Irgendwie sind Anhänger der rechtspopulistischen Tea-Party-Gruppierungen verblüfft. Gibt man sich doch als Stimme des kleinen Mannes, der seine Nation zurückerobern wolle von der Elite: Und da stellen ausgerechnet die Gegner mehrerer von der Tea Party hofierter Gouverneure Protestaktionen auf die Beine, die in einem Bundesstaat allein – in Wisconsin nämlich – an Ausmaß und Energie das übertreffen, was die Teepartei bisher bei nationalen Kundgebungen zusammenbrachte.
Ruhe auf den Straßen von Madison?
Gelegen im mittleren Westen, doppelt so groß wie der Freistaat Bayern, fünfeinhalb Millionen Einwohner: Wisconsin kennt man gemeinhin als den Staat mit dem wohl besten Käse in den USA. Seit mehr als drei Wochen, fast täglich, demonstrieren dort Gewerkschafter und das progressive Amerika gegen die Schock-Doktrin des seit Januar amtierenden republikanischen Gouverneurs Scott Walker. Am vergangenen Wochenende waren es laut Polizei wieder 80.000 bis 100.000 in der Hauptstadt Madison. Die Rechten kommen wirklich nicht zurecht mit diesem Bürgeraufstand. Rush Limbaugh, der meist gehörte konservative Rundfunkmoderator, verkündete vor der jüngsten Großkundgebung absolut deplatziert, es sei „unheimlich ruhig“ geworden auf den Straßen von Madison.
Wie viele US-Staaten hat Wisconsin kaum noch wirtschaftspolitischen Spielraum und einen maroden Haushalt, worin sich die Defizite des Zentralstaates spiegeln. Gouverneure und Parlamente lassen daraufhin sparen – sie kürzen die Gehälter und verfügen Entlassungen im öffentlichen Dienst, sie streichen Infrastruktur-Projekte und sogar bei der Polizei. In 29 der 50 Bundesstaaten regieren inzwischen republikanische Gouverneure, eine Folge der Wahlen im November, denen auch ein Republikaner wie Scott Walker (er bekam 52 Prozent) in Wisconsin sein Amt verdankt.
Aber das, was er und manche Amtskollegen – etwa in Ohio, Indiana und Michigan – jetzt vorhaben, geht über Sparmaßnahmen hinaus: Sie wollen die Gewerkschaften im öffentlichen Dienst schwächen. Die stellen mit ihrem Geld und ihrer organisierten Mitgliedschaft den harten Kern der Aktivisten in der Demokratischen Partei.
Hoffnung auf Wiedergeburt
In Michigan arbeiten die Republikaner bereits an einem Gesetz, nach dem der Gouverneur bei einer Wirtschaftskrise einen „Notmanager“ einsetzen darf, der befugt wäre, Arbeitsverträge unilateral aufzulösen. Walker in Wisconsin hat trotz wochenlanger Proteste das Recht auf Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst weitgehend abgeschafft. Er hat sich dabei gern mit Präsident Reagan verglichen, der 1981 alle streikenden Fluglotsen entlassen hatte. Das sei ein „definierender Moment“ in Reagans Karriere gewesen. Der habe so „eine erste Bresche in die Berliner Mauer“ geschlagen. Und jetzt sei „unsere Zeit“ gekommen, „den Lauf der Geschichte zu verändern“.
Der Protest in Wisconsin hat eine erste Runde verloren, aber die Hoffnung gewonnen, dass es zu einer Wiedergeburt der Gewerkschaftsbewegung kommt. Auch in Indiana, Ohio und Michigan mobilisiert sich der Widerstand. In Wisconsin starten die Gewerkschaften Kampagnen, republikanische Politiker durch „Recall-Wahlen“ des Amtes zu entheben. Umfragen in Madison zeigen, dass die Gewerkschaften mehr Zustimmung finden als der Gouverneur. Es fällt das Wort „Generalstreik“.
„Etwas Außerordentliches passiert gerade in Wisconsin“, schreibt die Bloggerin Margaret Swedish aus Milwaukee. „Ist das die Geburt einer Bewegung, die den rechten Angriff auf die Demokratie herumdrehen wird?“ Für die Antwort ist es offensichtlich zu früh. Nur etwa zwölf Prozent der amerikanischen Arbeiter sind gewerkschaftlich organisiert (Anfangs galt das für ein Drittel). In der Privatwirtschaft sind es nur knapp sieben Prozent, im öffentlichen Dienst dagegen 36 Prozent. In Wisconsin finden die Gewerkschafter den Beistand von Politikern der dort traditionell eher links-populistisch angesiedelten Demokraten. Auf nationaler Ebene ist es nicht so weit her mit der Politiker-Unterstützung.
Präsident Obama und seine Partei nehmen gern das Geld und die Wahlhelfer der Gewerkschaften in Anspruch. Aber sonst geht man eher auf Distanz. Als Kandidat hatte Obama versprochen, sich für den Free Choice Act einzusetzen, der Gewerkschaften die Arbeit und das Rekrutieren von Mitgliedern erleichtern würde. Das war im Wahlkampf 2008, im November 2010 beschloss Obama, die Gehälter der Regierungsangestellten in den kommenden zwei Jahren einzufrieren. So, als sei das von den Republikanern mit viel Hohn bedachte „Washington“, wirklich schuld am Haushaltsdefizit. Für die Republikaner sind die Proteste in Wisconsin und in anderen Staaten ein Faktor der Verunsicherung: Die Partei und die Tea Party haben Erfolge eingefahren, indem sie auch Angehörige der weißen (und besonders der männlichen) Arbeiterschicht vereinnahmten mit Sozialkonservatismus und der Botschaft, dass „der Amerikaner“ am besten zurecht komme in der freien Marktwirtschaft und ohne Bevormundung durch die Gewerkschaftsbosse. Gouverneur Walker und Gesinnungsgenossen haben den Bogen vielleicht überspannt.
Konrad Ege ist USA-Korrespondent des Freitag
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.