Der demokratische Vorwahlkampf in den USA liefert Material für eine nicht enden wollende Fernsehserie, eine Mischung aus Seifenoper und Drama. Die programmatischen Differenzen bleiben gering. Es geht nicht um Inhalte, sondern um Persönlichkeit, um vermeintliche Wählbarkeit und Identität.
Ein Mathematiker wäre versucht zu sagen: Die Sache ist gelaufen. Rein rechnerisch hat Hillary Clinton nur noch äußerst minimale Chancen, Barack Obama einzuholen. Bis Ende März hatte der 1.632 Delegiertenstimmen für den Nominierungsparteitag gesammelt, Hillary Clinton 1.499 (s. www.realclearpolitics.com). Bei den noch anstehenden Vorwahlen in neun Staaten und im Territorium Guam geht es um weitere 599 Delegierte. In mehreren Bundesstaaten liegt Clinton vorn, in anderen Obama. Delegiertenstimmen werden proportional verteilt. Bei bisherigen Vorwahlen haben die Sieger selten mehr als 60 Prozent der Stimmen (und die entsprechende Anzahl der Delegierten) bekommen. Hält dieser Trend wie erwartet an, könnte Clinton nicht aufholen, selbst wenn sie fast alle ausstehenden Vorwahlen gewinnt.
Hillary sollte Schluss machen zum Wohl der Partei, sagt Senator Leahy
Aber der Wahlkampf geht weiter. Hillary Clinton versichert, sie denke nicht ans Aufgeben, erst müssten alle gewählt haben und alle Stimmen gezählt sein. Sie wehrt sich energisch gegen Forderungen, wie sie kürzlich von Senator Patrick Leahy kamen, einem der großen alten Männer der Partei, die Senatorin solle zum Wohle der Demokraten Schluss machen. Die Untertöne aus dem Clinton-Lager sind nicht zu überhören: Die Männer wollten die Frau aus dem Ring drängen. Barack Obamas Leute ihrerseits beschweren sich über den fehlenden Respekt von Seiten Clintons, etwa durch das "Angebot", Obama könne doch Clintons Vize werden. Barack Obama selber hält sich zurück: Seine Rivalin solle kandidieren, so lang sie wolle.
John McCain muss gemischte Gefühle haben: Vielleicht zerfleischen sich die Demokraten selber. Andererseits fliegt McCain angesichts des viel beachteten Clinton-Obama- Hickhacks schon seit Wochen unter dem Radar; da kann er keine Wähler und Geldgeber mobilisieren. Und die unabwendbaren schädlichen oder gar explosiven McCain-Enthüllungsgeschichten kommen daher ungünstigerweise nicht jetzt, sondern später im Herbst, kurz vor den Wahlen am 4. November. Journalisten bietet sich in dieser Hinsicht ein buntes Themenspektrum: Über McCains Freundschaft mit Lobbyisten, zum Beispiel, und seine ursprünglichen Prognosen vom schnellen Sieg im Irak-Krieg. Und über zwei Pastoren bei McCains Wahlveranstaltungen: Den Fernsehprediger Rod Parsley aus Ohio, der zum christlichen Krieg gegen die "falsche Religion" Islam aufruft, und den Endzeitprediger John Hagee aus Texas, der den Weltuntergang für spätestens 2030 prophezeit.
Zum Sieg beim demokratischen Parteikonvent in Denver braucht man 2.025 Delegiertenstimmen. Weder Obama noch Clinton werden diese Zahl mit den bei Vorwahlen gewählten Delegierten erreichen. Ein Teil der "fehlenden" Delegierten könnte aus Florida und Michigan kommen: Beide Staaten veranstalteten ihre Vorwahlen vor der offiziellen Wahlsaison, anscheinend in der Hoffnung, dadurch mehr Einfluss zu gewinnen, und in der Annahme, die Partei werde es mit den Regeln nicht so genau nehmen. Denen zufolge werden Delegierte aus Staaten mit nicht konformen Wahlterminen nicht anerkannt. Clinton "gewann" in beiden Staaten, wobei Obama in Michigan nicht einmal auf dem Stimmzettel stand. Clinton fordert nun die Anerkennung aller Delegierten oder zumindest Neuwahlen. Die Parteiführung muss sich etwas Salomonisches einfallen lassen. Sie kann Delegierte aus zwei großen Staaten nicht vor die Tür stellen, sie kann aber auch nicht zulassen, dass Regeln ignoriert werden.
Der ganz große Fisch beim Parteitag sind die knapp 800 "Superdelegierten" - Abgeordnete, Senatoren, Gouverneure, Parteifunktionäre und andere Honoratioren. Die Demokratische Partei hat die Institution "Superdelegierte" 1982 ins Leben gerufen; die Superpolitiker sollten in ihrer vermeintlichen Weisheit bei knappen Vorwahlen den Ausschlag geben. Superdelegierte können sich frei entscheiden. Zu Beginn des Wahlkampfs hatte Hillary Clinton einen deutlichen Vorsprung bei dieser Kategorie von Entscheidungsträgern; jetzt ist der zusammengeschmolzen. Viele von Obamas Anhängern unter den Superdelegierten begründen ihre Entscheidung ähnlich wie dieÊdemokratische Senatorin Amy Klobuchar, die sich Ende März für den Senator aussprach: Obama habe im ganzen Land einen enormen "Enthusiasmus und Idealismus" ausgelöst.
Der Rest des Vorwahlkampfs wird sich also auch an dieÊunentschlossenen Superdelegierten richten. Und das mit dem Hauptthema: Wer ist wählbarer gegen McCain, die weiße Frau oder der schwarze Mann? Obamas anfängliche Strategie, als Barrieren überwindender Sohn einer weißen Amerikanerin und eines schwarzen Afrikaners aufzutreten, und nicht als "schwarzer" Politiker, ist kürzlich mit den afro-zentrischen Predigten von Obamas langjährigem Seelsorger Jeremiah Wright kollidiert. Umfragen zufolge hat sich die Episode inzwischen allerdings eher positiv ausgewirkt: Obamas Rede über Rasse in Amerika, wurde von vielen US-Amerikanern anscheinend als erfrischend ehrlich empfunden (s. Dokumentation). Die Angriffe von Clinton und ihren Leuten, Obama hätte sich viel früher von Wright distanzieren müssen, habenÊClinton Ansehen gekostet.
Vor einem Jahr noch schien es unvorstellbar, dass der Irak-Krieg im Wahlkampf ein Nebenthema werden würde. Oder dass die Kandidaten wenig über die katastrophale Situation der Krankenversicherung sprechen. Aber die viel kolportierte Formel lässt sich nicht bestreiten: Die Kandidaten kandidierten hauptsächlich deshalb, weil sie die "besseren" Kandidaten seien. Und obwohl - wie man weiß - das Persönliche auch politisch ist (vor allem wenn es um Rasse und Gender geht), verdrängt gegenwärtig das Persönliche das Politische.
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