Viele großartige Wörter kennt das Sächsische, die den meisten Nichtsachsen leider verborgen bleiben. „Fischelant“ ist so eins. Es ist die ostdeutsche Vertonung des aus dem Französischen stammenden „vigilant“, das so viel wie „pfiffig“ oder „wachsam“ bedeutet. „Fischelant“ – so sehen sich die Sachsen gern: clever, aufmerksam, raffiniert. Vieles, was in der DDR scheinbar unmöglich war, lösten sie mit Raffinesse, immer haarscharf an den Augen und Ohren der Stasi-Spitzel vorbei.
Zu dieser speziellen, ostdeutschen Pfiffigkeit gehört aber nicht nur das Wissen darüber, wie man mit einer Waschmaschine Obst einkochen kann, sondern eben „Vigilanz“, die Wachsamkeit. Kaum einer verkörpert jene sächsische Lebenseinstellung besser als Uwe Steimle. Der gebürtige Dresdner ist seit vielen Jahrzehnten Kabarettist, Schauspieler und Autor. Als Hauptkommissar Hinrichs im Polizeiruf wurde er einem großen Publikum bekannt. Für seine unnachahmliche Honecker-Imitation ist er im Osten geradezu berühmt, die eigentümliche Eleganz des Sächsischen aufzuzeigen gehört bei ihm zu jedem Programm.
Steimles Satire nimmt oft die alten und neuen Kultur-Unterschiede zwischen Ex-Ost und West auf die Schippe. Wenn er zum „Gastspiel“ in die „BRD“ kommt, wie er auf der Bühne oft sagt, benutzt er häufig Wörter der sächsischen Mundart, die nicht jeder im Publikum versteht. Dann persifliert er in astreinem Hochdeutsch die Westdeutschen, die immerzu danach fragen würden, wie etwas „gemeint“ sei. Dabei zieht er das Wort nasal in die Länge, sodass es hochnäsig und blasiert klingt. Vergangenen Sonntag im ausverkauften Berliner Kabarett „Distel“ kam das beim Ost-West-durchmischten Publikum gut an.
Wer sich „fischelant“ ausdrückt, kann dem Gegenüber etwas suggerieren, ohne es konkret zu machen. Das erübrigt die Frage, wie etwas „gemeint“ sei: Es kann gefühlt werden. Überhaupt: das Gefühl. „Wenn etwas aus dem Bauch kommt, müssen Sie nicht nachdenken, das stimmt immer“, meint Steimle. „Heimat“ ist so ein Bauchgefühl für ihn, das untrüglich ist. Wenn politisch etwas nicht stimmt in „seinem“ Land, das spüre er. In der MDR-Talkshow Riverboat kommentierte er zur Pegida-Bewegung: „Jeder, der fühlen kann, merkt, es ist nicht die Minderheit, sondern die Spitze des Eisbergs.“ Für seine politische Positionierung erntet er oft Applaus, aber auch Kritik – beispielsweise, als jetzt bekannt wurde, dass er die Unterschriftenpetition „Erklärung 2018“, initiiert von der DDR-Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld und prominent unterstützt vom Dresdner Autor Uwe Tellkamp, unterzeichnete. Tellkamp meinte zuvor, dass „über 95 Prozent“ der Menschen, die in Deutschland einen Asylantrag stellen, nur kämen, um in die „Sozialsysteme“ einzuwandern, nicht weil sie vor Krieg flüchteten. Das ist nachweislich falsch. Ebenso falsch ist die Behauptung der „Charta“, die von Merkel mitbestimmte Migrationspolitik sei „rechtswidrig“. Für „politisch Fühlende“ wie Steimle, Tellkamp oder rechte Wortführer von Thilo Sarazzin bis Eva Herman, die auch unterschrieben, ist das Faktische nicht von Belang, wenn das Unbehagen aus dem Herzen kommt.
Passend dazu zitiert Steimle Eichendorff oder singt mit dem Publikum Volkslieder wie „Die Gedanken sind frei“. Immer wieder frohlockt er, wenn seine Zuhörer die Andeutungen verstehen, an den richtigen Stellen klatschen und lachen. Zum Beispiel, wenn er die ZDF-Nachrichtenmoderatorin Slomka „Marionetta“ nennt oder mit zynischer Betonung vom „SED-Verbrecherunrechtsstaat“ spricht. Das Publikum entziffert das Wortungetüm als übertriebene politische Korrektheit und soll begreifen: So schlimm war es ja nun nicht. „Es freut mich, dass Sie so reagieren“, sagt er dann und macht eine Geste, als ginge ihm das Herz auf.
Nicht jeder freut sich mit ihm. Wegen seiner Nähe zu Rechtspopulismus, Antisemitismus und Antiamerikanismus schmiss ihn Ende Februar die „Ökumenische Friedensdekade“, eine christliche Friedensbewegung, wenige Tage nach seiner Ernennung zum Schirmherrn wieder raus. Auf der Bühne erklärt Steimle, der Anlass dafür sei unter anderem ein T-Shirt gewesen, das er 2016 zu einem Interview trug. Es stammte vom rechtspopulistischen Compact-Magazin und trug die Aufschrift „Ami go home“. „Das war früher ein Slogan der internationalen Linken“, empört er sich und beteuert, er sei kein Nazi, schließlich habe er auch „mit beiden Stimmen“ links gewählt.
Links wählen und rechts denken ist aber gar nicht schwer. Die Nachkriegspolitik der Alliierten, so Steimle während seines Programms, hätte die Verhinderung einer deutschen Nationalidentität zum Ziel gehabt. Deswegen versprächen deutsche Politiker seit Jahren einen einheitlichen Bildungsplan, den sie nie umsetzen würden. Plötzlich ist der rechte Rand ganz nah, trotz Kreuz bei der Linkspartei. Er sei doch nur für den Frieden, betont Steimle immer wieder. Und da das ja jeder wollen müsse, es aber trotzdem noch Krieg gibt, muss den Krieg jemand anders wollen: die Mächtigen, das „Großkapital“, Deutschland, die USA und immer wieder Israel.
Das Wettern gegen die Mächtigen ist seit jeher Kernbestandteil des Kabaretts, der politischen Satire. Blöd nur, dass die „Mächtigen“ mittlerweile demokratisch gewählt werden, anders als im „SED-Verbrecherunrechtsstaat“. Wenn dann trotzdem die Falschen ins Amt kommen, müsste der Kabarettist eigentlich sein Publikum erziehen. Dessen Bauchgefühl trügt ja aber nicht. Also bleibt nur eine Erklärung: Propaganda. „Woran erinnert mich das nur? Das gab’s doch schon mal!“, ruft Steimle dann aus, und das Publikum lacht und begreift: Zustände wie zu DDR-Zeiten hier! Wer das nicht sieht, dem fehlt wohl der sächsisch-feinfühlige Polit-Seismograf.
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