Staatstränke für die durstige Christenheit

USA Die Regierung, die Gläubigen und die Toleranz

In den USA wächst die Kritik am Plan von Präsident Bush, im Zuge des "mitfühlenden Konservatismus" soziale Probleme verstärkt und besonders mit Hilfe von religiösen Organisationen anzugehen. Die Debatte sagt viel über die Toleranz und Frömmigkeit eines Landes, in dem 30 bis 40 Prozent sonntags in die Kirche gehen, und der Präsident seine Reden mit "Gott, Segne Amerika" abschließt.

Im Wahlkampf hatte sich Bushs Glaubensinitiative gut angehört. Konservative waren dafür, und Demokraten wollten nichts Negatives sagen. "Bürokraten" könnten soziale Programme oft nicht lösen, dozierte der nach eigenen Angaben mit Hilfe des Evangelisten Billy Graham bekehrte George W. Bush. "Im Glauben gegründete Organisationen" seien besser geeignet. Der Demokrat Joe Lieberman las vom gleichen Text: Religion sei doch der Grundstein jeglicher Moral. Säkularismus führe zu einem "Wertevakuum". Und Al Gore betonte, der Staat dürfe religiöse Verbände bei der Vergabe von Mitteln "nicht benachteiligen". Er selber sei ja auch Christ, "leerer Säkularismus" sei ihm nicht genug.

Wenige Tage nach Amtsantritt stellte Bush seine Glaubensinitiative in Gegenwart von ein paar Dutzend Glaubensvertretern - darunter auch ein orthodoxer Rabbiner und ein Iman - als eines seiner "wichtigsten Programme" vor. Inzwischen stockt das Projekt. Der Teufel steckt eben doch im Kleingedruckten. John DiIulio, Direktor des neuen "Büros für glaubensgegründete Initiativen", hört skeptische Fragen: Wie genau denn würde die Regierung entscheiden, welcher religiöse Verband staatliche Gelder bekäme? Was wäre, wenn die Scientologen oder die Hare Krishnas auch aus dem öffentlichen Trog trinken möchten? Der US-Senat hat die Debatte erst einmal auf die lange Bank geschoben.

Die "Central Union Mission" winkt ab

Aus europäischer Sicht hat Amerika ein komplexes und widersprüchliches Verhältnis zum Glauben. Die USA legen großen Wert auf ihr "christliches Erbe", habe Gott doch - wie Ronald Reagan gern sagte - Amerika auserkoren: Eine "leuchtende Stadt auf dem Berge". Vor Kongresssitzungen wird gebetet. Wer in den USA Präsident werden wolle, erklärte seinerzeit Dwight Eisenhower, müsse an "etwas" glauben. Was genau, ist nicht so wichtig, so lang der Gott in den biblischen Rahmen passt. Die allermeisten Amerikaner würde keinen Atheisten zum Präsidenten wählen. Andererseits gilt in den USA das Gebot der Trennung von Kirche und Staat, US-Verfassung, erster Zusatzartikel: Der Staat garantiere Religionsfreiheit, sei aber bei Religiösem zu strikter Neutralität verpflichtet. Religionsunterricht wie in Deutschland oder das Kruzifix an der Schulzimmerwand wie in Bayern wären undenkbar in den USA. Wegen der "Trennmauer" zwischen Kirche und Staat kommt es zu eher bizarren Gerichtsurteilen. So müssen Kommunen gelegentlich Kreuze in Parkanlagen abmontieren, da diese eine "Begünstigung" der Christentums darstellten. Der erste Verfassungszusatz spielt auch bei der Sozialpolitik eine Rolle: Kirchliche Hilfsverbände - vor allem katholische und die Heilsarmee - bekommen schon lange Geld vom Staat. Sie verzichten dann aber auf die Verkündigung.

Gut einen Kilometer nördlich vom Weißen Haus steht die fünfstöckige Central Union Mission, in der Obdachlose schon seit mehr als 100 Jahren warme Mahlzeiten und ein Bett bekommen. Eigentlich ein Musterprojekt für die Glaubensinitiative. Selbst Barbara Bush - Georges Mama - hat dort als First Lady ausgeholfen. "Wir wollen aber kein Geld von der Regierung", betont jetzt allerdings Missions-Mitarbeiter Henry Schonschack. "Nähmen wird Geld, könnte der Staat uns Vorschriften machen". In der Mission müssen Gäste an Gottesdiensten teilnehmen. Und der Staat würde diese Glaubensauflagen nicht zulassen.

Dann lieber keine "Glaubensinitiative"

Die meisten karitativen Verbände kommen ohne staatliche Hilfe aus. Das ist die andere Seite des US-Christentums: In einem in Deutschland kaum vorstellbaren Ausmaß engagieren sich hiesige Christen im karitativen Bereich. Nach Angaben des Verbandes Second Harvest leisten 50.000 überwiegend religiöse Gruppen Lebensmittelnothilfe; vergangenes Jahr hätten diese 26 Millionen Menschen geholfen. In den USA gibt es mehr als 300.000 Kirchengemeinden - davon sind die meisten sozial tätig, mit Suppenküchen, Kleiderkammern und durch Kinderbetreuung. Im Vordergrund steht freilich Wohltätigkeit, und nicht die auch von den katholischen Bischöfen oft propagierte "Solidarität mit den Armen".

Bushs Glaubensinitiative entstand vorrangig dank evangelikaler Aktivisten, die "Diskriminierungen" des Christentums beklagten. Vor allem konservative Vordenker schlüpfen gern in das Gewand der "verfolgten Minderheit". Dabei ist gut ein Viertel der US-Bürger katholisch, etwa 60 Prozent sind Protestanten, zwei Prozent Juden, etwa neun Prozent Agnostiker, der Rest folgt anderen Religionen oder ist Atheist. Da muss es für das Weiße Haus ein Schock sein, dass ausgerechnet die Evangelikalen - wie die Central Union Mission - Skepsis anmelden. Schließlich hatte DiIulio klar gemacht, dass der Staat Verkündigung nicht finanzieren werde und auch nichtchristliche Verbände Geld erhalten könnten.

Richard Land, Experte des Südlichen Baptistenverbandes, der größten protestantischen Kirche, befürchtet staatliche Vorschriften. Wenn die Regierung Geld gebe, wolle sie gewöhnlich Einfluss nehmen. Da müsse man vorsichtig sein. Europa als Schreckensvorbild - dort kassiere der Staat Steuern für die Kirche oder bestimme gar wie in England, wer Oberhaupt der Staatskirche werde.

Die von DiIulio erwähnte mögliche staatliche Finanzierung "heidnischer Religionen" liegt vielen Christen besonders schwer im Magen. Er sei "schockiert", dass auch Sun Myung Muns Vereinigungskirche und andere "Kulte" staatliche Mittel bekämen, reklamiert Fernsehprediger Pat Robertson. Dann lieber gar keine Glaubensinitiative. Die Toleranz der Christen hält sich eben in Grenzen. Nach einer Umfrage in der New York Times halten zwei Drittel der Amerikaner die Zusammenarbeit des Staates mit religiösen Verbänden für richtig. Das gilt aber nur für biblische Religionen. Nur 29 Prozent meinten bei der Times -Umfrage, dass auch Gruppen wie die Hare Krishnas und die Scientologen einbezogen werden sollten. Und nicht nur Protestanten bekommen kalte Füße. Das Anti-Discrimination Committee of B´nai B´rith wurde kürzlich im Weißen Haus vorstellig und erklärte, dass die Regierung Anti-Drogenprogramme der "antisemitischen" Nation of Islam nicht unterstützen dürfe.

Bush profitiert in einem Punkt von seiner "Initiative": Sie spaltet afro-amerikanische Kirchen. Im November stimmten mehr als 90 Prozent der Schwarzen für Gore; prominente afro-amerikanische Kirchenführer haben sich nun aber für die Glaubensinitiative ausgesprochen. Eugene Rivers etwa, der mit anderen Pastoren vor neun Jahren in Boston das "10-Punkte-Programm" zur Arbeit mit Jugendgangs gestartet hat und eng mit der Stadtverwaltung, der Polizei und Arbeitgebern kooperiert. Bostons Mordrate ist um 80 Prozent zurückgegangen und Schießereien unter Jugendlichen haben Seltenheitswert. Rivers und ein paar Dutzend schwarze Geistliche waren kürzlich bei Bush, um die Glaubensinitiative zu loben. Kritiker der "Initiative", das seien nur konservative Weiße, die verhindern wollten, dass afro-amerikanische Kirchen staatliche Mittel bekämen. Das ist vielleicht übertrieben, aber verständlich angesichts der andauernden de facto Rassentrennung in den Kirchenbänken.

Die moderne rechtschristliche Bewegung hatte wohl noch nie so viel politische Macht wie heute. Wie sehr die Konservativen die öffentliche Diskussion beherrschen, zeigt sich gerade bei der Glaubensinitiative: Kaum jemand fragt, ob belegt werden kann, dass religiöse Sozialprogramme tatsächlich besser sind als säkulare. Letztendlich begeben sich aber selbst Kirchen guten Willens in den Treibsand, wenn sie sich auf Bush einlassen und Feigenblattfunktion übernehmen für Auslagenkürzungen im sozialen Bereich. Kirchen sollten nicht Diener des Staates sein, sondern Propheten, sagte seinerzeit Baptistenpastor Martin Luther King.

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