Richard Nixon gewinnt nicht nur – er triumphiert bei der Präsidentenwahl 1972
Zeitgeschichte US-Amerikaner links von der Mitte verstehen häufig nicht, warum so viele Donald Trump wählten. Deshalb lohnt die Erinnerung an den Wahlsieger vor 50 Jahren
Richard Milhous Nixon, US-Präsident von 1969 bis 1974, kann dem Image eines paranoiden Machtpolitikers nicht entkommen. Erinnerungen an den 1994 Verstorbenen sind geprägt von seinem Rücktritt nach der Watergate-Affäre, von Enthüllungen über den Krieg in Indochina bis zum Abzug der US-Truppen Anfang der 1970er Jahre, dazu von illegalen Aktionen gegen politische Gegner. Wie die geplant wurden, kann man nachhören auf ehemals geheimen Tonbandaufzeichnungen. Doch viele in den USA haben Nixon verehrt als Streiter gegen die „Elite“.
Bei der Präsidentenwahl am 7. November 1972 hat Richard Nixon nach seiner ersten Amtszeit den größten republikanischen Wahlsieg der modernen Geschichte eingefahren. Nixon 60,7 Prozent, der demokratische Hera
ische Herausforderer George McGovern, Senator aus South Dakota und Vietnamkriegsgegner, 37,5 Prozent der Stimmen. Und all das im Schatten der 1960er mit ihren gegen Nixon und die bestehende Ordnung gerichteten Umbrüchen, mit den Antikriegsprotesten, der Rebellion junger Menschen und der Bürgerrechtsbewegung, mit den Hippies, der Musik von Bob Dylan, Jimi Hendrix, Janis Joplin, Joan Baez und Santana. Vielerorts hätten Wähler im schlechten Wetter Schlange gestanden zur Stimmabgabe beim Präsidentenvotum 1972, berichtete der Sender CBS in der Wahlnacht.Die gegenwärtige Polarisierung der USA ist insofern nichts Neues. Der Historiker Rick Perlstein hat das Phänomen vor einem halben Jahrhundert in seinem Buch Nixonland: The Rise of a President and the Fracturing of America (Der Aufstieg eines Präsidenten und das Zerbrechen Amerikas) 2008 auf den Punkt gebracht: McGovern stand für die Bewegungen, gegen Militarismus, für eine soziale Wirtschaftspolitik. Nixon habe gewonnen, indem er „den Zorn und das Ressentiment“ vieler auf die Aufbegehrenden „genährt und ausgenutzt“ habe. Die USA seien geteilt und beide Lager überzeugt gewesen, dass mit einem Sieg der anderen eine Apokalypse unausweichlich sei. Donald Trump klingt Jahrzehnte danach wie Nixons Echo. Auch der wollte sich als Opfer der Medien fühlen, die meinten, sie seien etwas Besseres. „Sie blicken hochmütig herab auf den Rest von uns“, schrieb Nixon in seinen Erinnerungen In the Arena (1990). Er habe eine Untersuchung vorliegen, dass 1972 82 Prozent der in Washington akkreditierten Reporter für McGovern gewesen seien.Tatsächlich waren die Karten aus Sicht der Republikaner gut verteilt. Wirtschaftlich ging es den USA nicht schlecht im Wahljahr. Nixons Eigenwerbung rühmte außenpolitische Erfolge. Im Februar 1972 hatte er bei einem spektakulären Besuch in Peking diplomatische Beziehungen zu „Rot-China“ aufgenommen. Im Mai unterzeichnete Nixon mit den Sowjets das SALT-Rüstungskontrollabkommen. Nixon hatte das heiße Thema Vietnam, wo Zehntausende von US-Soldaten gefallen waren, und die zunehmende Kriegsskepsis in der Mitte der Gesellschaft klug entschärft mit der Zusage, Wehrpflichtige würden nicht mehr nach Südostasien geschickt. Er ließ die Häfen Nordvietnams verminen, wollte den Krieg aber zu Ende bringen. Sicherheitsberater Henry Kissinger teilte Ende Oktober 1972 mit: „Peace is at hand“ (Frieden ist nah). Nixon, so schrieb Perlstein, habe seinen Wählern „eine Chance gegeben, für das Ende des Krieges zu stimmen“ und es gleichzeitig den aus seiner Sicht „großmäuligen, ungewaschenen Antikriegsanarchisten heimzuzahlen“. Die Demokratische Partei hingegen war gespalten. Ihr Kandidat McGovern verlangte ein sofortiges Ende des Krieges und ein drastisches Reduzieren des Militäretats. Er galt als „Linker“, der sich bei den Vorwahlen „schockierend“, wie es in Medienberichten hieß, gegen das Parteiestablishment durchgesetzt hatte. In der New York Times stand zum Parteikonvent der Demokraten in Miami Beach, der McGovern im Juli 1972 kürte: Man sehe „mehr Bärte und Blue Jeans“, mehr Schwarze, mehr Frauen, viel mehr junge Menschen. Das Mindestwahlalter war 1971 von 21 auf 18 Jahre gesenkt worden.McGoverns Basis lag in den Bewegungen. Absolut unzufrieden mit diesem Trend waren der Präsident des Gewerkschaftsverbandes AFL-CIO, George Meany, und andere führende Gewerkschaftsvertreter. Der gestandene Antikommunist Meany hielt McGovern – er war Bomberpilot im Zweiten Weltkrieg – für einen „Apologeten des Kommunismus“. Die Führung der Transportarbeitergewerkschaft Teamsters sprach sich für Nixon aus.Die Wahlnacht am 7. November war kurz. Vor Mitternacht schon hieß der Sieger Nixon. „We want George!“, riefen ein paar Tausend McGovern-Anhänger in Sioux Falls, South Dakota. Der Verlierer verkündete, er habe Nixon per Telegramm gratuliert. Die Wahlkampagne sei nicht vergebens gewesen, so McGovern, die Niederlage tue weh, doch ‚„fraglos haben wir das Land in Richtung Frieden bewegt, und wir werden weitermachen, bis das Blutvergießen vorbei ist“. „Four more years“, jubelten Nixons Republikaner im Shoreham Hotel in Washington. Der Gewinner begann seine Ansprache mit einem Scherz zum schnellen Ergebnis. Noch nie habe er bei einer nationalen Wahl so frühzeitig zu Bett gehen können. Auch das junge Amerika habe für ihn gestimmt, erklärte Nixon. Laut Nachwahlbefragungen stimmten tatsächlich 52 Prozent der 18- bis 29-Jährigen für ihn. Es war ein weißer Sieg. 67 Prozent der Weißen wählten Nixon, 82 Prozent der Schwarzen McGovern. Nixon ging noch nicht ins Bett. Präsidentenberater „Bob“ Haldeman schrieb in seinem Tagebuch, der Präsident habe bis lange nach Mitternacht das Wahlergebnis analysiert. Gegen zwei habe sich Nixon Eier und Schinkenspeck, Milch und Toast kommen lassen. Schwierig sei gewesen, dass viele Republikaner im Kongress nicht so gut abgeschnitten hatten. Wegen eines herausgebrochenen Zahnes habe Nixon seinen Urlaub in Florida um einen Tag verschieben müssen.Bald sollte ihn Watergate einholen. Ein Artikel in der Washington Post im Juni 1972 über den Einbruch von fünf Männern im Büro der Demokratischen Partei im Watergate Hotel- und Bürokomplex, darunter der Sicherheitschef des Komitees zur Wiederwahl, hatte Nixon noch nicht wehgetan am Wahltag. Weitere Enthüllungen folgten, die Nixon nicht kontrollieren konnte. Mit „Watergate“ meint man heute illegale Parteispenden, schmutzige Tricks, ein Geheimkonto, das von Justizminister John Mitchell gemanagt wurde, und Nixons geheimes Tonbandsystem. Die Partei sollte Nixon nicht treu bleiben. Ermittlungen nahmen ihren Lauf. Gegen Haldeman und weitere enge Mitarbeiter wurde im Frühjahr 1974 Anklage erhoben. Das Oberste Gericht urteilte, Nixon müsse Tonbandaufnahmen zum Einbruch freigeben. Am 8. August 1974 teilte der Präsident mit, er werde zurücktreten. Das Amt übernahm sein Vize Gerald Ford, der Nixon einen Monat später vorbeugend begnadigte.Die nach und nach veröffentlichten Tonbänder sind ein Offenbarungseid. Da ist allerhand zu hören, von antisemitischen Kommentaren (Washington sei „voller Juden“, und die meisten seien nicht loyal) bis zur Aufforderung, auf Gewalt im Wahlkampf nicht zu verzichten. Die Teamsters-Gewerkschaft habe Typen, die Demonstranten „den Schädel einschlagen“, sagte Nixon im Mai 1971 zu Stabschef Haldeman. „Mörder“, stimmte der zu, „Kerle, wissen Sie, die das wirklich tun.“McGovern blieb bis 1981 im Senat. Die Ursachen seiner Niederlage sind komplex. Sehr ungünstig waren mediale Spekulationen im Sommer 1972, McGoverns Vizepräsidentschaftskandidat Thomas Eagleton leide an Depressionen. McGovern sagte anfangs, er stehe zu Eagleton, ließ ihn dann aber fallen. Der eher konservative Flügel der Partei wollte es als Warnung verstanden wissen, dass ein Kandidat nicht zu links sein dürfe. 1976 nominierten die Demokraten Jimmy Carter, der vier Jahre zuvor in den Vorwahlen gegen McGovern unterlegen war. Carter gewann gegen Ford, hat aber dann nach einer Amtszeit mit 41 Prozent gegen Ronald Reagan verloren.
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.