Ausländer sollten keine Urlaubsreise buchen zu den weißen Stränden in Florida und in die Nationalparks der Rocky Mountains. Es wird mit Covid-19 nicht so schnell besser werden in der Siechen-Nation. Selbst wenn Joe Biden Präsident werden sollte. Die Welt staunt: Wie kann es sein, dass in Ländern Europas die Zahl der Neuinfektionen pro Tag im dreistelligen Bereich liegt, während die USA – diese nach Eigendarstellung außergewöhnliche Nation – mit mehr als 50.000 neuen Fällen täglich im Juli Rekorde aufstellen? Das Verteidigungsministerium verbietet Soldaten wegen der Ansteckungsgefahr Reisen in etliche Bundesstaaten. Gouverneure im relativ „gesunden“ Nordosten schicken Ankommende aus mehr als einem Dutzend Staaten in Quarantäne.
Manche trumpistische Politiker wachen langsam auf und kommen zu der Einsicht, dass Mund- und Nasenschutz gegen die Verbreitung des Virus hilft. Greg Abbott, republikanischer Gouverneur von Texas, der noch vor Wochen abwiegelte, die Pflicht zur Maske verstoße gegen „individuelle Freiheit“, schreibt sie nun vor. Manche der lokalen Justizbehörden haben angekündigt, sie würden die Maskenpflicht im Namen der Freiheit nicht durchsetzen. Zugleich werden Krankenhausbetten und Personal knapp, besonders im Großraum Houston.
Bei den Ursachen des Covid-19-Desasters in den USA geht es um viel mehr als Masken. Als Stichworte fallen einem spontan nationalistische Selbstherrlichkeit, Armut, Wissenschaftsfeindlichkeit, Arroganz, Inkompetenz und Menschenverachtung ein. Der Staat ist nicht fähig, seinen Grundauftrag zu erfüllen und Bürger zu schützen. Diese Regierung will das offenbar gar nicht. Bei der Arbeitsschutzbehörde OSHA sind nach Angaben des Instituts National Employment Law Project (NELP) gut 18.000 Beschwerden über unzureichenden Schutz gegen das Virus eingegangen.
Zwei Drittel seien bereits erledigt. Die OSHA habe Arbeitgebern geschrieben, sie müssten das prüfen. Die Vorgänge seien damit abgeschlossen gewesen, erklärte NELP-Mitarbeiterin Deborah Berkowitz in einem Hörfunkinterview. OSHA habe beschlossen, keine Inspektionen durchzuführen. Der Gesundheitsfachdienst Kaiser Health News berichtete Ende Juni von 4.100 Beschwerden an die OSHA von Beschäftigten in Hospitälern und Pflegeheimen. Es sei kein Fall bekannt, bei dem Arbeitgeber von der OSHA gerügt oder mit Geldstrafen belegt worden seien.
Besonders von Neuinfektionen betroffen sind derzeit Kalifornien und republikanisch regierte Südstaaten wie Florida, Texas, Arizona und Alabama. Dort hatten die Gouverneure im Frühjahr eingeführte Auflagen schnell wieder gelockert, um die Wirtschaft anzukurbeln. Die daraufhin steigenden Infektionszahlen waren von Medizinern vorhergesagt worden. Beim „Öffnen“ wurde der Wunsch über die Realität gestellt. Vizepräsident Mike Pence, Chef der Corona-Arbeitsgruppe, lobte Anfang Juli das „innovative Vorgehen“ in Florida.
99 Prozent der Infektionen seien vollkommen harmlos, so Trump. Und der republikanische Senator Rand Paul attackiert den Regierungsimmunologen Anthony Fauci, weil dieser immer nur Warnungen ausspreche. Die USA brauchten „etwas mehr Optimismus“, glaubt Paul. Die alternativen Wahrheiten, wie sie von Trump und ihm nahestehenden TV-Sendern gepflegt werden, zeigen Wirkung. Alles sei nicht so schlimm, wie das liberale Medien behaupteten. Das Virus werde verschwinden, wie Trump mehrmals gesagt habe, der magische Impfstoff werde kommen.
Wegen all der Falschinformationen lässt sich das Virus schwer unter Kontrolle bringen. Ein Teil der Gesellschaft zieht nicht mit. Republikaner verweisen gern auf verantwortungslose junge Menschen und haben einen bequemen Sündenbock. Rund 63 Millionen Amerikaner haben 2016 für Trump gestimmt. Die Mehrheit der Republikaner ist laut Umfragen zufrieden mit seiner Amtsführung. Ein beträchtlicher Anteil – man sieht es bei Wahlveranstaltungen – widersetzt sich Masken und Abstandhalten. Das reicht aus, sämtliche Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie zu unterlaufen. Die vielen Versprechen dieser Regierung, kostenlose Corona-Tests für alle und mehr, schmelzen in der Sommerhitze.
Trump verkündet Erfolge, und seine Parteifreunde betonen, die Menschen, die sich jetzt infiziert hätten, seien im Schnitt jünger als die Corona-Kranken im April und Mai in New York. Und vor allem: Die Todeszahlen seien nicht so hoch wie damals mit mehr als 2.000 am Tag. So gesehen, sollen die mehr als 500 Menschen, die seit Anfang Juli täglich an den Folgen von Covid-19 gestorben sind, eine gute Nachricht darstellen, besonders dann, wenn man sie mit dem Zusatz versieht, viele der Verstorbenen hätten Vorerkrankungen gehabt. Die 130.000 Toten seit Beginn der Pandemie stören ohnehin – es gibt kein nationales Trauern. Kimberly Guilfoyle, Finanzmanagerin der Trump-Kampagne und angeblich Girlfriend von First Sohn Don Trump, wurde Anfang Juli positiv getestet, nach maskenloser Teilnahme an Trumps Wahlmeeting in Oklahoma. Es soll ihr gut gehen, hieß es.
Trump gegen Briefwahl
Das Corona-Virus wandert. Angefangen hat die Pandemie zunächst im Nordosten, in New York, Massachusetts, New Jersey und Connecticut. Demokratische regierte Staaten; das stieß auf kein intensives Mitgefühl im rechten Amerika. Nun wütet Covid-19 in den Südstaaten, wo Republikaner das Sagen haben. Auch dort befällt und gefährdet das Virus die unteren Einkommensschichten überproportional, in diesen Milieus wiederum überproportional Afroamerikaner und Latinos. Kimberly Guilfoyle ist keine typische Patientin. Laut Forschungsinstitut APM Research Lab liegt die Covid-Todesrate von Afroamerikanern momentan bei 65,8 pro 100.000 – bei Weißen bei 28,5. Schwarze hätten eher Diabetes, Bluthochdruck und Übergewicht, wird erläutert. Die Soziologin Sabrina Strings hat das schärfer formuliert in einem Kommentar für die New York Times: Ursache sei die Sklaverei. Damals habe das weiße Amerika bestimmt, schwarze Amerikaner hätten nicht das gleiche Lebensrecht wie weiße. Das wirke noch heute nach.
Zweite Wahl
Umfragewerte von US-Präsidenten, die sich um eine neue Amtszeit bewarben, vier Monate vor der Abstimmung
1972 Richard Nixon 62,5 %
1984 Ronald Reagan 55,0 %
1996 Bill Clinton 53,1 %
2004 George W. Bush 49,0 %
2012 Barack Obama 47,0 %
2020 Donald Trump 43,0 %
Quelle: Gallup
In weniger als vier Monaten wird gewählt. Der demokratische Anwärter Joe Biden attackiert: Der selbsternannte Kriegspräsident habe gegen das Virus „aufgegeben und das Schlachtfeld verlassen“. Demokraten lesen gern die vielen Meinungsumfragen, bei denen Biden vorn liegt, auf nationaler Ebene und selbst in manchen Staaten, die Trump 2016 gewonnen hat. Trump spielt sich selbst in der Rolle des Donald Trump, was seit Jahren offenbar reicht. Manche in der Trump-Welt sind durchaus risikobereit, wenn sie bei seinen Veranstaltungen ihre Gesundheit aufs Spiel setzen. Man will den antirassistischen Protest auf der Straße kontern. Augenblicklich ist schwer vorstellbar, dass die Verlierer das Wahlergebnis akzeptieren. Noch bleibt offen, wie Stimmabgabe und Pandemie in Einklang gebracht werden sollen. Trump ist gegen Briefwahl. Das Virus, die Aktionen gegen Rassismus und Polizeigewalt, der progressive Aufbruch haben eine Atmosphäre geschaffen, die niemand zuverlässig bewerten kann. Schusswaffenläden melden Rekordverkäufe.
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