Aufklärung und Albernheit

ZDF Magazin Royale Satiriker Jan Böhmermann ist mit neuer Sendung im Hauptprogramm zurück. Die erste Folge versucht erneut den Spagat und brüskiert einen Kritiker
Ausgabe 46/2020
Aufnahme von der „Querdenken“-Demo vom vergangenen Wochenende. Unter Rechten und Verschwörungsideologen ist Jan Böhmermann längst ein etabliertes Feindbild
Aufnahme von der „Querdenken“-Demo vom vergangenen Wochenende. Unter Rechten und Verschwörungsideologen ist Jan Böhmermann längst ein etabliertes Feindbild

Foto: Opokupix/Imago Images

Es war im März 2016, da hätte ein Beobachter auf die Idee kommen können, mit diesem Böhmermann hätte es sich nun ausgeulkt. Ein Schmähgedicht gegen den türkischen Präsidenten, vorgetragen in der Sendung Neo Magazin Royale, löste einen mittelschweren politischen Skandal aus. Für den Zuschauer hatte das wenig Konsequenzen. Eine Folge fiel aus, das Gedicht wurde aus der Online-Version gestrichen. Böhmermann hingegen durfte für eine Weile mit Polizeischutz von Anwalt zu Anwalt wandern, klagte aber trotz allem 2019 auf Unterlassung gegen die Kanzlerin, die das Gedicht „bewusst verletzend“ nannte.

Das führte nicht dazu, dass der Clown aus dem nicht immer staatstragenden, aber immerhin vom Staat getragenen Sender flog, im Gegenteil: Im Nachhinein dürfte die Brisanz, die Jan Böhmermann mit seinem Late-Night-Format nicht nur einmal erzeugte, wohl dazu beigetragen haben, dass ihm dieser Tage der Sendeplatz im ZDF-Hauptprogramm zukam. Wer dem 39-jährigen während der Produktionspause auf anderen Kanälen folgte, konnte schon seit Monaten beobachten, wie sehr er sich darüber freute, vom Nischensender ZDF neo ins „große“ ZDF wechseln zu dürfen, um dort hochamtlich in die Fußstapfen von erklärten Vorbildern wie Gerhard Löwenthal (an dessen ZDF-Magazin das Royale-Format bis heute angelehnt ist) zu treten.

Dass Böhmermann und sein Magazin aber weder ganz Klamauk noch ganz Nachrichtensendung sind, ließ sich in der ersten Folge vom vergangenen Freitag beobachten: Neben daueraugenzwinkernden Gags für die Internetgeneration bildet das Kernstück der nunmehr von 45 Minuten auf eine knappe halbe Stunde verkürzte Format erneut ein Aufklärungsstück mit Enthüllungscharakter, das schon in der Vergangenheit stark der US-Nachrichtensatire Last Week Tonight ähnelte. Personelle Umstellungen ließen bereits im Vorfeld durchscheinen, dass die Sendung weniger quatschig und mehr journalistisch-investigativ werden sollte. So holte die Produktionsfirma beispielsweise die preisgekrönte ehemalige Chefredakteurin der österreichischen Ausgabe von Vice Hanna Herbst – mit ins Boot, die sich seit Jahren unter anderem schwerpunktmäßig mit dem Rechtsextremismus beschäftigt.

Sprunghafte Halluzinationen

Folgerichtig begann Böhmermann die Sendung mit einem Rundumschlag gegen prominente rechtsdrehende Verschwörungsideologen der Coronakrise, von Hildmann bis Wendler, um wenig später bei einem Infotainment-Stück über Vermögensungleichheit in Deutschland zu landen. Unter anderem thematisierte der Moderator die Herkunft des Vermögens von Superreichen wie der Milliardärin und Kunstsammlerin Julia Stoschek, deren Urgroßvater Max Brose als Unterstützer des NS-Regimes zu Geld kam. Tenor: Die Irren vermuten surreale böse Mächte und gern die Juden hinter allem, während reale Wirkweisen des Kapitals in Form der Handlungsmacht weniger Superreicher das Leben der Vielen bestimmen. Oder, wie es Böhmermann selbst formulierte: „Es braucht keine Verschwörung. Es läuft auch so zugunsten weniger und für alle anderen den Bach runter.“

Ein Autor des Spiegel befand dies am Tag darauf als „sonderbaren Twist“, echauffierte sich über „Sprünge und Hakenschläge“ sowie „Böhmermanns Eliten-Bashing“ und unterstellte dem Moderator schließlich selbst eine Art Umnachtung: „Welche dunkle Macht ist in Jan Böhmermann gefahren?“ Zu dieser Einschätzung kann kommen, wer die Sendung entweder nicht gesehen hat oder absichtlich falsch verstehen wollte. Tatsächlich waren die „Sprünge“ des Formats hastig, dass aber die empfundene Ohnmacht gegenüber realen ökonomischen Verschiebungen nicht erst seit gestern zu den immer gleichen und oft antisemitischen, „sprunghaften“ Halluzinationen führt, ist alles andere als „sonderbar“, sondern gut erforscht.

Die Kritik hätte das Tempo treffen können, den voraussetzungsreichen Humor, oder auch Böhmermanns gewohnt hypermoralisches Gebaren, das Konservative und Rechte an ihm seit jeher als „gutmenschlich“ verabscheuen. Der Wahrheitsgehalt der sauberen Recherche ist jedoch kaum zu bestreiten. Das ZDF bewies mit der Fortführung des Formats den richtigen Riecher, nicht nur da die Quote stimmte, sondern da in der ganzen Ausrichtung des Formats die in den USA bereits forgeschrittene Kulturindustrialisierung der Nachrichten antizipiert wird. Ohne Gags wird Aufklärung auch hierzulande bald kaum jemanden abholen können. Und genau deswegen wird Böhmermann bleiben.

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