Rosskur bei den Demokraten

USA Die Anhänger von Bernie Sanders glauben, ihr Favorit hätte gegen Donald Trump nicht verloren
Ausgabe 46/2016
Hätte, hätte ...
Hätte, hätte ...

Foto: Mark Ralston/AFP/Getty Images

In der alternativen Realität würden kritische Zeitgenossen jetzt wohl klagen, die designierte Präsidentin Hillary Clinton fülle ihr Kabinett wie befürchtet mit Machern aus der Wall Street. Im Außenministerium dominierten Neocons, die Amerika auf einen permanenten Kriegskurs führen. Wikileaks-Aufklärer Julian Assagne hatte doch kurz vor der Wahl versichert, das Establishment werde Donald Trump niemals Präsident werden lassen.

Nach dem realen Erdbeben am 8. November zogen in etlichen Großstädten Zehntausende durch die Straßen. „Nicht unser Präsident!“, wurde skandiert. Auch am Tag nach Trumps Vereidigung am 20. Januar ist in Washington eine große Kundgebung geplant. Ein linkes Projekt für faire gesellschaftliche Teilhabe, und das in diesem sehr diversen Land, ist nach Trumps Triumph freilich außerordentlich schwierig. Dabei mangelt es nicht an Schuldzuweisungen. Viele Bernie-Sanders-Anhänger sind überzeugt, ihr Mann hätte Trump besiegt. Sanders sagte nach der Wahl, diese Frage sei nun nicht relevant. Trump habe einen „wirklichen und gerechtfertigten Zorn“ angesprochen über das abgekartete „politische System“. Man müsse die Demokratische Partei umkrempeln, Bindungen zu Wirtschaftshonoratioren kappen und eine Graswurzelpartei der Arbeiterschicht bauen.

Die erhoffte demokratische Wählerkoalition kam 2016 nicht zustande. Clinton erhielt fünf Millionen Stimmen weniger als Obama 2012 (Trump eine halbe Million weniger als Mitt Romney). In Zukunft „müssen wir die weißen Wähler im Landkreis Macomb in Michigan, die für Reagan gestimmt haben, dann für Obama und nun für Trump, zusammenbringen mit Schwarzen und Latinos“, schrieb Felicia Wong, Leiterin des Roosevelt Institute, das sich dem progressiven Erbe von Präsident Franklin D. Roosevelt (1933 – 45) verpflichtet fühlt. Wong wird das Beispiel Macomb nicht zufällig gewählt haben. Der Landkreis mit 870.000 Einwohnern, rund 82 Prozent weiß, ein Mix von Industrie und Vorstadt nördlich von Detroit, hat Clinton schwer enttäuscht. 53,6 Prozent stimmten dort für Trump, 42,1 Prozent für die Gegnerin. Obama erhielt 2008 und 2012 etwas über 50 Prozent. Macomb illustriert die Komplexität der demokratischen Misere.

Ellisons Prophezeiung

Trump sprach im Wahlkampf vom Desaster, das Obamas Wirtschaftskurs und Freihandel angerichtet hätten im sogenannten Rostgürtel. Doch wurde überdeutlich: Es ging nicht exklusiv um die Wirtschaft, denn Macomb ist keine Desasterzone. Laut regionalem Wirtschaftsamt hat der Landkreis allein 2016 15.000 Arbeitsplätze dazugewonnen. Die Arbeitslosenrate beträgt fünf Prozent, ein massiver Rückgang seit der Rezession von 2009 mit 18 Prozent. Das Haushaltseinkommen liegt im Schnitt bei rund 2.000 Dollar. Doch wählte Automobilarbeiter und Gewerkschafter Chris Vitale trotzdem Trump. „Er hat unsere Probleme gleich verstanden, ohne dass ihm jemand das hätte sagen müssen“, zitiert ihn die New York Times.

Trump richtete sich, im Gegensatz zu den republikanischen Kandidaten gegen Obama 2008 und 2012, mit seinem Wahlkampf explizit an Weiße zur Ausgrenzung anderer. Sein soeben ernannter Strategieberater ist der weit rechts angesiedelte Publizist Stephen Bannon. Und doch hat Obama erklärt, Trump sei kein Ideologe, sondern eher pragmatisch. Sollte Trump zeigen, dass er es ernst meine mit Programmen wie „das Leben von Arbeiterfamilien verbessern“, würde er mit ihm zusammenarbeiten, sagt Bernie Sanders. Richard Trumka, Präsident des Gewerkschaftsverbandes AFL-CIO würde genauso verfahren, solange dieser Präsident „unsere Werte respektiert“.

In Washington ist hinter verschlossenen Türen die Democracy Alliance zusammengekommen, der Verband für die großen Geldgeber der Demokraten. „Man verliert keine Wahl, die man hätte gewinnen sollen, ohne große Fehler gemacht zu haben“, so Verbandspräsident Gara LaMarche. Wie sich die Demokraten nun ausrichten, dürfte die Wahl eines neuen Vorsitzenden erkennen lassen. Als Hoffnungsträger gilt der Kongressabgeordnete Keith Ellison. Der Ko-Sprecher des progressiven Rates im Repräsentantenhaus hatte im Juli 2015 zum Gelächter der Moderatoren eines TV-Talks gewarnt, Trump könne durchaus Präsident werden.

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