Die werden uns noch das Oktoberfest verbieten." Mit diesem Schauergeschichtchen wollte Edmund Stoiber seinen Freistaat und vor allem die Staatspartei CSU 1995 vorm Untergang durch direkte Demokratie bewahren. Half alles nichts. 57,8 Prozent der Bayern stimmten für die Einführung des Bürgerentscheids in Gemeinden und Landkreisen. Die Initiative "Mehr Demokratie" hatte den Entwurf durchgeboxt - die CSU ihn heftigst bekämpft.
Knapp 400 kommunale Bürgerentscheide später wehrt die CSU sich noch immer. Und "Mehr Demokratie" hat sich für den Mai eine Initiative ausgedacht, die wieder ein Schlag ins Kontor werden könnte: das Volksbegehren "Unabhängige Richter". Die Verfassungsrichter werden in Bayern bisher mit der einfachen Mehrheit des Landtages gewählt. So sind gut 80 Prozent CSU-Kandidaten, was sich auch deutlich in Entscheidungen niederschlägt. Die Richter sollen nun mit Zwei-Drittel-Mehrheit gewählt werden. Kommt das Volksbegehren durch, muss die CSU um eine vortreffliche Geheimwaffe fürchten.
Die Initiative geht auf den 1988 in Bonn gegründeten Verein "Initiative Demokratie entwickeln" zurück, der sich vor allem mit Anti-FCKW-Aktionen hervortat. Der politische Biss kam 1992 mit der Gründung von "Mehr Demokratie Bayern". Die Initiative betrieb, unter anderem von der bayerischen SPD und den Grünen unterstützt, das Volksbegehren für den Bürgerentscheid in Gemeinden, Städten und Landkreisen. Es wurde ein fulminanter Erfolg.
Der Erfolg weckte bundesweite Ambitionen: 1998 stimmten die Hamburger für die Erleichterung von Volksentscheiden auf Landesebene. "Mehr Demokratie" scheiterte knapp - es hätte mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten zustimmen müssen, 42,5 waren es nur. Momentan betreibt die Initiative Volksbegehren für eine Stärkung der Volksrechte in Bayern, Hamburg, Bremen, Berlin, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Thüringen. Alle 16 Landesverfassungen enthalten Regelungen über Volksbegehren. Die Hürden sind jedoch sehr unterschiedlich. Unterschriften von vier (Brandenburg) bis 20 (NRW) Prozent der Wahlberechtigten sind nötig, damit ein Volksbegehren überhaupt zugelassen wird. "Mehr Demokratie" fordert die Angleichung auf niedrigem Niveau.
Vor allem im Osten baut die Initiative auf die bewährte Unterstützerstruktur aus Bayern auf: DGB, ÖTV, HBV, BUND, Bund der Steuerzahler, PDS, Bündnisgrüne und zumindest als Sympathisanten auch eine oppositionelle SPD. Auch zahlreiche kleinere Verbände und Organisationen sammeln fleißig Unterschriften mit. Sie allein haben eine feste Mitgliederstruktur, die eine gewisse Unterstützer-Konstanz sichert.
Aber zu hoher Verbandseinfluss kann auch schädlich für Volksbegehren sein. Dies zeigte sich Anfang des Monats, als in Bayern das Volksbegehren gegen die geplante sechsstufige Realschule scheiterte - vor allem an den Initiatoren des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes (BLLV). Sie hatten es nicht einmal geschafft, die Hälfte der nötigen Unterschriften zu sammeln. Der Verband machte nicht den Eindruck, um Unterschriften außerhalb seiner Bezugsgruppe zu werben. Gerade in Großstädten wie München blieb die Unterstützung gering - dies wurde den hier überproportional zahlreich lebenden Singles zum Vorwurf gemacht. Sie hätten keine Kinder und somit auch kein Interesse an Schulpolitik. Hier zeigt sich, wie das Instrument Direktdemokratie auch gebraucht werden kann: zur Artikulation und Durchsetzung der Interessen einer speziellen Gruppe.
In diese Richtung weist auch die Forderung von "Mehr Demokratie", die Zustimmungsquoren bei Volksabstimmungen abzuschaffen. Mit solchen Quoren sind Volksbegehren erst gültig, wenn ein bestimmter Teil der Wahlberechtigten daran teilnimmt, in Bayern sind das 25 Prozent. Mit dieser Frage beschäftigt sich zur Zeit der bayerische Verfassungsgerichtshof - genau der, den die Initiative selbst zum Gegenstand ihres nächsten Volksbegehrens machen will.
Welche Früchte so verstandene Direktdemokratie tragen kann, zeigte sich 1998 im Vorbildsstaat Kalifornien. Die vom Volk angenommene "Proposition 187" schloss alle illegal eingewanderten Kinder und Jugendlichen vom Besuch öffentlicher Schulen und der Krankenversicherung aus. Erst das Verfassungsgericht kassierte den Apartheidparagraphen. Es hatten zwar knapp über 50 Prozent der Abstimmenden für Diskriminierung gestimmt - nicht aber eine Mehrheit der Wahlberechtigten.
Auch mit Lobbyarbeit hat man in Kalifornien so seine Erfahrungen. Die Kasinobetreiber ließen sich dort eine Kampagne für die Zulassung indianischer Spielkasinos 50 Millionen Dollar kosten. Gut investiert - das Begehren kam durch. In der Schweiz finanzieren zur Zeit der milliardenschwere Unternehmer Karl Schweri und Christoph Blocher, ebenfalls sehr wohlhabend und Wortführer der rechtsnationalistischen Volkspartei, ein Volksbegehren, das die Regierung verpflichten soll, Abstimmungen binnen zwölf Monaten der Bevölkerung vorzulegen. Die finanzstarken Initiatoren versprechen sich offenbar einiges davon, das bewährte Schweizer Diskursmodell durch eine Art Kommando-Demokratie abzulösen.
Inzwischen wissen aber auch schon in Deutschland Politiker, sich Volksabstimmungen zu Nutze zu machen - wenn es ihnen passt. Mit der Unterschriftensammlung gegen das Einwanderungsgesetz entdeckte Edmund Stoiber gar die Vorzüge der direkten Demokratie. Auf Bundesbene natürlich, denn hier ist die Union ja Opposition. Was er früher angesichts der Erfahrungen der Weimarer Republik abgelehnt habe, erscheine ihm heute nicht nur als stabilisierende Ergänzung der repräsentativen Demokratie, sondern auch als notwendige Entscheidungsebene, zitierte ihn die NZZ.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.