Ramadan im Weißen Haus

USA Erosion der Bürgerrechte und Debatten über das Recht zur Folterung mutmaßlicher Terroristen

Nicht nur in Afghanistan, auch an der amerikanischen Heimatfront wird gegen den "internationalen Terrorismus" gekämpft. Bürgerinnen und Bürger sollen "wachsam" sein, Ungewöhnliches melden und Ja sagen zu Gesetzesvorlagen, die sich über grundlegende Bürgerrechte hinwegsetzen. Schon Timothy McVeighs Anschlag in Oklahoma City 1995 hatte zu einer Verschärfung des Strafrechts geführt.

Selbst wenn letztendlich die alte Weisheit zutreffen sollte, dass nichts ganz so heiß gegessen wie gekocht wird, machen sich Bürgerrechtler Sorgen: Mit genau der Überheblichkeit, mit der George W. Bush nach seinem bestenfalls hauchdünnen Wahlsieg radikal unternehmer- und millionärsfreundliche Wirtschaftsgesetze vorstellte, will der amerikanische Staatschef jetzt im Namen des Kampfes gegen den Terrorismus "diktatorische Machtbefugnisse an sich reißen". Dieses Zitat stammt nicht von einem nörgelnden Anwalt, sondern von William Safire, New York Times-Kolumnist, konservativer Halbgott und seinerzeit Redenschreiber für den republikanischen Präsidenten Richard Nixon. Verpackt werden diese Initiativen in blau-weiß-rotem Geschenkpapier und im sogenannten "USA Patriotismus Gesetz".

Am meisten Aufsehen hat Bushs "presidential order" erregt, mutmaßliche ausländische Terroristen vor Militärtribunale statt vor reguläre Gerichte zu stellen. Man will vermeiden, was in Lockerbie passiert ist, wo einer der angeblichen libyschen Bombenleger (PanAm Flug 103 mit 270 Toten) freigesprochen wurde, oder was kürzlich in New York geschah: Die für den ersten Bombenanschlag auf das World Trade Center (1993, sieben Tote, tausend Verwundete) Verantwortlichen wurden zu Haftstrafen und nicht zum Tode verurteilt. Wenn Terroristen "Massenmord" gegen Amerikaner planten, sei das kein Fall für die regulären Gerichte, sondern für Militärgerichtshöfe, begründete Vizepräsident Richard Cheney - schließlich habe die Regierung dem Terrorismus den Krieg erklärt.

Den einheimischen Anti-Terrorismus-Krieg bekommen vor allem Ausländer zu spüren, sprich Männer arabischer Abstammung. Mehr als eintausend Personen - anscheinend überwiegend arabischer Abstammung - sind seit dem 11. September als vermeintliche Mittäter, Mitwisser oder potenzielle Zeugen inhaftiert worden. In den meisten Fällen hat die Regierung die Festnahmen und die Identitäten der Inhaftierten nicht bekannt gemacht. Die Betroffenen sind verschwunden, oft lange ohne Zugang zu einem Anwalt. Justizminister John Ashcroft hat kurzerhand entsprechende Richtlinien umgeschrieben. Unter den alten durften Ausländer lediglich 48 Stunden vor Anklageerhebung festgehalten werden - jetzt so lange, wie die Justizbehörden wollen. Ashcroft erließ auch Vorschriften, wonach Gespräche zwischen den wegen Verdachts auf terroristische Tätigkeit Inhaftierten und ihren Verteidigern abgehört werden dürfen.

Das "Patriotismusgesetz" sieht eine deutliche Erweiterung der Befugnisse des FBI vor. Ein im Geheimen tagendes Gericht soll im Namen der Terrorismusbekämpfung Lauschangriffe, Hausdurchsuchungen und E-mail-Kontrollen autorisieren dürfen. Bislang sind Telefonabhörungen bei Ermittlungen nur mit richterlicher Genehmigung zulässig, und wenn der dringende Verdacht besteht, dass ein Verbrechen verübt worden ist. Das seit 1978 bestehende Geheimgericht macht nur bei Spionagefällen eine Ausnahme. Angeblich hat das Gericht bei Spionageermittlungen noch keinen einzigen Antrag des FBI abgelehnt: Das lässt Schlimmes ahnen für dessen Vorgehensweise beim Kampf gegen den Terrorismus.

Nach Umfragen stimmen die meisten Amerikaner den verschärften Gesetzen zu, vor allem, so lange sie besonders gegen Ausländer gerichtet sind. "Die Öffentlichkeit verlangt eine harte Linie gegen Kriminelle ... und erst recht gegen Ausländer, die des Terrorismus verdächtigt werden", sagte der Meinungsforscher Andrew Kohut in der New York Times. Bei einer CNN-Umfrage erklärten 45 Prozent, sie hätten nichts gegen Folter, um Informationen über Terrorismus zu gewinnen. Nach einem Bericht des unabhängigen Zentrums für Verfassungsstudien (New York) wird selbst im Justizministerium über den Einsatz von Drogen und Druckausübung bei Verhören nach "israelischem Muster" diskutiert.

Im Kongress sind Bushs Vorlagen kontrovers aufgenommen worden, obwohl man angesichts der "neuen Situation" zu Debatten über eine verschärfte Sicherheitspolitik bereit ist. Abgeordnete und Senatoren protestieren, dass das Weiße Haus die "Reformen" ohne Diskussion und Rücksprache mit dem Kongress durchsetzen will und zum Teil schon durchgesetzt hat. Links von diesem Spektrum wird vermutet, dass die Geheimdienste Reformen verlangen, um ihr totales Versagen im Nachhinein mit Hinweisen auf unzureichende Befugnisse zu begründen - man hätte die Anschläge verhindern können, wenn es nur nicht die restriktiven Gesetze gegeben hätte.

Und rechts? Rückblick auf die rechten Milizen in den Clinton-Jahren, die vor einem Polizeistaat und schwarzen Hubschraubern warnten: Der Republikaner Bush macht jetzt die schlimmsten Alpträume von damals wahr. Die Gesetzesänderungen und der gesamte "Krieg" gründen sich auf das Konzept "Terrorismus". Zu Zeiten des Kalten Krieges waren das FBI und andere Sicherheitskräfte schnell mit der Schlussfolgerung zur Hand, Regierungsgegner stünden im Dienste des "Roten Feindes". Jetzt gelten Dissidenten schnell als "Terr-Symps". So hat das FBI Mitglieder der feministischen Anti-Kriegsorganisation Women in Black unter Druck gesetzt: Sie sollten über ihre Gruppe Auskunft geben oder sie riskierten die Verhaftung. In Columbus (US-Bundesstaat Georgia) wollte der Bürgermeister vergangenes Wochenende die alljährliche Kundgebung gegen die dortige School of the Americas verbieten lassen. Die Gegner des Ausbildungszentrums für lateinamerikanische Militärs mussten ihr Recht zur politischen Meinungsäußerung auf dem Gerichtsweg durchsetzen.

Schwierigkeiten machen die Justizreformen dem US-Präsidenten auch im Ausland. Vor allem die Militärtribunale. Denn im Fall mutmaßlicher bosnischer oder ruandischer Kriegsverbrecher hatte die US-Regierung stets betont, dass es für die Angeklagten das Recht auf einen fairen Zivilprozess gäbe. Und die muslimischen Mitglieder der globalen "Anti-Terrorismuskoalition" könnten kalte Füße bekommen, wenn in den USA Hunderte Muslime ohne Prozess weggesperrt bleiben. Da kann der Präsident seine Landsleute noch so oft dazu aufrufen, tolerant zu sein, dem Islam seinen Respekt zollen und islamische Botschafter zum Ramadan-Gebet ins Weiße Haus einladen, wie er es zu Wochenanfang getan hat.

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