus

USA Generals-Affäre und Fiskal-Klippe – die Nation ist schockiert und vom hoch kochenden Haushaltsstreit zwischen dem Weißen Haus und den Republikanern ein wenig abgelenkt

Schon bald wird sich zeigen, ob US-Präsident Barack Obama in seiner zweiten Amtsperiode anders sein wird als in der ersten. Wegen der sogenannten Fiskal-Klippe könnte Washington in den nächsten Wochen wegweisende Entscheidungen treffen über Steuer- und Haushaltspolitik und über das soziale Netz. In seinen ersten vier Jahren hat der Präsident eher enttäuscht bei derartigen Angelegenheiten: Zu sehr war Obama auf Kompromisse aus. Und die Republikaner schienen machtpolitisch gesehen oft einen Schritt voraus.

Aber jetzt gibt es erst einmal – die Nachrichten-Unterhaltungs-Sender sind dankbar – eine massive Ablenkung vom trockenen Wirtschaftsthema mit den vielen Zahlen, die man verstehen müsste: CIA-Direktor David Petraeus, vermeintlicher Kriegsheld im Irak und in Afghanistan, Chef der Drohnen und ein General, dem Chancen eingeräumt wurden auf das Präsidentenamt, ist angeblich von einer ganz persönlichen Klippe gestürzt: eine außereheliche Affäre! Das „schockiert“ die Nation mehr als ein Drohnenangriff auf Zivilisten.

Seit Tagen werden Details bekannt über die gemeinsamen Dauerläufe des sportlichen 60-Jährigen und seiner Biografin, Oberstleutnant a.D. Paula Broadwell. Deren Buch All In: The Education of General David Petraeus lässt offenbar nur die Frage zu, ob Petraeus ein toller oder ein unglaublich toller General ist. Ein vorsichtiger Journalist, der sonst lieber auf billige Witze verzichtet, ringt da mit der Versuchung, auf die Presseerklärung des Verlages Penguin Books hinzuweisen, Broadwell sei bei der Recherche in Afghanistan embedded gewesen mit dem General.

Konzentration auf die Fiskal-Klippe

Präsident Obama hat Petraeus‘ Rücktrittsgesuch akzeptiert. Der General und Frau Petraeus seien in seinen „Gedanken und Gebeten“. Sonst hält sich das Weiße Haus bedeckt, auch bezüglich mancher Mutmaßungen, es sei etwas faul an der Geschichte. Wegen seines Rücktritts wird der CIA-Direktor vermutlich nicht vor dem Kongress aussagen müssen über den tödlichen und angeblich nicht vorhersehbaren Anschlag vom 11. September auf das US-Konsulat im libyschen Bengasi.

Obama konzentriert sich betont auf die Fiskal-Klippe und geht an die Öffentlichkeit: Ohne erhöhte Steuern für die Reichsten sei dem Haushaltsdefizit nicht beizukommen. Das habe er im Wahlkampf gesagt, und dafür hätten sich die Wähler entschieden. Die Fiskal-Klippe ist kein wirtschaftliches Problem, sondern ein politisches. Im Sommer 2011 konnten sich Demokraten und Republikaner bei der Debatte um die Schuldenobergrenze nicht auf Maßnahmen zum Abbau der US-Staatsschulden einigen. Es ging um einzusparende 1,2 Billionen Dollar bis 2021. Ein zwölfköpfiges Superkomitee beider Parteien vertagte die Entscheidung. Nun gilt: Wird bis Ende 2012 keine Einigkeit erzielt, treten automatisch Haushaltskürzungen ein, bei Sozialausgaben, bei der Infrastruktur und selbst im Verteidigungsministerium. Steuererleichterungen laufen aus. Betroffen wären besonders Höchstverdiener, aber auch Arbeiter und Angestellte, die ebenfalls von der 2009 beschlossenen zweiprozentigen Lohnsteuersenkung profitierten.

Ungewisse Zukunft der Sozialsysteme

Mit dem geradezu apokalyptischen Warnruf vor einer „Klippe“ dringen die Republikaner wie auch der Wall Street nahestehende Demokraten auf eine neue Austerität. Die Rede ist sogar von „Modifizierungen“ der staatlichen Altersversicherung Social Security – obwohl die Renten aus einer vom Haushalt separaten „Kasse“ bezahlt werden und dieses Budget noch mindestens zwei Jahrzehnte lang einen Überschuss verzeichnen wird. Die Banker lechzen nach Schwächung von Social Security: Bürger sollen zum privaten Investment getrieben werden.

„Wir müssen aufpassen, dass wir nicht im November gewinnen und im Dezember verlieren“, warnt Van Jones vom progressiven Rebuild the Dream. Obama habe die Präsidentenwahl mithilfe progressiver Verbände gewonnen; allein der Bürgerrechtsverein NAACP habe eine Million Neuwähler an die Urnen geschickt. In der ersten Amtsperiode hätten Progressive viel zu wenig Druck gemacht auf den Mann im Weißen Haus. Mobilisiert hätten stattdessen die Konservativen. Jetzt ein Deal ohne Verteilung der Lasten auf die Reichsten, das sei schlechter als gar kein Deal und ein Sprung über die Klippe, sagt Jones. Die Haushaltsdefizite des Staates seien eskaliert wegen der Steuererleichterungen für die Reichen und der kreditfinanzierten Kriege – und nicht wegen der Beihilfen für Oma und Opa.

Trotz Obamas Sieg ist keineswegs klar, wie die Karten verteilt sind. Rhetorisch hat sich der Präsident eher auf Seiten seiner Anhänger gestellt, obwohl manche Aussagen Besorgnis erregen – etwa, man müsse an der Social Security tüfteln. („tweak“). Vor der Wahl sprach Obama in einer Debatte mit Mitt Romney von einem grand bargain (großen Handel), bei dem möglicherweise auch Social Security und Medicare, die Krankenversicherung für Senioren, nicht verschont würden.

Konrad Ege lebt in Washington. Zuletzt kommentierte er die US-Präsidentschaftswahl

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