Spiel mit dem Feuer

USA/China Joe Biden will Xi Jinping konfrontieren – dazu passt der Taiwan-Konflikt. Kann daraus ein Krieg werden?
Ausgabe 44/2021
Xi Jinping und Joe Biden
Xi Jinping und Joe Biden

Collage: der Freitag, Fotos: Afp/Getty

Beim Thema Taiwan will US-Präsident Joe Biden gegen China Stärke demonstrieren. Auch wenn das halbgar erscheint und den Blick verbaut auf Kooperation, wie sie gerade beim Klimaschutz mit Peking möglich ist. Manche US-Denker tun sich schwer mit dem Umstand, dass die Volksrepublik längst nicht mehr am Kindertisch sitzt. Biden hat einen Aufreger in die Welt gesetzt mit seiner bejahenden Antwort auf die Frage bei einem Bürgertreffen, ob die USA Taiwan im Fall eines chinesischen Angriffs verteidigen würden. „Ja, wir sind verpflichtet, das zu tun“, ließ er wissen. Das kam so unvermittelt wie Bidens Interviewaussage vom März, er halte Wladimir Putin für einen Killer. Verteidigungsminister Lloyd Austin beschwichtigte: Es gebe derzeit keinen Grund zum „Schlagabtausch“ in der taiwanesischen Meerenge, und Regierungssprecherin Jen Psaki erklärte, ihr Chef habe nicht sagen wollen, dass sich die Politik zu Taiwan verändert habe. Bidens Rhetorik folgte einer Ansprache von Präsident Xi Jinping über das Gebot einer friedlichen Wiedervereinigung. Er sprach dazu auf einer Gedenkveranstaltung zum 110. Jahrestag der chinesischen Revolution von 1911.

Mehr Druck auf Taipeh

Taiwan, kapitalistisches Musterland und etwa so groß wie die Schweiz, ist weit weg von den USA und kein Anliegen, das die Mehrheit der Wählerinnen und Wähler packt. Sicherheitspolitische Macher und die Politik schon. Dort wächst ein Konsens, dass man zu mehr Konfrontation gegenüber China bereit sein müsse, das seine Ansprüche einer großen Macht zur Geltung bringe. So heißt es im 2021er Jahresbericht der US-Geheimdienste zur weltweiten Bedrohungslage, bei China gebe es aus Sicht der USA eine „epochale geopolitische Verlagerung“, Peking werde zunehmend Druck auf Taiwan ausüben, dem Wunsch nach einer Wiedervereinigung nachzugeben.

Dabei bietet sich die US-Politik zu Taiwan nicht für griffige Slogans an. Trotz aller Freundschaft: Zwischen den USA und der 23 Millionen Einwohner zählenden Republik Taiwan gibt es seit 1979 keine offiziellen diplomatischen Beziehungen mehr. Im Kalten Krieg gegen die Sowjetunion hatten sich die USA in der Person des Antikommunisten Richard Nixon realpolitisch zur Volksrepublik hin orientiert. In der Taiwan-Frage hielt man es danach in Washington mit der „strategischen Mehrdeutigkeit“ („ambiguity“). Das hat zur Verhinderung eines katastrophalen Krieges funktioniert. Die USA erkennen an, dass Taiwan aus chinesischer Sicht Teil von China ist, lehnen aber eine Veränderung des Status quo ab. Sie stärken Taiwans „Verteidigungsfähigkeit“ mit in den letzten Jahren stetig zunehmenden Rüstungsausfuhren. Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen hat Ende Oktober gegenüber dem US-Fernsehsender CNN die Präsenz von US-Militärausbildern in Taiwan bestätigt.

Als Biden im Oktober von einem Schutzversprechen sprach, war das bereits das zweite Mal. In einem Interview zum US-Abzug aus Afghanistan im August ging es um die möglicherweise angeschlagene amerikanische Glaubwürdigkeit. Die USA seien bei der NATO in der „heiligen Verpflichtung zum Erwidern“, sollte ein Bündnismitglied angegriffen werden, versicherte Biden. Bei Japan wäre das genauso, „auch bei Südkorea, auch bei Taiwan“. Umso mehr ziehen sich Kontroversen zu Taiwan durch die US-Politik, manchmal in Form von Konflikten zwischen Republikanern und Demokraten.

Taiwan-Agenda

1949

Separatstaat Die Kuomintang-Armee unter General Chiang Kai-shek (1887 – 1975) unterliegt im Machtkampf mit den Streitkräften Mao Zedongs und flieht auf die Insel Taiwan, die zum offiziellen Territoriumder Republik China erklärt wird. Auf dem Festland wird die Volksrepublik China gegründet. Taiwan vertritt China zunächst allein bei den Vereinten Nationen, im UN-Sicherheitsrat und schließt 1954 einen Verteidigungspakt mit den USA.

1971

Statusverlust Nach dem Austausch von Botschaftern zwischen den USA und der VR China wird Taiwan international erkennbar marginalisiert, verliert den Status, allein Nachfolgestaat der Republik China zu sein, den UN-Sitz und 1979 auch die diplomatische Anerkennung durch die USA. Diese erklären sich allerdings mit dem Taiwan Relations Act zur Schutzmacht. Gegenwärtig unterhalten noch 14 Staaten offizielle Beziehungen mit Taipeh.

1989

Demokratisierung Innere Reformen führen zum Verzicht auf die Einparteienherrschaft und zum Mehrparteiensystem mit den Blöcken um die Demokratische Fortschrittspartei (DPP) links und die Kuomintang-Partei (KMT) rechts. Ab Mitte der 1990er Jahre wird der Präsident direkt gewählt, und ab 2014 wird die „Sonnenblumen-Bewegung“ zum außerparlamentarischen Korrektiv. Beim Demokratie-Index liegt Taiwan 2020 unter den asiatischen Staaten auf Platz 1.

2000

Fünf Nein Um die Beziehungen mit Peking zu entspannen, verkündet Präsident Chen Shui-bian (DPP) die „Politik der fünf Nein“. Danach werde man sich nicht für unabhängig erklären, keinen neuen Staatsnamen annehmen, das Verhältnis zu Festland-China nicht als „zwischenstaatlich“ bezeichnen, kein Referendum über den eigenen Status abhalten und keine Änderung bei den Prinzipien für eine nationale Wiedervereinigung vornehmen.

2016

Zwei-Chinas-Politik Unter Präsidentin Tsai Ing-wen (DPP) hat sich das Verhältnis zwischen Peking und Taipeh permanent verschlechtert, seit sich Tsai gleich nach Amtsantritt 2016 vom „1992er Konsens“ distanzierte. Den hatten Politiker Taiwans und Chinas 1992 informell ausgehandelt. Seine Formel: Es gibt nur „ein China“, aber verschiedene Vorstellungen, wie dieses China aussehen soll. Tsai setzt auf „zwei Chinas“, ohne das ausdrücklich zu sagen.

Die Verpflichtung zum Einsatz der Streitkräfte zur Verteidigung sei keine Entscheidung, die ein Präsident unilateral treffen könne, protestierte ein US-Senator vor zwei Jahrzehnten in einem Kommentar für die Hauptstadtzeitung Washington Post. Der Präsident müsse „das amerikanische Volk und den Kongress“ zu Rate ziehen. Der Verfasser der Einlassung hieß Joe Biden, der weiter ausführte, die USA seien nicht verpflichtet zur Verteidigung von Taiwan. Biden reagierte seinerzeit auf den republikanischen Präsidenten George W. Bush. Dieser wurde vom Fernsehsender ABC gefragt, ob die USA verpflichtet seien, Taiwan zu verteidigen. Bush sagte: „Ja, das sind wir, und den Chinesen muss das klar sein.“ Ob er mit der gesamten Kraft des amerikanischen Militärs eingreifen würde? Wieder Bush: „Was auch immer nötig ist, um Taiwan bei der Selbstverteidigung beizustehen.“ Unmittelbar nach diesem Interview meldete sich das Außenministerium zu Wort: Die US-Politik habe sich nicht geändert. Dazu erläuterte damals die New York Times, Essenz der US-Politik sei es seit den 1970er Jahren, „den Frieden zu bewahren, indem sie beide Seiten im Ungewissen lässt“. Peking solle annehmen, die USA würden Taiwan verteidigen. Taiwan solle rätseln, wie weit die USA dabei gehen würden. Würden die Taiwanesen glauben, ein verpflichtender Schutz ihrer Sicherheit sei eisern, dann „wäre die Regierung in Taipeh möglicherweise ermutigt, bei ihrem Tun mit Peking so weit zu gehen, dass sie einen Konflikt provoziert“.

Das Center for a New American Security, ein Washingtoner Institut aus dem sicherheitspolitischen Umfeld der Demokratischen Partei, spielte kürzlich durch, was die USA tun könnten, sollte China 2025 Taiwans Pratas-Inseln, ein Atoll im Südchinesischen Meer, einnehmen. Die Antwort: „Sobald China aggressiv handelt“, war es beim Planspiel „schwierig für die Vereinigten Staaten, für Taiwan und die internationale Gemeinschaft, Peking ohne inakzeptable Eskalation zur Umkehr seiner Maßnahmen zu bewegen“. Die Studie sprach von der Dringlichkeit, im Voraus eine „effektive Abschreckungsstrategie zu entwickeln“. In Foreign Affairs, dem Magazin des Rats für Auslandsangelegenheiten, war jüngst von „War Games“ im Pentagon die Rede. Dabei habe sich gezeigt, dass ein militärischer Zusammenstoß zwischen den Vereinigten Staaten und China wegen Taiwan vermutlich „mit einer US-Niederlage enden würde“. China könne eine Invasion in Tagen oder Wochen abschließen. Ebenfalls in Foreign Affairs publizierte US-Senator Bernie Sanders im Juni einen Aufsatz gegen das „Nullsummenspiel“ bei der Auseinandersetzung mit China. Er befürchte, der Druck zur Konfrontation werde autoritäre, ultranationalistische Kräfte in beiden Ländern stärken. US-Rüstungsfirmen hingegen sehen in den Drohszenarien einen Ersatz für Einbußen, die sich aus dem von Biden angekündigten Zurückfahren des globalen Krieges gegen den Terrorismus ergeben.

Kuchen für Präsident Xi

Vor 20 Jahren wollte man China in den USA in die kapitalistische Welt einbinden. Präsident Barack Obama bemühte sich eher um Gemeinsamkeiten und wurde hinterher kritisiert, er habe China unterschätzt. Donald Trump kapierte, dass die chinesische Wirtschaftsmacht vielen Amerikanern Sorgen macht. Seine Amtszeit begann trotz des „wunderschönen Schokoladenkuchens“, den er Präsident Xi Jinping in Mar-a-Lago (Florida) servierte, mit Strafzöllen, angeblich zum Schutz amerikanischer Arbeitsplätze, und endete mit Lügen über das „China-Virus“.

Joe Biden hat nicht viel verändert am Handelskrieg. Unmittelbar nach seinem Amtsantritt erklärte das Außenministerium, man sehe „mit Besorgnis“, wie die Volksrepublik versuche, ihre Nachbarn einzuschüchtern, einschließlich Taiwan. „Unsere Verpflichtung gegenüber Taiwan ist felsenfest“, hieß es. Wenn man nur wüsste, wie mehrdeutig „felsenfest“ sein kann.

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