Star-Wars-Plan: Wie die USA das atomare Gleichgewicht des Schreckens aushebeln wollen
Zeitgeschichte In der gewittrigen Stimmung der frühen 1980er Jahren wird vom damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan in Washington ein Abwehrschirm im All gegen Atomraketen der Sowjetunion angekündigt. Die fühlt sich sogleich alarmiert
Ronald Reagan war nicht nur ein Fan von „Star Wars“
Foto: Bettmann/Getty Images
Die Sowjetunion nimmt die Erfolgschancen einer „Strategischen Verteidigungsinitiative“ (SDI) im Weltraum anfangs sehr ernst. In den frühen 1980er Jahren verschärfen derartige Pläne der US-Regierung die Atomkriegsgefahr und führen zu noch mehr Aufrüstung. Doch Präsident Ronald Reagan sieht das ausgesprochen entspannt. „Ich habe mich gut gefühlt“, schreibt er am 23. März 1983 in sein Tagebuch. Das „große Ding“ sei um 20 Uhr gelaufen. Gemeint ist die Fernsehansprache zum Thema: Warum unser Rüstungsprogramm nötig ist gegen sowjetische Gefahr. Er habe seine Rede mit einem Appell an die Wissenschaft abgeschlossen, umgehend mit der Forschung „an einer defensiven Waffe zu beginnen, die Nuklearraketen o
n obsolet machen würde“. Er sei keiner optimistischen Prognose verfallen, indem er einen Zeitrahmen vorgegeben habe.Reagan, vormals Schauspieler, Gouverneur und Vortragsredner für den Konzern General Electric, hatte nach zwei Jahren im Weißen Haus viele mit seinem Vorstoß verblüfft. Was der republikanische Präsident vorlegte, schien das seit Anfang der 1960er Jahren bestehende Sicherheitsverständnis aus den Angeln zu heben, wonach gegenseitige Abschreckung die großen Atommächte vom Einsatz ihrer Nuklearwaffen abhält, da auch dem atomaren Aggressor unweigerlich totale Zerstörung droht.Reagans Projekt, die Strategic Defense Initiative, wurde mehr unter dem Namen Star Wars (Krieg der Sterne) bekannt. Die konservative Heritage Foundation zeigte sich erfreut, dass der Präsident ihre ein Jahr zuvor publizierte Idee von der „High Frontier“ (Hohen Grenze) aufgegriffen habe und „weltraumgestützte strategische Verteidigungswaffen“ entwickeln lasse. Eine erste Generation dieser Systeme werde in fünf bis sechs Jahren „stationierungsfähig“ sein, lockte die Stiftung. Ihre Studie sprach von bewaffneten Satelliten. Eine technologische Lösung zum Eindämmen einer Kriegsgefahr mit weltweit rund 60.000 Kernwaffen hatte etwas Verführendes. In der gewittrigen Großwetterlage der frühen 1980er Jahre war die Gefahr eines Atomkrieges real. Die Angst, man könnte die „letzte Generation“ sein, auch wenn dieser Begriff damals noch nicht verwendet wurde, erschien vielen Menschen vollkommen rational. Zwei Wochen vor der Star-Wars-Rede hatte Reagan bei einer Ansprache vor konservativen Christen die Sowjetunion als „Reich des Bösen“ gegeißelt – als „Zentrum des Bösen in der modernen Welt“. Im Programm der Republikaner, mit dem Reagan 1980 gewählt wurde, war zu lesen, die USA müssten massiv aufrüsten. Wegen der aggressiven Sowjetunion seien die Gefahren für die USA größer als jemals zuvor.So setzte Reagan 1981 Ausbau und Modernisierung der strategischen Atomwaffen in Bewegung, darunter einhundert MX-Interkontinentalraketen mit je zehn Sprengköpfen. In die Medien gelangten 1982 neue Verteidigungsleitlinien, wonach die Nuklearstreitkräfte in der Lage sein mussten, die politische und militärische Führung der Sowjetunion anzugreifen und auszuschalten. Verteidigungsminister Caspar Weinberger sprach von „Rüstung für einen lang dauernden Atomkrieg“. Im August 1984 scherzte der Präsident bei der Sprechprobe für einen Hörfunk-Auftritt: „Meine amerikanischen Mitbürger, ich bin erfreut, Ihnen heute mitteilen zu können, dass ich ein Gesetz unterzeichnet habe, welches Russland für vogelfrei erklärt. Wir beginnen mit der Bombardierung in fünf Minuten.“US-Streitkräfte führten riskante Manöver nahe der Sowjetunion durch. Im April 1983 seien drei Flugzeugträger auf die Halbinsel Kamtschatka an der sowjetischen Ostküste zugelaufen, dazu hätten Kampfflieger einen Angriff auf einen sowjetischen Stützpunkt simuliert und Radaranlagen gestört, schrieb Militärexperte Fred Kaplan in seinem 2020 erschienenen Buch The Bomb: Presidents, Generals and the Secret History of Nuclear War. Intern habe der Geheimdienst National Security Agency (NSA) vermerkt, solche Aktionen hätten „eine Paranoia auslösen“ sollen, und das hätten sie auch getan.Jahre später wurde eine „Able Archer“ genannte Übung vom November 1983 bekannt, bei der NATO-Befehlshaber die Genehmigung für einen begrenzten Atomwaffeneinsatz erhalten hatten. Dokumente dazu sind auf der Website des unabhängigen Instituts National Security Archive in Washington einzusehen. Sie zeigen: Der simulierte nukleare Angriff war so realistisch, dass eine tatsächliche Reaktion des Warschauer Paktes ausgelöst und ein „wirklicher Nuklearkrieg riskiert“ wurde. Zur gleichen Zeit sahen im Herbst 1983 geschätzt Hundert Millionen Amerikaner den als authentisch empfundenen Spielfilm The Day After, in dem ein Konflikt um Westberlin zu einem Nuklearkrieg führt mit horrenden Konsequenzen danach.In der Bundesrepublik Deutschland entsetzte sich eine riesige Friedensbewegung über die geplante Stationierung von Cruise Missiles und Pershing-II-Raketen, die Moskau in wenigen Minuten erreichen konnten. Es gehe um „Enthauptung“ der Sowjetunion, warnten Flugblätter der Bewegung, die hinnehmen musste, dass der Bundestag im November 1983 seine Zustimmung zur Stationierung erteilte. Gegen die ersten Pershing II im schwäbischen Mutlangen protestierten per Sitzblockade Prominente wie Heinrich Böll, Wolf Biermann, Günter Grass, der SPD-Politiker Oskar Lafontaine und Petra Kelly, Mitbegründerin der damals pazifistischen Grünen. Man hatte Angst, die USA könnten tatsächlich einen Atomangriff ins Auge fassen. SDI galt als Komponente einer Strategie, durch Abschießen sowjetischer Raketen einen Nuklearkrieg zu gewinnen. Reagan hatte Zweifel am Prinzip der gegenseitigen Abschreckung.Unmittelbarer Auslöser seiner Star-Wars-Rede war angeblich schlechtes Wetter. Laut Reagan-Tagebuch schneite es heftig in Washington am 11. Februar 1983. Der Fast-Blizzard habe einen Wochenendaufenthalt im Urlaubshaus Camp David verhindert, sodass Reagan fast zwei Stunden lang mit den Joint Chiefs der Army beim Mittagessen saß. Dabei sei eine „Super-Idee“ hochgekocht: Was wäre, wenn wir „der Welt mitteilen, dass wir unser Volk schützen wollen“ vor einem Atomkrieg und ein Programm starten zur Forschung „an einer defensiven Waffe, die Nuklearwaffen obsolet macht?“. Wie viel Rückhalt das Vorhaben in der Regierung wie im Militär hatte, blieb unklar. Die sowjetische Führung habe „SDI ernst genommen und sich Sorgen gemacht“, kommentierte das Fachmagazin Air and Space Forces Jahre später. Und Experte Fred Kaplan schrieb, Reagan habe die SDI-Sätze selber geschrieben; Weinberger und Außenminister George Shultz hätten von dem Redetext erst während der Ansprache erfahren. „Sie waren überrascht – und das nicht im positiven Sinn. Sie wussten, dass der Präsident Fantasien zum Besten gab.“ Shultz schrieb 1993 in seinen Erinnerungen Turmoil and Triumph (Aufruhr und Triumph), er sei damals der Ansicht gewesen, der größte Nutzen der Initiative könne von der sowjetischen Annahme kommen, „dass wir ganz kurz vor einem besonderen technischen Fortschritt stehen“. Zu Zeiten von Reagan war Joe Biden Senator und gegen Star Wars, weil ein solches System das nukleare Gleichgewicht stören würde.Mai 1993, der Demokrat Bill Clinton ist seit mehreren Monaten Präsident. Sein Verteidigungsminister Les Aspin gibt eine Pressekonferenz: Der Star-Wars-Traum sei ausgeträumt, das Vorhaben hinfällig mit dem Kollaps der Sowjetunion. In Zukunft würden die „USA nicht das massive Programm der weltraumgestützten Waffen benötigen, das Reagan sich vorgestellt habe. Es werde vielmehr um die Abwehr „terroristischer Angriffe“ gehen. Die USA würden sich auf landgestützte Abwehrwaffen konzentrieren. Donald Trump indes hat Reagans „Vision“ vorübergehend wiederbelebt. Im April 2019 setzte er ein Ziel: Man müsse die Fähigkeit haben, „gegen die USA gerichtete Raketen zu zerstören, überall und zu jeder Zeit“. Trump sprach von Lasern und Teilchenstrahlen aus dem Weltall. Es sei „eine neue Technologie“.