Nach drei Jahrzehnten mühsamer Lobbyarbeit wähnt sich die US-amerikanische Anti-Abtreibungsbewegung auf der Zielgeraden: Das seit 1973 geltende Recht jeder Frau zum Schwangerschaftsabbruch auf Wunsch dürfte schon bald geschwächt oder möglicherweise ganz aufgehoben werden. Der Bundesstaat Süd Dakota hat im Februar ein beispielloses Anti-Abtreibungsgesetz beschlossen: Ärzten, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, drohen demnach fünf Jahre Haft. Konservative Verbände hatten hart organisiert, und das Gesetz mit großen Mehrheiten in Senat und Landtag durchgesetzt.
Das ist aber nicht das Ende: Der Familienplanungsverband Planned Parenthood, der die einzige Abtreibungsklinik in Süd Dakota betreibt, will gegen das Gesetz klagen. Verstoße es doch eindeutig gegen das maßgebende Urteil des Obersten US-Gerichts von 1973, wonach das Recht auf Abtreibung im Rahmen der verfassungsrechtlich verbrieften, persönlichen Grundfreiheiten garantiert sei und Bundesstaaten keine zuwider laufenden Gesetze erlassen dürften. Abtreibungsgegner kapieren das freilich auch: Sie sehen das Gesetz in Süd Dakota als Werkzeug, die Revision des Urteils zu erreichen.
Eigentlich macht Süd Dakota selten Schlagzeilen. Wer Glück hat bei einem Besuch im Bundesstaat, kann auch schon mal Büffel auf freier Wildbahn sehen. Wilder Westen sozusagen, endlose Prärie und Berge, Winnetou und Old Shatterhand müssten eigentlich gleich durch den Canyon galoppieren. Der Staat ist doppelt so groß wie Österreich, hat aber nur knapp 800.000 Einwohner.
In den USA werden etwa 1,3 Millionen Abtreibungen im Jahr vorgenommen. Das hat viel mit einem im Vergleich zu anderen industrialisierten Ländern dürftigen Zugang zu Verhütungsmitteln und -information zu tun. Etwa die Hälfte der Schwangerschaften in den USA ist nach Angaben des Familienplanungszentrums im Alan-Guttmacher-Institut "nicht geplant"; die Hälfte dieser ungeplanten Schwangerschaften würde abgebrochen. Mit keinem anderen Anliegen mobilisiert die konservative Bewegung so viele Anhänger wie mit der Abtreibung: Hier kommen die evangelikalen Rechtschristen zusammen mit den orthodoxen Katholiken - Glaubensgruppen, die eigentlich auf theologischem Kriegsfuss stehen. Manche Evangelikale machen den Katholiken das Seelenheil streitig, da sie nicht "im Heiligen Geist neu geboren" seien. Orthodoxe Katholiken ihrerseits halten die Kirche von Rom für die einzig wahre. Den Abtreibungsgegnern ist es gelungen, die Zahl der Ärzte zu reduzieren, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. In drei Staaten - Süd Dakota, Nord Dakota und Mississippi - gibt es nur mehr eine Klinik für Schwangerschaftsabbrüche. Frauenkliniken haben Probleme, Räume zu mieten. Vielerorts ist es gesellschaftlich und beruflich nicht opportun, als "Abtreibungsarzt" bekannt zu sein. Und im Hintergrund stehen die Aktionen gewalttätiger Abtreibungsgegner: Hunderte Bombenanschläge, Vandalismus gegen Frauenkliniken, Morde an mehreren Frauenärzten - auch wenn sich etablierte Verbände der Lebensschützer von der Gewalt distanzieren.
Auf Gesetzesebene hielt sich der Erfolg der Anti-Abtreibungsverbände bisher in Grenzen. So lange das Urteil von 1973 steht, kann sich nichts Grundsätzliches ändern. Nur das Oberste Gericht selber könnte es aufheben oder abschwächen. Und George W. Bush hat zwei prominente Abtreibungsgegner zu Richtern an dieser höchsten Rechtsinstanz ernannt, Samuel Alito und John Roberts. Nach Umfragen ist die Mehrheit der Amerikaner gegen ein Abtreibungsverbot. Allerdings wäre eine Mehrheit mit gewissen Restriktionen einverstanden. Die Verbände für das Recht auf Abtreibung sind im Hintertreffen in der öffentlichen Debatte auch wegen ihres oft vereinfachten Festhaltens an eben diesem Recht. Das Magazin Newsweek berichtete jüngst über eine Strategiekonferenz von Verbänden für das Recht auf Abtreibung. Man wolle dieses Recht verteidigen, aber auch einräumen, dass Abtreibung ein "notwendiges Übel" sei. "Man vertraut uns nicht, wenn wir hartherzig erscheinen", warnte Frances Kissling, Direktorin von "Katholiken für freie Wahl". Die Bewegung müsse die Komplexitäten bei dieser Diskussion anerkennen.
Der Rechtsstreit um das Gesetz in Süd Dakota dürfte zunächst jahrelang durch die Gerichte ziehen, bis hin zum Obersten Gericht. Trotz der beiden Neuernennungen besteht dort augenblicklich wohl noch keine Mehrheit, um das Urteil von 1973 vollends zu kassieren. Vier Richter würden daran festhalten, vier würden es abschaffen wollen - der neunte Richter gilt als unentschieden, tendiert aber zum Status quo. Manchen Anti-Abtreibungsgruppen kam das Gesetz in Süd Dakota zu schnell: Man dürfe die Entscheidung von 1973 noch nicht frontal mit einem absoluten Verbot angreifen, sondern müsse "salamitaktisch" Gesetze verabschieden, die das Recht einschränken, und dann sehen, wie flexibel das Oberste Gericht urteilt. Selbst der Präsident mäkelt: Er meine, Frauen hätten das Recht, nach einer Vergewaltigung abzutreiben. Das Gesetz in Süd Dakota sieht diese Ausnahme nicht vor.
Abtreibungsgegner hoffen nun, George Bush werde in der ihm verbleibenden Amtszeit noch einmal eine Chance erhalten, einen Richter zu ernennen, um im Obersten Gerichtshof für klare Verhältnisse zu sorgen. Nicht umsonst hat Fernsehprediger Pat Robertson gefordert, man solle beten, dass ein Sitz im Gericht frei werde. Die Richter werden auf Lebenszeit ernannt.
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