Das neue Ein-Aus-Spiel

Idee Ein Tischler aus Brandenburg hat ein Ventil entwickelt, mit dem Verhütung endlich Männersache werden könnte
Ausgabe 02/2016

Es ist so groß wie ein Gummibärchen, wiegt zwei Gramm und könnte den Markt für männliche Verhütung revolutionieren. Clemens Bimek, 48 Jahre alt und Tischler aus Brandenburg, hat ein Ventil entwickelt, das in den Samenleiter eingesetzt werden soll. Per Knopfdruck ließe sich damit der Zufluss der Spermien regulieren. Die Idee dazu kam Bimek, als er eine Dokumentation über Sterilisationen anschaute. Sein Ventil heißt SLV, kurz für Samenleiterverhütung. Der Schalter soll von außen bedient werden können.

Bimeks Erfindung stieß zunächst auf viel Skepsis und Ablehnung. Einige Jahre hat er gebraucht, bis er einen Urologen fand, der seine Idee ernst nahm. Anfangs wollte niemand ihm das Ventil einbauen. Seit 2009 ist er selbst der erste und bislang einzige Träger seines Prototyps. Erste Tests verliefen erfolgreich – mit umgelegten Schalter befinden sich so gut wie keine Spermien im Ejakulat. Seit 2014 steht hinter dem Projekt „Bimek SLV“ auch ein kapitalstarker Investor, der die Marketingmaschine bereits kräftig angeworfen hat. Das Produkt ist hormonfrei, steril und 100 Prozent vegan – Letzteres wird mehrfach erwähnt, Bimek ist überzeugter Vegetarier. Die Homepage verzeichnet zwar nur knapp 1.000 Facebook-Fans, aber auch 700 Männer, die sich freiwillig als Probanden zu Studienzwecken zur Verfügung gestellt haben. 2018 soll das Produkt marktreif sein.

Hormonbomben

Was ein wenig skurril klingt, könnte aber eine Revolution sein. Seit Jahrhunderten ist die Empfängnisverhütung in aller Regel Frauensache. Für den Mann gibt es zwar das Kondom, allerdings wird es häufig vor allem zur Eindämmung von Geschlechtskrankheiten beworben. Und bei vielen Männern ist es auch nicht sonderlich beliebt. Ansonsten bleibt Männern meist nur die Sterilisation, die aber nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit reversibel ist. Und die viele Männer auch nicht in Einklang mit ihrem Selbstbild bekommen.

Auch deshalb dominiert in Sachen Verhütung nach wie vor die Antibabypille. Über die Hälfte aller deutschen Paare verhüten laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung mit der Pille, etwa 20 Prozent ausschließlich mit Kondom, bei zehn Prozent der Paare lassen sich die Frauen eine Hormonspirale setzen.

Ursprünglich als Mittel zur Geburtenkontrolle entwickelt, glorifizierten die 68er die Pille als Mittel zur sexuellen Befreiung der Frau. Aber waren die Frauen jetzt wirklich freier? Sie konnten ein Präparat mit künstlichen Hormonen schlucken, was ihnen mehr oder weniger folgenlosen Sex ermöglichte. Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch für die Männer, dass sie nun die Verantwortung für die Empfängnisverhütung noch leichter auf das weibliche Geschlecht abschieben konnten. Die künstlichen Hormone belasten aber den Körper, die Folgeerscheinungen sind kaum absehbar. Schnell wandelte sich daher manche feministische Anhängerin der „Befreiungspille“ zur Gegnerin der „Hormonbomben“, die als Teil der patriarchalischen Unterdrückung gesehen wurden.

Viel geändert hat sich daran bis heute nicht. Die Pille ist eines der am häufigsten verschriebenen Medikamente weltweit. Frauenärzte verschreiben sie in der Regel ab 14 Jahren, hin und wieder auch bei Jüngeren. Ein Medikament zu verschreiben ist einfacher, als eine umfassende Aufklärung zu leisten. Viele Ärzte empfehlen die Pille außerdem für schönere Haut, weichere Haare oder bei pubertätsbedingten Gewichtsschwankungen. Es ist eine Massenhormontherapie mit nur schwer abschätzbaren Folgen. Aktuell klagt die 31-jährige Felicitas Rohrer gegen den Pharmakonzern Bayer und dessen Pille „Yasminelle“. Sie erlitt eine lebensbedrohliche Lungenembolie mit Folgeschäden, die auf eine Thrombose zurückgeführt werden konnte.

Die Kontrazeptiva der mittlerweile vierten Generation enthalten deutlich höhere Konzentrationen von Hormonen oder weitere Zusatzstoffe, die Gewichtszunahme verhindern oder eine Verbesserung der Haut herbeiführen sollen. Die Kombination dieser Wirkstoffe erzeugt ein deutlich erhöhtes Risiko für eine venöse Thrombose, die zu Hirnschlägen führen kann. Die Konzerne reden sich raus: Jede Ärztin und jeder Arzt habe die Pflicht, die Patienten vor der Verschreibung der Pille ausdrücklich aufzuklären und solle dabei die „individuelle Nutzen-Risiko-Abwägung“ in Betracht ziehen. Nach pharmazeutischem Maßstab zählt der Anstieg des Thromboserisikos, das durch die Pille induziert wird, aber immer noch als „seltene Nebenwirkung“.

Warum gilt Verhütung immer noch vor allem als Frauensache? „Schuld“ an den Problemen der Fortpflanzung hat seit jeher das weibliche Geschlecht. Das ist eine abendländische Tradition. Die Kirche erlaubte im Mittelalter nur den Koitus als legitimen Akt der Fortpflanzung. Abweichende Sexualpraktiken, Homosexualität oder künstliche Verhütung mit Salben oder Tränken waren Sünde. Der „Samen des Lebens“ durfte auf keinen Fall verschwendet werden. Seit der jungfräulichen Empfängnis Marias hatte die katholische Kirche ein Problem: Die Fortpflanzung per Wunder wäre der Optimalfall, trat aber leider nur einmal ein. Später reifte dann das unangenehme Bewusstsein, dass auch Sex ohne Fortpflanzung ein menschliches Bedürfnis sein könnte.

Simpler Geschlechtsapparat

Papst Franziskus bemerkte Anfang des Jahres, Katholiken müssten sich nicht „wie die Karnickel“ vermehren. Die katholische Kirche empfiehlt die Methode der natürlichen Verhütung, also die Berechnung unfruchtbarer Tage über einen Zykluskalender. Diese Toleranz nennt der Vatikan „erlaubte Inanspruchnahme unfruchtbarer Perioden“. Luther hatte vor der Sünde des Sex gewissermaßen kapituliert, als er schrieb, dass „keine Ehepflicht ohne Sünden geschieht“. Auch dank ihm sind Protestantinnen und Protestanten heute aus der Angelegenheit fein raus und können verhüten, wie sie wollen.

An der Männlichkeit soll bisher aber nicht herumgedoktert werden. Zeugungsunfähige Männer gelten als „entmannt“, es wird über „Platzpatronen“ gewitzelt. Die Forschung an Verhütungsmethoden für den Mann ist bislang nur versandet. Die Entwicklung einer Testosteronpille hat der Bayer-Konzern 2007 eingestellt. Ein Verfahren auf Spritzenbasis scheiterte an einem Urteil der Weltgesundheitsorganisation. Demnach kamen bei einer zu großen Zahl der Probanden Nebenwirkungen auf, unter anderem Depressionen und Gewichtszunahme. Es drängte sich aber der Eindruck auf, dass im Hinblick auf die Geschlechter hier mit zweierlei Maß gemessen wird: Gewichtszunahme und Depressionen sind seit Jahrzehnten bekannte Nebenwirkungen der Pille, die bisher aber meist als vernachlässigbares Problem galten.

Als Alternative zur Pille steht der Frau ein Katalog an verschiedenen anderen Methoden zur Verfügung: 16 zählt die deutsche Wikipedia auf, exklusive der „Pille danach“ und der Sterilisation. Es gibt Tabletten, Spritzen, Pflaster, Spiralen, Ringe, Implantate, Zäpfchen und Ketten – alle mit verschiedener Lebensdauer, größeren oder kleineren Nebenwirkungen und unterschiedlichem Restrisiko. Methoden ohne chirurgischen Eingriff oder massiver Hormonbelastung wie die Kalender- oder Temperaturmethode sind aufwendig. Der weibliche Zyklus ist ein kompliziertes Werk der Natur, das sich nur mit viel Mühe oder reichlich hormoneller Gabe unter Kontrolle bringen lässt.

Der männliche Geschlechtsapparat ist dagegen vergleichsweise simpel. Angesichts des breiten Marktes für weibliche Verhütungsmethoden wirkt Clemens Bimeks Verhütungsventil daher überhaupt nicht mehr so skurril, sondern ziemlich pragmatisch. In Anbetracht der vielen, teils martialisch wirkenden Verhütungsmethoden für die Frau ist es pure Ironie, dass Bimeks eigene Implantation des Ventils zunächst an der Ethikkommission scheiterte. 2018 soll das Produkt dann für jedermann zur Verfügung stehen und so ziemlich jeder Urologe den etwa halbstündigen Eingriff vornehmen können. Ob es auf die entsprechende Akzeptanz treffen wird, hängt aber nicht nur vom Funktionieren des Ein-Aus-Schalters ab, sondern auch vom geschlechtlichen Rollenverständnis.

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