Richard Nixon wurde Ende 1972 mit großer Mehrheit als Präsident der Vereinigten Staaten wiedergewählt. Zu dem Zeitpunkt waren in Vietnam schon Zehntausende US-amerikanische Soldaten tot, und in den USA mobilisierte eine Millionen Anhänger starke Anti-Kriegsbewegung gegen die damalige Truppenpräsenz in Indochina, aber ein Ende der Kampfhandlungen schien nicht in Sicht. Die bereits im Mai 1968 begonnenen Pariser Friedensverhandlungen (s. Übersicht) zwischen Washington und Hanoi sowie der südvietnamesischen Regierung und der Nationalen Befreiungsfront Südvietnams (FNL) waren immer wieder unterbrochen worden. Nixon hatte allerdings mit einem Teilrückzug begonnen, "Vietnamisierung" der Särge nannte sich diese Politik inoffiziell.
Was wohl im November nächsten Jahres nach der Präsidentschaftswahl in den Schlagzeilen steht? Die fortgesetzt schlechten Nachrichten aus dem Irak und die offensichtlich völlig überstürzte "Irakisierung" des Konflikts durch die Ankündigung, möglichst bald eine "vorläufige Regierung" einsetzen zu wollen, verleiten Kriegsgegner und so manche Politiker der Demokratischen Partei zur Annahme, das Desaster an Euphrat und Tigris werde dem US-Präsidenten den politischen Kragen kosten. Man hofft so inbrünstig, als habe es Richard Nixon 1972 nicht gegeben.
In der Tat muss das lange so souverän auftretende Team Bush-Cheney-Rumsfeld-Rice derzeit gewaltige Klimmzüge machen. Condi Co. haben wohl schon Muskelkater. Zu viele Prognosen sind nicht eingetroffen. Keine Massenvernichtungswaffen gefunden, kaum jubelnde Iraker am Straßenrand, nur wenige ausländische Verbündete, die den Kopf hinhalten oder wenigstens zahlen wollen, keine rapide fortschreitende Demokratisierung im Irak und im Rest des Nahen Ostens. Statt dessen am vergangenen Wochenende noch einmal zwei Black Hawk Helikopter down und ein an die Medien durchgesickerter Bericht des Geheimdienstes CIA, dass der Widerstand gegen die "Koalitionsstreitkräfte" an Stärke gewinne. "Zehntausende" Iraker - heißt es - müssten als "aktive" Widerständler eingestuft werden. Die USA befänden sich im "Krieg", sagt General Ricardo Sanchez, Kommandeur der 130.000 US-Soldaten im Irak. Und von Saddam Hussein nach wie vor keine Spur.
Die Rechtfertigung für die Militärpräsenz im Irak mutiert zu einer Prestigeangelegenheit. Man kämpft noch immer für Freiheit und Demokratie. Und man bleibt im Irak, weil man gar nicht mehr weg kann. Weil sich die USA - Supermacht der Welt - doch nicht vertreiben lassen können von ein paar tausend Arabern. Bushs Leute sind ohne Zweifel auf der Suche nach einer gesichtswahrenden Exit-Strategie. Sie stecken ganz gewaltig in der Klemme: Wollten sie den Widerstand im Irak militärisch besiegen, bräuchten sie wohl wesentlich mehr Personal. Die neue "Operation Eisenhammer" mit den Luftangriffen auf alte Fabrikhallen und dergleichen dürfte nicht ausreichen. Für die Entsendung zusätzlicher Militäreinheiten hat Donald Rumsfeld aber keinen Magen. Der politische Ausweg der "Irakisierung" wird jedoch erschwert durch die anscheinend wachsende Stärke der bewaffneten Opposition. Und so weiter, und so fort - man ist im Teufelskreis.
Im Hinblick auf die Wahl in einem Jahr jedoch muss Präsident Bush trotz seines "Irakproblems" noch lange nicht in Panik geraten. Die Oppositionsbewegung ist heute bei weitem nicht so zahlenstark wie die seinerzeit gegen Nixon. Und die Zahl der Todesopfer ist noch minimal, verglichen mit den amerikanischen Opfern in Johnsons und Nixons Vietnam. Und Nixon hat seinerzeit gewonnen. Für Bushs Wiederwahl sind nicht die Meinungsumfragen wesentlich, denn der Republikanischen Partei ist es gelungen, eine engagierte Basis zu schaffen, die sich - wenn in die Enge getrieben - eher noch stärker mobilisieren lässt. Eine Basis aus dem "Big Business", den rechten Christen, den Sozialkonservativen und denen, die um ihre persönliche Sicherheit fürchten im Zeitalter des Terrorismus. Untereinander mögen sich diese Gruppen streiten, vereinigt sind sie in ihrer Unterstützung von Präsident Bush und der Partei, die auch in diesem Fall wohl immer recht hat. Von den vier Gouverneurswahlen der vergangenen Monate haben republikanische Kandidaten drei gewonnen - in Kalifornien, Kentucky und Mississippi, nur eine ging verloren, in Louisiana.
Nixon hatte eine ähnlich harte Basis wie Bush, und musste - wie der jetzige Präsident - zum Wahlsieg nur einen bestimmten Anteil aus der politischen Mitte zu seinen rechten Freunden dazugewinnen, und siehe da: Wahlsieg. Bei Präsidentschaftswahlen kommt es ohnehin nicht auf landesweite Mehrheiten an, sondern auf Mehrheiten in genügend Bundesstaaten, um die nötige Zahl der Wahlmänner zusammen zu bekommen. Im frühen 21. Jahrhundert dominieren die Republikaner in den Südstaaten so stark, dass die Demokraten dort eigentlich gar nicht anzutreten brauchen. Die 13 Südstaaten stellen allein schon zwei Drittel der Wahlmänner. Kämen dazu noch ein paar republikanische Siege im Mittleren Westen und im Westen, würde es reichen, und es wäre irrelevant, dass Hunderttausende in New York und San Francisco gegen den Krieg auf die Straße gegangen sind. Und es wäre ebenso irrelevant, dass die Intellektuellen sich über Bushs Lügen empört und Michael Moores Bücher auf die Bestsellerlisten katapultiert haben.
Vietnam-Ausstieg 1970 - 1975
März 1970 - Kambodschas Staatschef Norodom Sihanouk wird vom Oberkommandierenden der eigenen Armee, General Lon Nol, gestürzt, nachdem er sich geweigert hatte, seine Neutralitätspolitik gegenüber den USA, Nord- und Südvietnam aufzugeben
April 1970 - Südvietnamesische Truppen und US-Verbände intervenieren in Kambodscha.
März 1972 - Großoffensive der nordvietnamesischen Truppen am 17. Breitengrad - der Grenze zwischen der Demokratischen Republik Vietnam (DRV) und der Republik Vietnam (Südvietnam). Die US-Truppen und ihre südvietnamesischen Alliierten müssen teilweise hohe Verluste hinnehmen. Die US-Luftwaffe forciert daraufhin wieder den Luftkrieg gegen die DRV.
Juli 1972 - Wiederaufnahme der Pariser Vietnam-Verhandlungen, die jedoch stagnieren.
Dezember 1972 - "Weihnachtsbombardement" der US-Luftwaffe auf Hanoi und Haiphong im Norden Vietnams, das weltweit, aber besonders in den USA selbst, zu massiven Protesten führt.
Januar 1973 - in Paris wird ein Waffenstillstandsabkommen unterzeichnet, das einen beschleunigten Abzug der US-Truppen aus Vietnam vorsieht.
April/Mai 1973 - Abzug der letzten US-Militärverbände aus Indochina überhaupt
April 1975 - Einzug der nordvietnamesischen Armee in Saigon, Flucht der letzten US-Militärberater und des diplomatischen Personals.
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