Wenige Wochen nach den Anschlägen vom 11. September 2001 schrieb US-Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice in einem Brief: "Die Verbindung zwischen freiem Austausch von Ideen, wissenschaftlicher Entwicklung, Wohlstand und nationaler Sicherheit ist unbestreitbar." Doch seitdem diskutieren in den Vereinigten Staaten Teilnehmer an unzähligen Arbeitskreisen und Konferenzen, wann die Freiheit der Wissenschaft zur Hilfe für Terroristen und Bedrohung wird. Wenn dies geschieht, sollen Artikel geändert oder nicht veröffentlicht werden, erklärten Mitte Februar Wissenschaftler sowie Herausgeber und Chefredakteure von 32 Fachjournalen wie Nature, Science, New England Journal of Medicine und Lancet. Jetzt fordert der US-Sicherheitsexperten ein internationales Kontrollgremium aus Wissenschaftler und Politikern, das Forschung in kritischen Bereichen autorisiert und überwacht. Dieser Vorschlag kommt von John Steinbruner, vormals Leiter der Außenpolitikabteilung bei des anerkannten Washingtoner Think Tanks Brookings Institution und heute Hochschulleher an der University of Maryland.
Noch muss Steinbruner seine Vorschläge mühsam auf Konferenzen und in Fachzeitschriften bewerben, denn so weit reicht das neue Sicherheitsbewusstsein noch nicht. Die neuen Veröffentlichungsregeln vom Februar - jedes der 32 Journale will sie in eine eigene Form abwandeln - sollen sich die betroffenen Wissenschaftler freiwillig auferlegen. Ronald Atlas, Vorsitzender der American Society of Microbiology ist sich sicher, dass sie das tun werden: "Wir leben jetzt in anderen Zeiten. Unsere Informationen haben Missbrauchspotenzial. Und wir werden die angemessenen Schritte einleiten, um die Öffentlichkeit zu schützen."
Das sind bedeutende Schritte, denn die Fachaufsätze in solchen Zeitschriften sind ein Pfeiler des Wissenschaftsbetriebs. So werden Erkenntnisse verbreitet, geprüft - und auch Karrieren gemacht. Denn je mehr Artikel in angesehenen Zeitschrift in der Publikationsliste eines Forschers stehen, desto höher steigt sein Marktwert. Dieses System wirkt global: Die Zeitschriften der American Society for Microbiology erhalten beispielsweise Manuskripte aus über 100 Staaten, 60 Prozent der Autoren haben nicht die US-Staatsbürgerschaft, ebenso ein Fünftel der Gutachter.
Die Selbstzensur ist auch dem stetig aufgebauten Druck der US-Regierung zu verdanken. In den vergangenen Monaten sickerten aus dem Verteidigungsministerium und dem Weißen Haus Entwürfe an die Öffentlichkeit, die eine stärkere Kontrolle der Forschung verlangten. Wissenschaftler, die mit Ministeriumsgeldern forschen, sollten alle Aufsätze und Bücher vor Veröffentlichung zur Sicherheitskontrolle vorlegen. Nach heftigen Protesten blieb es bei Entwürfen. Der eigentliche Zweck war wohl, den Druck auf die Wissenschaft zu erhöhen, eigene Lösungen zu finden, bevor es die Regierung tut.
Die vom Weißen Haus favorisierte und nun in Gang gekommene Selbstregulierung sehen auch Experten als einzig sinnvolle Lösung. Steven Aftergood, der bei der Federation of American Scientists die Geheimhaltungspolitik der US-Regierung analysiert, urteilt: "Das ist die angemessene Richtung. Denn es gibt durchaus ein ernstes Gefahrenpotential und das können die Wissenschaftler selbst am besten abschätzen - ebenso wie die Vorteile des freien Zugangs".
Leicht wird das aber auch den Experten nicht fallen, wie Professor Werner Goebel, Leiter des Biozentrums der Universität Würzburg, ausführt: "Es gibt vielleicht ein paar wenige Fälle, wo die Lage von Anfang an klar ist. Zum Beispiel bei der Verstärkung von Toxinen. Doch das meiste gerade in der Mikrobiologie ist Grundlagenforschung. Da kann im Prinzip alles auch für Terroristen interessant sein."
Forschungsergebnisse können immer unterschiedlich genutzt werden: Eine Methode, nach der Giftstoffe gegen Krebszellen produziert werden, kann auch Stoffe hervorbringen, die Zellen in fast jedem menschlichen Gewebe angreifen, um sie zu zerstören. Nicht allein die Informationen, sondern eher die Motivation ihrer Leser bestimmt die Gefahr.
Die sinkt nicht zwangsläufig, wenn Ergebnisse geheim gehalten werden. So könnte gar ein falsches Sicherheitsgefühl entstehen. Denn solange dieselben Geheimhaltungs-Regeln nicht international gelten, kann jederzeit dasselbe Ergebnis anderswo erzielt und veröffentlicht werden. Deutsche Forscher, die nun in Lancet, Nature und anderen Organen veröffentlichen, werden dort wahrscheinlich zum ersten Mal mit solchen Regelungen konfrontiert sein. "In Deutschland haben wir keine Kommissionen, die sich damit befassen und auch keine Diskussion auf breiter Basis", sagt Goebel, "Aber natürlich können sich Forscher in Gewissensnot heute mit solchen Fragen an die Ethikkommissionen an den Universitäten wenden."
Dem möglichen Sicherheitsgewinn steht bei Geheimhaltung ein relativ sicherer Schaden gegenüber: Wenn Wissenschaftler in einem bestimmten Gebiet nur geringe Chancen haben, Ergebnisse zu veröffentlichen, werden sie sich womöglich anderen, öffentlichkeitswirksameren Feldern zuwenden. Und das würde Kranke, die auf eine zivile Anwendung der Ergebnisse hoffen, wohl stärker treffen als Waffenbauer, die selbst forschen lassen. Und die wenigen Wissenschaftler, die in einem solchen Feld weiterforschen, müssten das unter erschwerten Bedingungen tun, da Anregungen durch Arbeiten und Ergebnisse anderer nur schwer zu ihnen durchdringen.
Bisweilen wird in der Diskussion die Möglichkeit angeführt, aus veröffentlichten Arbeiten nur die Abschnitte über verwendete Methoden und Stoffe zu entfernen. Doch dann wären die beschriebenen Ergebnisse nicht reproduzierbar. Die gegenseitige Kontrolle der empirischen Grundlagen von Ergebnissen entfiele. "Ohne Methoden kann man ja gleich im Spiegel veröffentlichen", meint Goebel. Diese Probleme haben bisher alle US-Regierungen erkannt - und die Lösung weit gehend der Wissenschaft überlassen. 1985 hieß es in einer Sicherheitsdirektive der Reagan-Regierung: "bis zum größtmöglichen Ausmaß sollten die Ergebnisse von Grundlagenforschung offen zugänglich sein." Ob dieses Ausmaß im Kalten Krieg größer war als heute, muss jetzt die Wissenschaft bestimmen.
Der Wortlaut der Erklärung: www.pnas.org/cgi/reprint/0630491100.pdf
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