Sandinista am Hudson River

Bill de Blasio Der künftige Bürgermeister von New York will eine sozial gespaltene Stadt wieder zu einer Kommune machen und verkörpert die seltene Spezies eines linken Demokraten
Ausgabe 45/2013
Bill de Blasio umarmt nach dem Wahlsieg seinen Sohn Dante de Blasio
Bill de Blasio umarmt nach dem Wahlsieg seinen Sohn Dante de Blasio

Foto: Andrew Burton/ AFP/ Getty Images

In keiner Stadt der Welt leben so viele Milliardäre wie in New York City, 70 sollen es sein. Einer muss sich nun nach einem neuen Job umschauen. Wall-Street-Magnat Michael Bloomberg – Vermögen 31 Milliarden Dollar – verliert nach zwölf Jahren im Amt seinen Posten als Bürgermeister der 8,4 Millionen Einwohner zählenden Metropole. Ab Januar kommt der Anti-Bloomberg, der linke Demokrat Bill de Blasio, knapp zwei Meter groß, nicht zu übersehen. Anfang der Woche wurde der zum Bürgermeister gewählt und siegte über den Republikaner Joseph Lhota, einen Investmentbanker. Bloomberg durfte wegen der gesetzlichen Amtszeitbegrenzung nicht mehr kandidieren.

Der 52-jährige Bill de Blasio, „fortschrittlich, ohne sich dafür zu entschuldigen“, wie er gern sagt, hat sich als Kandidat gegen die Ära Bloomberg definiert. Es existierten in New York „zwei Städte“, beklagt de Blasio. Auf der einen Seite Bloombergs New York der Bankentürme und Reichen, darunter rund 400.000 Millionäre. Auf der anderen ein New York, in dem 50.000 Menschen auf der Straße und in Obdachlosenheimen übernachteten, in dem 16 Prozent arbeitslos seien, 22 Prozent unter der offiziellen Armutsgrenze existierten und die Mittelschicht zu verschwinden drohe. Wer in New York zum untersten Einkommensfünftel zählt, bringt einer Regierungsstudie zufolge im Schnitt 8.993 Dollar pro Jahr nach Hause. Für die reichsten fünf Prozent sind es 436.931. In Manhattan verdienen die „Top-Fünf-Prozent“ 799.969 Dollar.

Editorials für den Kandidaten

Mit solchen Einkommensunterschieden könne keine Stadt leben, warnte de Blasio im Wahlkampf. Er wolle all jene stärker besteuern, die auf ein Jahreseinkommen von mehr als 500.000 Dollar kämen, um Vorschulprogramme zu finanzieren, kleine Firmen zu fördern und den Mindestlohn zu erhöhen. De Blasio ließ sich festnehmen bei der Blockade eines von Schließung bedrohten Hospitals. Eine Botschaft, die dem Zeitgeist entsprach, auch wenn Bloomberg dem Demokraten „Klassenkampf“ vorwarf. Führende Medienkonzerne schrieben bis kurz vor dem Wahltag Editorials für de Blasio, freilich mit einer gewissen Nervosität. Noch im September hatte die New York Times gewarnt: De Blasio sei als junger Mann ein „flammender Unterstützer“ der revolutionären Sandinistas in Nicaragua gewesen, habe Hilfsaktionen koordiniert und sich für demokratischen Sozialismus ausgesprochen. Er und seine Frau hätten die Flitterwochen auf Kuba verbracht!

Multikulti New York, wo mehr als ein Drittel der Einwohner Einwanderer sind, hat ein Image von Toleranz und Liberalität, doch haben die New Yorker zuletzt 1989 einen demokratischen Bürgermeister gewählt – David Dinkins. Multikulti bringt auch Kungelei mit sich und Spannungen zwischen den Ethnien, die von Konservativen ausgenutzt werden können. Von 1994 bis 2001 regierte der Republikaner Rudolph Giuliani. Er war der starke Mann für all jene New Yorker, die genug hatten von Korruption und Kriminalität.

Dann kam Bloomberg, der die Metropole bis 2005 als Republikaner regierte, ab 2009 dann als Unabhängiger. In seiner Welt musste New York attraktiv sein als Standort für die Finanzindustrie. Er gab den wohlwollenden Patriarchen, der Hunderte von Millionen Dollar für wohltätige Zwecke spendierte und im Kulturkampf für gleichgeschlechtliche Partnerschaften und gegen Abtreibungsbeschänkungen eintrat. Doch ein Patriarch sorgt auch für Ordnung. Aus Sicht vieler Bürger hat Bloomberg dabei einen Überwachungsstaat aufgebaut. So ließ er das Camp der Occupy-Bewegung im Zuccotti Park schleifen und autorisierte die Polizei zu „Stop and Frisk“ (Stopp und Filz). Dabei dürfen Beamte willkürlich Passanten durchsuchen und dies mit Vorliebe bei jungen schwarzen und hispanischen Männern tun. Das sei verfassungswidrig, urteilte ein Gericht im August. Woraufhin Bill de Blasio erklärte, als Bürgermeister würde er Polizeichef Ray Kelly entlassen.

Mit einem lauten Mikrofon

De Blasio – geboren in New York und aufgewachsen in einfachen Verhältnissen, die Eltern geschieden, der Vater Alkoholiker – hat während des Studiums an der Columbia Universität und bei der Nicaragua-Solidaritätsarbeit die Politik in New York von unten herauf kennengelernt. Er war erst Wahlhelfer für David Dinkins, des ersten afro-amerikanischen Bürgermeisters, danach Mitarbeiter der Stadtverwaltung. Ab 1997 bekam de Blasio einen Posten im US-Bauministerium, 2000 managte er Hillary Clintons Kampagne, als sie für New York in den Senat einziehen wollte. 2001 wurde er zum Stadtrat gewählt, 2009 zum Public Advocate – eine Art Ombudsmann mit wenig Macht, aber einem lauten Mikrofon, der bei städtischen Entscheidungen das Interesse der Öffentlichkeit vertreten soll. So wurde aus de Blasio ein Berufspolitiker.

Seine Familie symbolisiert inzwischen für viele die Hoffnung auf ein besseres New York mit weniger Vorurteilen. De Blasios Frau Chirlane McCray ist Afro-Amerikanerin und Schriftstellerin, die unter anderem durch ihre Aufsätze zum Feminismus bekannt wurde. In der Wahlwerbung bekam man viel von den de Blasios zu sehen. Nicht zuletzt beim Spot mit Dante – de Blasios und McCrays 15-jährigem Sohn –, der mitteilt, sein Dad werde Bloomberg vergessen lassen, die Steuern für Reiche aus sozialen Gründen erhöhen und „Stop and Frisk“ beenden, um ein Bürgermeister für alle New Yorker zu sein. Wenn man heute fragt – was hat Occupy gebracht? –, könnte eine Antwort lauten: In New York haben die Proteste gegen das eine Prozent der Reichen dazu beigetragen, dass einer wie Bill de Blasio der Nachfolger eines Milliardärs werden konnte.

Konrad Ege schrieb zuletzt über die Republikaner und den US-Haushaltsstreit 2009 wurde Bill de Blasio „Public Advocate“ von New York City – eine Art Ombudsmann mit wenig Macht, aber einem lauten Mikrofon

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