Vielleicht doch Kerry?

Kommentar US-Präsidentschaftswahlen

Nach den Bush-Kerry-Debatten im Fernsehen werden Parallelen gezogen: Die an Niederlagen gegen George W. Bush gewöhnten Demokraten halten es nun für möglich, dass ihr Mann am 2. November keine Gratulationsansprache halten muss. Auch bei den Vorwahlen habe man John Kerry lange keine Chancen gegeben. Doch ganz am Schluss habe der noch die Kurve gekriegt und sei als erster ins Ziel galoppiert. Der John Kerry in den Debatten mit Bush entsprach nicht dem unentschlossenen, verweichlichten Liberalen, wie ihn die gegnerische Kampagne dargestellt hatte. Kerrys Image war fernsehgerecht positiv. Der Senator sah aus, wie sich viele der 60 Millionen Zuschauer einen Präsidenten vorstellen. Präzise formulierte Aussagen, scheinbar souverän mit den Fakten, passende Krawatte. Bush dagegen erschien gereizt und fast beleidigt, dass er sich Kerrys Kritik anhören musste. Enthusiasmus fehlte ihm selbst bei wohl einstudierten Sätzen, der Kampf für die Freiheit sei eben hart.

Aber ganz gleich, was Bush und Kerry tun: Kalifornien, Massachusetts und New York wählen garantiert demokratisch - Texas, Alabama und South Carolina republikanisch. Zehn Staaten sind es vielleicht noch, in denen das Ergebnis auf der Kippe steht - und dorthin, nach Ohio, Iowa, Florida, Pennsylvania und Wisconsin, fließen nun die Ressourcen beider Lager, um jene zehn Prozent der Wähler zu gewinnen, die angeblich "unentschlossen" sind. Bush und Kerry kämpfen nun darum, wer die Themen vorgibt. Vor dem Fernsehduell gaben die Republikaner den Ton an, lenkten ab vom Irak, stellten in Frage, ob Kerry seine Vietnamkriegsorden zu Recht erhalten habe und bei seiner angeblich wankelmütigen Haltung zu Terrorismus und Irak ein glaubwürdiger Commander in Chief sein könne. Selbst beim demokratischen Parteikonvent hatte der Herausforderer Attacken auf Bush vermieden. Jetzt beim Fernsehstreit erklangen aggressive Töne: Bush habe im Irak "eine kolossale Fehlentscheidung" getroffen.

Letztlich gewinnt man die Wahlen nicht nur durch Appelle an "unentschlossene" Wähler. Man muss auch die Stammwähler mobilisieren, bei den Demokraten vor allem die Afro-Amerikaner und die unteren Einkommensgruppen. Kerry hat bisher wenig gesagt über Wirtschaftsprogramme, die Einkommensschwachen, aber auch der Mittelklasse zugute kämen. Bush macht Klassenkampf von oben, Kerry macht keinen. Und nur selten organisiert dessen fast schneeweiße Wahlmannschaft Meetings in afroamerikanischen Wohngegenden.

In vielen Bundesstaaten berichten die Wahlbehörden über ungewöhnlich viele Bürger, die sich registrieren ließen, ein notwendiger Schritt, will man im November wählen gehen. Eine starke Wahlbeteiligung hilft den Demokraten - aber noch immer geistert Ralph Nader durchs Land mit seinen Vorhaltungen, Bush und Kerry würden sich kaum unterscheiden.


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