Die Diskussion über die Gesundheitspolitik ist auch eine „Stellvertreterdebatte“ über Barack Obama, die „alte“ Demokratische Partei und die Frage, ob man Bernie Sanders’ politische Revolution will oder nicht. Der betont: Es könne doch „nicht weitergehen mit einem Gesundheitswesen, das auf riesige Profite für Versicherungen und die Gesundheits- und Pharmaindustrie“ ausgerichtet sei. Diese Ansicht ist durchaus mehrheitsfähig bei den Demokraten, doch schnell kommt der Einwand, fundamentaler Umbau sei politisch zu riskant. Barack Obama hat 2010 die Gesundheitsreform Affordable Care Act (ACA) eingeführt, das „Gesetz für bezahlbare Fürsorge“. Millionen Menschen haben deswegen Versicherungen abgeschlossen, doch manche Patienten gehen nach wie vor in Konkurs wegen ihrer Krankenhausrechnungen. Menschen meiden den Arzt, weil Zuzahlungen zu hoch wären. Zuckerkranke kaufen Insulin in Kanada für rund zehn Prozent der US-Preise. Medikamente und Therapien kosten in den Vereinigten Staaten viel mehr als im Nachbarland. Der US-Staat greift kaum regulierend ein. Zur großen Zahnbehandlung fährt man schon einmal bis nach Mexiko.
Im Wahlkampf kollidieren linke Wunschvorstellungen von einem staatlichen Versicherungswesen mit der Macht der Versicherungs- und Pharmaindustrie, mit gesellschaftlichen Grenzen des Machbaren und scharfer ideologischer Ablehnung im rechten Amerika. Es geht hart auf hart, wie man so sagt. Kein republikanischer Abgeordneter hatte seinerzeit für den ACA gestimmt. Demokraten ärgern sich zu Tode, dass Donald Trump Zulauf findet bei weißen Wählern, die von Obamacare profitieren.
Schon Reagan warnte
Viele Republikaner schätzen seit jeher die gegen sozialen Reformwillen gerichteten Drohszenarien. 1965 hat der demokratische Präsident Lyndon B. Johnson Medicare eingeführt, eine umfassende staatliche Krankenversicherung für alle Senioren. Ronald Reagan warnte damals prompt vor dem Ende der Freiheit. Heute allerdings nehmen alle über 65-Jährigen Medicare in Anspruch. Was die Demokraten erst recht anspornt, über Details bei der Verbesserung von Obamacare zu debattieren. Sanders und Präsidentenbewerberin Elizabeth Warren wollen gar den harten Schnitt durch einen schrittweisen Ausbau von Medicare für alle, während die Republikaner mit ersatzloser Streichung drohen. Letzteres ist nicht undenkbar: Gerichte befassen sich gerade mit der Zivilklage republikanischer Gouverneure, die behaupten, der ACA sei verfassungswidrig.
In einem halben Jahr wird der zehnte Jahrestag von Obamacare begangen. Etwas Grund zum Feiern hat der Ex-Präsident schon: 2010 lebten laut Denkfabrik Kaiser Family Foundation rund 18 Prozent der Menschen in den USA unter 65 ohne Versicherungsschutz. 2017 waren es nur noch 10,2 Prozent. Das ändert nichts daran, dass der ACA trotz Krankenversicherung ein Flickenteppich bleibt. Es gibt keine gesetzliche Versicherung wie in Deutschland. Dafür die staatlichen Programme Medicare sowie Medicaid für die ganz Armen.
Versicherungsfirmen dominieren den Markt. Die meisten Versicherten sind über ihren Arbeitgeber versichert, oft mit hohen Zuzahlungen. Kleine Betriebe versichern häufig nicht, und die Arbeitenden müssen auf dem Versicherungsmarkt einkaufen gehen. Obamacare stützt sich ebenfalls auf den Markt. Das heißt, beim ACA vermitteln staatliche „Versicherungsbörsen“ Policen kommerzieller Firmen an Menschen, die selbstständig oder nicht beim Arbeitgeber versichert sind oder Medicare und Medicaid beziehen. Der Staat schreibt Mindestleistungen vor und zahlt Einkommensschwachen einen Teil der Prämien, häufig Hunderte Dollar im Monat. Einen Zuschuss bekommt im Allgemeinen, wer weniger verdient als das Vierfache der staatlichen Armutsgrenze, die gegenwärtig bei 21.330 Dollar Jahreseinkommen für eine dreiköpfige Familie liegt.
Der ACA hat zudem den Zugang zu Medicaid erleichtert. Dramatisch neu ist die Regelung, dass Versicherungen Menschen mit Vorerkrankungen nicht mehr diskriminieren dürfen. Gleichzeitig müssen die Versicherer für bestimmte Medikamente und Behandlungen zahlen, etwa für Vorsorgeuntersuchungen und die Empfängnisverhütung. Die rund zehn Millionen Menschen ohne Papiere dürfen bei Obamacare freilich nicht mitmachen.
Unter dem Strich bleibt als Fazit: Für viele Menschen ist Obamacare überwiegend positiv. Das gilt besonders für Amerikaner aus der unteren Mittelschicht, die Subventionen bekommen. Vorteile haben ebenso chronisch Kranke und Behinderte. Problematisch ist es für die mittleren Einkommen und die obere Mittelschicht, die Prämien selber zahlen müssen. Auch sind für manche Patienten Versicherung und Zuzahlung trotz staatlicher Stütze zu teuer. Was etwas damit zu tun hat, dass Obamacare kaum an der Herrschaft der Versicherungskonzerne gerüttelt hat. Viele machen ein gutes Geschäft mit dem ACA.
Bernie Sanders’ Reform würde darauf hinauslaufen, Versicherungsfirmen langfristig den Garaus zu machen. Das spare Unmengen an Verwaltungskosten, argumentiert er, der Profitfaktor falle weg und der Staat habe zudem die Möglichkeit, Arztkosten zu regulieren. Steuern müssten freilich steigen, räumt Sanders ein. Doch viele Bürger kämen besser weg, weil Prämienzahlungen und Zuzahlungen entfielen.
Gegen Sanders regt sich intensiver Protest der betroffenen Industrien, die seit Jahrzehnten spenden für die Politik. Die Agenda des demokratischen Sozialisten – höhere Steuern und Zerschlagen der Versicherungsindustrie – lässt sich nicht so leicht verkaufen. Mehrere der potenziellen demokratischen Präsidentschaftskandidaten gehen auf Distanz zu Sanders’ Konzept und haben Zweifel an der Finanzierbarkeit. Rivale Joe Biden erinnerte an die Hetze gegen Obamacare, bei der sich 2009/2010 erstmals die Tea Party als rechtspopulistische Bewegung profiliert habe. Er schlägt vor, Bürgern solle eine staatliche Versicherung angeboten werden, ohne Mitmachzwang. Ein Schritt vorwärts wäre das auch, ist er überzeugt.
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