„Reputation“ von Taylor Swift: Atemlos durch das Dach

Cyborg Taylor Swifts Pop ist purer Perfektionismus – eine Klangwelt wie eine Gummizelle
Ausgabe 47/2017
Die Erfolgsmaschine Taylor Swift massakriert das Glückszentrum des Hörers erbarmungslos wie ein Vollrausch
Die Erfolgsmaschine Taylor Swift massakriert das Glückszentrum des Hörers erbarmungslos wie ein Vollrausch

Foto: Kevork Djansezian/Getty Images

Die „neue“ Swift macht, was sie immer macht: bombastischen Wohlfühl-Pop für Menschen, die ihren Geschmack an der Garderobe abgeben.

Rekorde, Rekorde, Rekorde: Taylor Swift ist in den USA in etwa das, was hierzulande bedauerlicherweise Helene Fischer ist – eine Erfolgsmaschine. Seit 2006 bringt sie pünktlich alle zwei Jahre, immer im Herbst, ein neues Album heraus und wird daraufhin mit Preisen beworfen. Ihr Rezept: Poliertes Zeug, peinlich genau sitzende Refrains, im Reinraum gefertigte Ohrwürmer. Eine Klangwelt wie eine Gummizelle: Wehr dich nicht, du entkommst sowieso nicht.

Selbst wer den hochsynthetischen Cyborg-Pop von „TayTay“ abstoßend finden will, springt auf den Beat irgendwann an, so, wie der Pawlow’sche Hund zu sabbern beginnt. Ihre säuselnde Stimme, aus der spätestens auf ihrem nun neuesten Album Reputation der letzte Rest Menschlichkeit digital herausgefiltert wurde, massakriert das Glückszentrum des Hörers erbarmungslos wie ein Vollrausch. Nach 55 Minuten ist auch der letzte Kritiker dem Bann der Sirene verfallen, hätte sich höchstens widersetzen können, indem er sich die Ohren wie Odysseus mit Wachs verschließt.

Ein „Fuck You“ wäre schön

Auch das inszenierte Bad-Girl-Image, die „neue Taylor“, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie nie vorhatte, tatsächlich anzuecken. Passend dazu gibt sich Teflon-Taylor seit Jahren Mühe, alles Politische von sich abprallen zu lassen. Obwohl sie sich als Feministin sieht, hielt sie sich bei der Präsidentschaftswahl 2016 im Gegensatz zu vielen Kolleginnen erstaunlich bedeckt. Das ließ vermuten, sie sei eine heimliche Unterstützerin Trumps oder wolle schlicht keinen ihrer Fans verlieren.

Vor einigen Jahren verteidigte sie ihr schwammiges Songwriting, das sich häufig gegen eine anonyme Menge (Ex-)Männer richtet. Es sei angebracht, nicht ins Detail zu gehen, schließlich würde sie private Angelegenheiten vor einem Millionenpublikum darstellen, ohne Zustimmung der Männer. Das war 2012. Vier Jahre später dichtete Kanye West – für ein Millionenpublikum – unter anderem, er habe Taylor, „die Schlampe“, berühmt gemacht. Swift ließ über ihre Sprecherin verlauten, sie hätte von der Zeile gewusst, aber vor der Verbreitung solch misogyner Botschaften „gewarnt“. Eine Wattebausch-Kritik gegen einen Rapper, für den Sexismus quasi zur Genre-DNA gehört. Irgendeine Zeile gegen „Pussy-Grabber“ Trump? Lieber nicht.

So bleibt die „neue“ Taylor selbstverständlich auch die „alte“, wenngleich sie meilenweit entfernt ist von der einst süßen weißen Country-Teenagerin aus Pennsylvania. Ihre Maskerade als sexy Vamp schreckt höchstens ein paar hartkonservative amerikanische Christen endgültig ab. Statt Songs, die zur braven Unmut-Projektion für jedermann taugen („It’s true, I don’t like you“), hätte ihr jetzt ein echtes musikalisches „Fuck You“ à la Lily Allen gutgetan.

Die Studenten-Bravo Neon jubilierte, Swift schreibe ihre Songs so „konkret“, dass man bei jedem überlegen müsse, an wen er gerichtet sei. Eine erstaunliche Neuinterpretation des Wortes. Denn wenn Swifts Cyborg-Pop eines nicht ist, dann konkret. Dabei wäre es an der Zeit, mal deutlich zu werden. Schließlich ist auch der Sexismus ihr gegenüber alles andere als zweideutig. Sie hätte womöglich ein paar Marktsegmente verloren.

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