Technik gleich Botschaft

Online First Barack Obama setzt weiter auf seine Netz-Gemeinde, um Amerika wieder aufzubauen. Reicht das als politisches Erfolgsrezept?

Ein „bemerkenswerter Meilenstein“ war der Kommentar von Magid Abraham. Der Anlass: Im Dezember gab es erstmals mehr als eine Milliarde Web-Nutzer weltweit, hatte die Internet-Consultingfirma Comscore herausgefunden. Die zweite Milliarde, so der Geschäftsführer weiter, werde schneller online sein, als man denke. 41 Prozent der 1.000.000.000 User klickten in Asien und im pazifischen Raum, 28 Prozent in Europa, gut 18 Prozent in Nordamerika, sieben in Lateinamerika und fünf in Nahost und Afrika.

Blackberry-Nutzer Barack Obama ist wohl der erste Politiker, der so viel politisches Kapital aus dem vom Cyberspace verursachten gesellschaftlichen Wandel geschlagen hat. „Ohne das Internet wäre Obama nicht Präsi­dent geworden“, sagt Arianna Huffington, Chefin der nach ihr benannten Online-Zeitung Huffington Post. Schätzungsweise ein Viertel der knapp 70 Millionen Obama-Wähler war vor dem Wahltag per Internet mit dem Kandidaten und gleich gesinnten Aktivisten verbunden: 13 Millionen ließen sich per E-Mail auf dem Laufenden halten (oder um Geld und Unterstützung bitten). Rund fünf Millionen waren Obamas Freunde auf Social-Networking-Sites wie Facebook, zwei Millionen machten mit bei myba­rackobama.com, einem von Facebook-Gründer Chris Hughes entwickelten
Online-Auftritt. Eine Million erhielt Text-Messages per Handy.

Mit Hilfe des Internets schuf der Community Organizer aus Chicago die wohl bestorganisierte Präsidentschaftskampagne der US-Geschichte. Viele E-Mail-Empfänger, myba­rackobama.com und Social-Networking-Teilnehmer blieben nicht isoliert am Laptop sitzen, sondern wurden Aktivisten, die Informationsmeetings für Nachbarn organisierten, von Haus zu Haus gingen und am Wahltag dafür sorgten, dass Anhänger der Demokraten auch wählen gingen. Die User bei myba­rackobama.com waren in 20.000 Gruppen organisiert, nach Geografie und Interesse: die Grünen, die Studenten, die Kriegsgegner, die sozialen Aktivisten und so weiter.

Gratis-Werbung auf YouTube

Als Hillary Clinton begriff, wie effektiv ihr Rivale den politischen Cyber-Acker pflügte, war es schon zu spät. Auch in finanzieller Hinsicht. Drei Millionen Menschen spendeten online für Obama mehr als 500 Millionen Dollar. Ein absoluter Rekord. Damit stellten die Demokraten auch den Republikaner John McCain in den Schatten, der erst im Wahlkampf E-Mails nutzen lernte.

Obama war da schon einen Schritt weiter. Er brachte seine Videos, Ansprachen und Werbespots konsequent beim Video-Portal YouTube unter. Wahlwerbung bei YouTube sei oft effektiver als kostspielige Fernsehwerbung, so sein Wahlberater Joe Trippi in der New York Times: Der Zuschauer nähme das Gebotene bewusster wahr. In Zukunft weiß auch der größte Ignorant: Ohne Netz-Präsenz läuft nichts mehr in der Politik. Seit November des vorigen Jahres analysieren Beraterfirmen Obamas Internetgebrauch und kommen zu dem Schluss, seine Internet-Kampagne profitierte vom Überraschungseffekt, der Computer-Ignoranz seiner Rivalen und der Neuheit der Cyberspace-Werkzeuge.

2004 hatte der Demokrat Howard Dean als erster Präsidentschaftskandidat Online-Spenden gesammelt, doch gab es damals noch keine sozialen Netzwerke, kein Facebook und kein YouTube. Obamas Vorteil war es, verstanden zu haben, dass im Cyberspace unter jungen Menschen neue soziale Beziehungen entstehen. Also sammelte er kreative Experten um sich, die eine Internet-Kampagne erfinden konnten. Und auch die neue Technologie stand für Obamas Botschaft: Es ist endlich Zeit für einen Generationswechsel.

Ein durch die Medien bedingter Wandel geht in den USA oft Hand in Hand mit politischen Veränderungen. John F. Kennedy, der erste Fernsehpräsident, der sich im Wahlkampf von Filmcrews begleiten ließ, verblüffte den Republikaner Richard Nixon, der noch dazu blass und schlecht rasiert bei der ersten Fernsehdebatte auftrat und auf der Mattscheibe einen düsteren Eindruck machte. Jahre später kam ein Konservativer wie Ronald Reagan perfekt mit den elektronischen Medien zurecht. Er war ein Meister des Bildschirms und gut ausgeleuchteter Auftritte. Die Demokraten konnten sich tot ärgern und spotten, dass Reagans „Vorstellungen“ gescriptet seien wie die eines Schauspielers: Das Produkt kam an.

Während der Ära Reagan verstanden es rechte Christen wie republikanische Stammwähler dann, das Medium Fernsehen effektiv zu nutzen, so dass in den achtziger Jahren Hunderte TV-Sender gegründet wurden, mit denen man zwar kaum neue Anhänger gewann, aber die Getreuen bei Bedarf mobilisieren konnte. Das Talk-Radio ist bis heute in den Händen wertkonservativer Moderatoren.

Das Aufbauwerkzeug

Beim Internet jedoch, einem potentiell demokratischen und dezentralisierten Medium, haben die Rechten den Zug verpasst. Sie verbreiten eher Angst vor den Datenströmen mit zu viel Sex, Gewaltverherrlichung und angeblich Jugend verdummenden Videos. Freilich gibt es kaum Gründe, warum sich die Konservativen nicht schon bald in der Online-Welt zurecht finden werden.

Das Internet sei ein „tolles Werkzeug, Menschen zu organisieren“, sagt Präsident Obama. „Aber ich will es nicht nur nutzen, um Wahlen zu gewinnen, sondern auch, um Amerika wieder aufzubauen.“ Ob das funktioniert und das Internet hilft, eine soziale Bewegung zu schaffen, die durch langfristiges gemeinsames Handeln wirkliche Veränderung bringt? Obama hat während des Wahlkampfs 13 Millionen E-Mail-Adressen gesammelt. In einer neuen Organisation Organizing for America, so Obamas Ankündigung auf YouTube, sollen die Wahlaktivisten zu Mitstreitern werden bei anstehenden Reformen. Der Präsident selbst wird sich anscheinend weiterhin via YouTube oder WhiteHouse.gov möglichst oft direkt an die Bürger wenden und die vermeintlichen Meinungsmacher auf den Bildschirmen umgehen. Auf recovery.gov soll zum Beispiel genau Rechenschaft abgelegt werden über das 825-Milliarden-Dollar-Konjunkturpaket.

Obamas Internet-Wahlkampf gewann Energie, weil er so dezentralisiert war: Die Nutzer von mybarackobama.com entschieden letztendlich selber, wie stark sie mitmachen wollten oder was ihre Gruppe tun würde. Nur das Ziel war vorgegeben. Jetzt regiert Barack Obama. Und die „persönlichen“ E-Mails des Präsidenten werden weiterhin das Gefühl wie auch die Illusion vermitteln, dass der Empfänger wichtig ist und mitgestalten darf. Aber ob die 13 Millionen ihren Präsidenten beeinflussen werden und in welche Richtung, weiß man noch nicht.

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