Jeden Monat hatten die Angestellten der US-Netzwerkfirma Cabletron (www.cabletron.com) eine Rangliste der online verbrachten Zeit aller Mitarbeiter im e- Mail-Fach. Gewürzt wurde das Ranking mit der peniblen Auflistung individueller Lieblingsseiten, kategorisiert unter Stichworten wie "Sex" oder "Einkauf". Während jedoch Mitte des Jahres ein neuer Cabletron-Geschäftsführer die rigide Überwachung abschaffen ließ, führen sie viele US-Unternehmen gerade ein. Einer Studie der American Management Association (AMA) zufolge überwachten 1997 nur 14,9 Prozent der Firmen die e-Mails ihrer Mitarbeiter, 1999 waren es 27 Prozent - dieses Jahr soll der Anteil auf 38,2 Prozent steigen.
Die Arbeitergeber intervenieren
Diese Entwicklung ist auch dem Bundesarbeitsministerium in Berlin nicht verborgen geblieben. Ende Oktober stellte Referatsleiter Hans Peter Viethen in einer juristischen Fachzeitschrift Überlegungen zu einem "Arbeitnehmerdatenschutzgesetz" an. Danach soll die Inhaltskontrolle privater e-Mails und der Internetnutzung am Arbeitsplatz dem Arbeitgeber prinzipiell verwehrt bleiben. Der Vorschlag wurde heftig kritisiert. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) gab zu verstehen, ein gesetzliches Nutzungsrecht für private Zwecke sei ein verfassungswidriger Eingriff in unternehmerische Gestaltungsfreiheit. Das Ministerium distanzierte sich alsbald von den "privaten Überlegungen" Viethens, der Inhaltskontrollen nur bei "schwerwiegendem Verdacht" als legitim anerkennen will. Ziel eines "Arbeitnehmerdatenschutzgesetzes" werde keinesfalls eine "kostenlose, unkontrollierte, private Nutzung" des Netzzugangs in Firmen sein, beschwichtigt Ministeriumssprecher Klaus Vater. Ansonsten aber gäbe es keine konkreten Planungen, kein Eckpunktepapier, keinen Gesetzentwurf - allein die Absicht, so etwas wie das ins Gespräch gebrachte Gesetz zu entwickeln.
Ihre Lobbymacht beim betriebsinternen Datenschutz hat die Wirtschaft bereits in Großbritannien bewiesen. Dort gilt seit November ein Gesetz, das Arbeitgebern weitgehende Überwachungs- und Kontrollrechte einräumt. Die vom Department of Trade and Industry erarbeitete Order erlaubt eine Überwachung "zur Verhinderung des Missbrauchs der Computersysteme durch die Mitarbeiter". Das Gesetz fordert eine generelle Information der Mitarbeiter bei derartigen Maßnahmen, was die Kontrollmöglichkeiten aber keineswegs limitiert. Von der britischen Datenschutzkommission war zu hören, Einschränkungen seien auf Druck der Wirtschaft enorm aufgeweicht worden.
Barriere Betriebsverfassungsgesetz
Der auf Multimediarecht spezialisierte Kölner Anwalt Jürgen Weinknecht geht davon aus, dass angesichts der jüngsten Entwicklung in Großbritannien im Bundesministerium für Arbeit ganze ohne Zweifel Vorbereitungen für ein ähnliches Gesetz anlaufen. Welche Konsequenzen betriebsinterne Überwachungen des Datenverkehrs haben können, zeigen Fälle aus den USA. Der Chemie-Riese Dow Chemical (40.000 Angestellte weltweit) feuerte Anfang August 50 Mitarbeiter und mahnte 200 weitere ab. Unter ihren e-Mails wurden Fotos von Unfallopfern, Abbildungen nackter Frauen und Pornographie gefunden. Derartige Inhalte toleriere das Unternehmen nicht, hieß es. Das stehe in dem allen Mitarbeitern zugänglichen Unternehmensstatut, daher seien die Kündigungen zu Recht erfolgt. In den USA gilt der erste Verfassungszusatz über die Meinungsfreiheit am Arbeitsplatz nur eingeschränkt, wie Kary Moss, Vertreterin der American Civil Liberties Union (www.aclu.org), bestätigt. Firmen hätten durchaus das Recht zu entscheiden, was ihre Mitarbeiter über das Firmennetzwerk sehen, lesen und schreiben dürfen - sofern die entsprechende Regelung in einer allen zugänglichen Form präzise dargelegt sei. Kündigungen wegen der Nutzung von Einkaufs- oder Pornographieangeboten im Internet gab es in den USA auch bei der New York Times, bei Xerox und dem Wertpapierhaus Edward Jones Co. In Großbritannien wurden kürzlich 15 Angestellte der Investmentbank Merrill Lynch wegen Pornographie im Postfach entlassen. Aus Deutschland sind solche Fälle nicht bekannt. Aber bei möglichen Betroffenen wäre zweifellos mit einer Schamgrenze zu rechnen - wer will sich schon vor dem Arbeitsgericht über seinen Pornokonsum auslassen? Da wird gewiss einiges über Abfindungen geregelt, denkt Anwalt Weinknecht. Wie viele Unternehmen in Deutschland e-Mail-Verkehr und Internet-Nutzung ihrer Mitarbeiter kontrollieren, ist weder bekannt noch geschätzt. Nach wie vor gilt aber, dass der Arbeitgeber nicht überwachen darf. So entschied bereits 1997 das Landgericht Braunschweig (Az.:12 S 23/97). Grundlage ist hier das Betriebsverfassungsgesetz, das Verhaltens- und Leistungskontrolle ohne Wissen des Mitarbeiters sowie die Verwendung von zur Kontrolle geeigneter Technik ohne Zustimmung des Betriebsrates untersagt. Details (etwa wie oft überwacht wird) müssen in einer Betriebsvereinbarung geregelt werden. Erlaubt eine Firma eindeutig privates Surfen und Mailen, fällt die Nutzung unter das Fernmeldegeheimnis. Und das heißt, der Mitarbeiter genießt dieselben Rechte wie gegenüber seinem Provider zuhause. Das IT-Beratungsunternehmen CMG (www.cmg.de) empfiehlt in jedem Fall eindeutige Regelungen darüber, wofür der Internetzugang am Arbeitsplatz verwendet werden dürfe, statt vager Umschreibungen wie "unerwünscht", "anstößig" oder "den betrieblichen Fortlauf fördernd".
Eine gezielte Überwachung privater e-Mails durch den Arbeitgeber ist also nach bestehender Gesetzeslage untersagt. "Wenn aber der Unternehmer bei der zulässigen Überwachung der geschäftlichen e-Mails auf einen Privatbrief stößt, kann dieser durchaus auch vor einem Arbeitsgericht verwendet werden", merkt Rechtsanwalt Strömer an. Verbietet der Arbeitgeber grundsätzlich die private Nutzung, seien alle e-Mails per definitionem geschäftlich und somit legal zu überwachen. Die bestehenden Gesetze decken den Arbeitnehmerdatenschutz nicht in allen Bereichen ab, glaubt der Bundesbeauftragte für den Datenschutz. Da stimmt auch der Sprecher des Arbeitsministeriums zu. Wann aber entsprechende Entwürfe eines Arbeitnehmerdatenschutzgesetzes vorlägen, vermag er nicht zu sagen.
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