Vietnam-Memorial in Washington: Die Namen der Toten auf poliertem Granit
Zeitgeschichte 1982: Ein Denkmal in Washington für die in Vietnam Gefallenen soll den USA innere Versöhnung bringen und die Veteranen ehren, doch die Regierung glänzt durch Abwesenheit und nach Verantwortung wird nicht gefragt
Bis heute kommen jedes Jahr Millionen Menschen zum Vietnam Veterans Memorial. Am 13. November 1982 wurde die Gedenkstätte eingeweiht, in deren Mauern die Namen der mehr als 58.000 Soldaten und Offiziere eingemeißelt sind, die von 1959 bis 1975 in Indochina zu Tode kamen. Der erste Gefallene war am 8. Juli 1959 Major Dale Buis, Berater der südvietnamesischen Streitkräfte. Das furchtbarste Jahr gab es 1968 mit Verlusten von beinahe 17.000 Mann.
Es war sonnig vor vier Jahrzehnten bei der Einweihung. Zehntausende von Veteranen kamen, viele Familien mit Kindern. Abordnungen der Streitkräfte präsentierten ihre Fahnen, eine Militärkapelle spielte, Jets flogen über den Gedenkort hinweg. Hohe Regierungsvertreter waren nicht in Sicht. Das offizielle Washington
ashington wusste nicht so recht, was tun mit diesen Männern, die dem gewohnten Bild vom Helden kaum entsprachen. Präsident Ronald Reagan war im Weißen Haus; auf seinem Terminkalender stand die Unterschrift im Kondolenzbuch der sowjetischen Botschaft nach dem Tod von Staatschef Leonid Breschnew am 10. November 1982. Zur Eröffnung eines Monuments für die Veteranen des Zweiten Weltkrieges kam im Jahr 2004 der damalige Präsident George W. Bush.Geschätzte 2,7 Millionen Angehörige der Army waren im Einsatz in Südvietnam, Laos und Kambodscha. Reagans Verteidigungsminister Caspar Weinberger aber grüßte die im November 1982 Versammelten lediglich per Brief. „Im Laufe der Zeit sind die Wunden unserer Nation geheilt“, schrieb er. Und an die Veteranen gerichtet: „Wir haben Ihre Opfer endlich würdigen gelernt, und wir zollen Ihnen die Anerkennung, die Sie so sehr verdienen.“ Der lutherische Militärgeistliche und Vietnamveteran Max Sullivan betete in mit Orden bestückter Uniform. Das Mahnmal biete eine Chance, sagte er, Leid, Bitterkeit und Schuld hinter sich zu lassen. Es könne ein „Instrument des Verzeihens“ sein. Sullivan ließ offen, wer wem verzeihen sollte und warum. Das Wort „Schuld“ fiel aus der Reihe an einem Tag, an dem die geschätzt zwei Millionen toten Vietnamesen keine Rolle spielten. Die US-Armee hatte zivile Ziele mit Napalm bombardiert, das Entlaubungsmittel Agent Orange versprüht und Massaker zu verantworten, wie das wohl dokumentierte im Dorf My Lai 1968. Ganz abgesehen von den zahllosen „Free Fire Zones“ in Südvietnam, in denen US-Soldaten mit allem auf alles schießen durften.Vietnam war „schwierig“ für die USA. Je länger der Krieg dauerte, desto mehr ließ zu Hause die Unterstützung nach. Jungen Männern drohte die Wehrpflicht. Sie wurde erst 1973 abgeschafft; seitdem kämpfen Berufsmilitärs. Und die USA verloren den Krieg, auch wenn man das nie so formuliert hat. Zehntausende von jungen Amerikanern hatten die USA verlassen, die meisten in Richtung Kanada, um der Wehrpflicht zu entkommen. Viele fanden andere Wege, sich zu entziehen. Der demokratische Präsident Jimmy Carter erließ unmittelbar nach seinem Amtsantritt 1977 eine Amnestie für die Verweigerer.US-Senator John Warner, Marineminister von 1972 bis 1974, nannte das Monument bei der Einweihung ein Symbol der Hoffnung. Künftige Politiker würden jede denkbare Chance nutzen, internationale Konflikte beizulegen, bevor die Streitkräfte eingesetzt würden. Die Nation müsse einsehen, dass ein Sieg nur möglich sei, wenn die Menschen in der Heimat „die unterstützen, die wir in den Kampf schicken“. Ein Satz mit einem nachhallenden Echo, weil er Kriegsgegner mitverantwortlich machen wollte für die Niederlage.Durch das Programm der Einweihung führte Vietnamveteran Jan Scruggs, Initiator des Denkmals. Er wolle sich an „die erinnern, die von uns genommen worden sind“, sagte er. Nach der Hymne God Bless America und einer Schweigeminute verlas Scruggs einen Text des Schriftstellers Philip Caputo, ebenfalls Vietnamkämpfer. Er sprach von einem Gefallenen, der den USA bis zum Tod die Treue gehalten habe. Doch die Nation habe den Veteranen nicht die Treue gehalten, hieß es darin. Man habe den Krieg vergessen wollen. Denkmäler würden es dem Land nun schwerer machen, „in der Amnesie zu versinken“.Jan Scruggs aus Bowie in Maryland hatte sich vierzehn Jahre zuvor freiwillig zur Army gemeldet im furchtbaren 1968. Zu Hause lief es nicht optimal für den 18-Jährigen. Sein Vater habe nach der Scheidung wieder geheiratet. Mit der Neuen sei kein Auskommen gewesen, so Scruggs im Podcast warriors-in-their-own-words („Krieger mit ihren eigenen Worten“). Er habe gewusst, wie man das Öl im Auto wechselt und einen Pkw betankt, sonst nichts. Die Army schien eine kluge Entscheidung zu sein. Hätten seine Eltern Geld gehabt, wäre er vermutlich wie seine Freunde aufs College gegangen und nicht nach Vietnam.Es war dort bei den Einsätzen im Dschungel so, dass Scruggs manchmal nicht wusste, wo er war. Ende Mai 1969 landeten zwei Panzerfäuste ganz in seiner Nähe. Schwer verwundet habe er das Vaterunser gebetet und mit Gott gehadert: Es sei doch unfair, dass er mitten im Dschungel sterben müsse. Scruggs kam durch. Nach mehr als zwei Monaten im Lazarett kehrte er zu seinen Kameraden zurück. Der 21. Januar 1970 hatte in seiner Einheit normal begonnen. Dann gab es eine heftige Explosion. Ein Lastwagen mit Mörsergranaten war explodiert, ein Ladefehler, wie sich herausstellte. „Sanitäter, Sanitäter, Sanitäter!“, habe er geschrien und geholfen, Verwundete zu bergen. „Blut, Arme, Beine, Gehirn, alles, was man sich vorstellen kann.“ Keiner der zwölf Soldaten auf dem Wagen habe überlebt. Sie hießen Terrance Lee Drea, Thomas Mark Gaither, Pedro Acevedo Gonzalez, Roger Eugene Key, John Curtis Kroeger, Kenneth Richard Kroehler, Floyd Sanford McCreery, Larry Donnell Murray, John David Frederick Pies, Robert Hoyt Ruggles, Jerome Robert Sain und Kerry Lamont Taylor.Nach der Heimkehr arbeitete Scruggs als Hausmeister. „Mein Leben ist scheiße“, habe er gedacht und an einem Tag im Jahr 1972 einen Colt an die Stirn gesetzt, aber dann doch nicht abgedrückt. Er habe dann Psychologie studiert und sich mit dem wenig erforschten Krankheitsbild der Posttraumatischen Belastungsstörung befasst, mit der damals viele Veteranen zu kämpfen hatten. 1978 lief der Vietnamkriegsfilm The Deer Hunter („Die durch die Hölle gehen“) mit Robert De Niro, John Savage, Christopher Walken und Meryl Streep. Es geht um das Schicksal von drei jungen Stahlarbeitern aus Pennsylvania, die in Vietnam Schreckliches erleben und tun und nicht mehr zurückfinden zu ihrem früheren Leben. Das sei der Auslöser gewesen für die Entscheidung, den Veteranen ein Denkmal zu bauen. Eine Gruppe tat sich zusammen und bekam fachlichen Beistand von Studenten der Harvard Business School, dazu viele Spenden. Die Regierung stellte ein Grundstück zur Verfügung. Bei der Ausschreibung bekam Maya Lin, Architekturstudentin aus Ohio, den Zuschlag für ihr Konzept einer polierten Granitmauer, sodass man sein eigenes Gesicht sieht beim Blick auf die Namen. Die zwölf vom explodierten Lastwagen stehen nebeneinander.Das Denkmal sollte schwarz sein, bestimmte Lin, nicht weiß, wie andere Monumente in Washington. Manchem war das nicht patriotisch genug. Später wurde das Denkmal ergänzt mit Bronzestatuen von drei Soldaten und drei Krankenschwestern, die einen verwundeten GI versorgen, und durch eine Fahnenstange mit Nationalflagge.Robert McNamara war Verteidigungsminister von 1961 bis 1968. In der McNamara-Biografie Promise and Power von 1993 schrieb Autorin Deborah Shapley über McNamaras offenbar kurze Auseinandersetzung mit dem Denkmal. Scruggs habe McNamara, damals Präsident der Weltbank, angerufen. Ob dieser helfen wolle mit der Finanzierung? Er könne für Kontakte sorgen, habe McNamara gesagt. Scruggs solle ihm „einen Brief schreiben, und dann reden wir wieder“. Scruggs habe das getan und später eine Telefonnachricht hinterlassen, doch McNamara habe sich nie mehr gemeldet.
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