Thomas Spindler ist schwer zu fassen. Sprichwörtlich und buchstäblich. Schon einen Termin mit ihm zu bekommen, klappt selten im ersten Anlauf. Wer geduldig bleibt, wird von „Tom“, wie er sich vorstellt, mit einer herzlichen Begrüßung belohnt. Umarmung, duzen ohne Diskussion und eine freundliche Einladung zum Kaffee in seinem Büro in Berlin-Schöneberg. Noch bevor man ein Wort entgegnen kann, klagt Spindler über schlechten Schlaf und neuerlich auftretenden Tinnitus, als würde er einen Freund treffen, den er eine Weile nicht gesehen hat. Davon hat er zweifellos viele. Ohne seine Verbündeten, so betont er immer wieder, wäre er heute nicht da, wo er jetzt ist.
Wo ist er jetzt? Spindler ist Geschäftsführer von Trinity Music, einer der größten Konzertagenturen Berlins. Nebenbei gehören ihm noch zwei Plattenläden und mehrere Veranstaltungsorte in der Hauptstadt. Besonders stolz ist er auf sein jährlich im Sommer veranstaltetes „Citadel Music Festival“. Gerade bereitet ihm die Zitadelle aber Kopfschmerzen. Spindler erreichte Kritik von Antifa-Aktivisten, weil auch die AfD ihre Parteitage in der Zitadelle abhält. Es hieß, er gäbe Rechten eine Bühne, obwohl über die Nutzung der Zitadelle die Stadt entscheidet. Jeden anderen Großunternehmer hätte das vermutlich kaum interessiert. Spindler schon. „Antifa! Gegen mich! Das musste dir mal reintun!“, sagt er empört. Spindler war in den 80er Jahren Hausbesetzer, hatte eine Punkband und führte, so lässt er im Gespräch immer wieder durchblicken, ein bewegtes Leben in autonomen Zusammenhängen. Spindler ist da ein zweites Mal schwer zu fassen – sprichwörtlich. Ein Millionär mit Unternehmergeist, der knapp 500 Leute beschäftigt – so einer soll mal ein Rebell gewesen sein?
Früher Ecstasy, heute Salsa
Beweise dafür finden sich nicht nur in seiner Biografie, er trägt sie auch an seinem Körper. Auf seine ehemalige Punkband angesprochen, entblößt er kurzerhand eine Schulter. „Powlack“ steht da in stark verblichener Tinte. „Ich war der Schlagzeuger, aber ich war ganz schlecht.“ Eigentlich wollte Spindler Tierarzt werden. Dann, so sagt er, sei sein Meerschweinchen gestorben. Das sei für ihn traumatisch genug gewesen, um dem Berufswunsch kurzerhand zu entsagen und mit etwa 14 Jahren einen Plattenladen zu gründen. Sein erster Laden hieß „Schlitz“ und befand sich Ende der 70er Jahre in der Berliner Schönleinstraße. Genaue Jahreszahlen sind ihm nicht immer zuverlässig zu entlocken. Eine gewisse Zeit seines Lebens scheint an ihm regelrecht vorbeigerauscht zu sein. „Ich war 20 Jahre auf Speed“, verkündet er ohne merkliches Bedauern in der Stimme.
In diesen 20 Jahren, die etwa zwischen 1980 und 2000 liegen dürften, kam der Erfolg. Spindler gründete mit zwei Partnern seine erste Booking-Agentur, die auf den Namen LSD hörte. Schon zuvor besorgten sie sich Platten in den USA, die sie für interessant genug hielten, um sie auf dem deutschen Markt zu vertreiben. Dann machten sie sich daran, amerikanische Künstler auch in Deutschland auftreten zu lassen. Unter anderem war Spindlers Agentur eine der ersten, die die damals noch recht unbekannten Nirvana auf eine deutsche Bühne brachten, in einem Club namens Ecstasy, einen Steinwurf entfernt vom heutigen Firmensitz von Trinity Music in Schöneberg.
Erkundigt man sich nach diesem Abend, wird Spindlers Erinnerung plötzlich messerscharf: „Das zweite Deutschlandkonzert haben wir gemacht. Die haben im Vorprogramm von Tad gespielt“, sprudelt es aus ihm heraus. Ein Journalist des Tagesspiegel bezeichnete jenes Konzert der später weltberühmten Rockgruppe rückblickend als „historisch.“ Zwei Tage nach dem Mauerfall, am 11. November 1989, fanden sich etwa 150 Menschen im Ecstasy ein, denen Rockmusik wichtiger war als Einheitstaumel. Im Netz findet sich ein Mitschnitt von jenem Abend. Nirvana waren noch weit entfernt von dem Sound, mit dem sie bekannt wurden. Kurt Cobain klingt wütender und weniger resigniert. An anderer Stelle wird berichtet, er habe wegen Problemen mit dem Equipment an diesem Abend seine Gitarre zertrümmert.
Spindler weiß mehr. Über dem Ecstasy befand sich eine Art Aufenthalts- und Schlafraum für die Künstler namens „Hotel Gonzales“. Wenn man Spindler Glauben schenken mag, wurde dort aber selten geschlafen: „Mit Kurt Cobain habe ich da oben Fürze angezündet. War voll geil. Wir waren alle nur drauf, du kannst es dir nicht vorstellen.“ Für Cobains Freundin hat er nicht viel übrig: „Courtney war ’ne Bitch!“ Sie soll von der Bühne uriniert haben.
Heute steht dort, wo das alles stattfand, ein schicker Salsa-Club mit Namen Havanna. LSD und Ecstasy sind Geschichte, für Spindler im doppelten Sinne. Drogen nimmt der 56-Jährige keine mehr. Die fast kindliche Freude, die er beim Erzählen entwickelt, lässt hingegen keine Einschätzung darüber zu, ob er noch immer Flatulenzen abbrennen würde oder nicht. Allzu spät dürfte es dafür wohl nicht mehr werden: „Du musst wissen, wenn ich eine Nacht durchmache, geht’s mir danach zehn Tage schlecht.“
„Ach, der Lamborghini!“
Als er die Nächte noch durchmachen konnte, in den 90er Jahren, gelangte Spindler erst mit Platten, dann mit Konzerten zum Erfolg. Hatte er den richtigen Riecher oder einfach Glück? „Mehr tolle Leute an meiner Seite und weniger Glück“, meint er bescheiden. Heute sind die meisten Plattenhändler durch Algorithmen ersetzt worden. Mit Vinyl lässt sich kaum noch Geld machen, mit Konzerten hingegen schon.
Spindlers Agentur organisiert so viele, dass er selbst kaum den Überblick behalten kann. An manchen Tagen, so erklärt er, schaut er über das Angebot und entscheidet sich dann spontan für einen Besuch. Auf die Frage, was ihm zuletzt gefallen habe, antwortet er nicht, sondern greift sofort zum Telefon: „Wie hieß diese geile Band, wo ich so abgegangen bin?“ Der Gesprächspartner auf der anderen Seite gibt Auskunft. Spindler hätte schon fast aufgelegt, da hört man es auf der anderen Seite durch den Hörer rufen. Der Chef bekommt noch Ratschläge bezüglich eines seiner Autos mitgeteilt. Er wiederholt die Belehrungen, wie ein Jugendlicher seine Eltern wiederholt: „Besonders vorsichtig, weil ganz neue Reifen, jaja.“
Neben der Musik sind Sportwagen Spindlers zweite große Leidenschaft. Nach eigenen Angaben ist er auch Rennsport-Fotograf. Vergangenes Jahr fuhr er anlässlich des „Record Store Days“ (siehe Kasten) zu einem Konzert vor einem seiner Plattenläden in Schöneberg mit einem schwarzen Lamborghini vor. Als die örtliche Polizeibehörde sich dort darüber erkundigen wollte, ob die Veranstaltung angemeldet sei, blieben die Beamten vor dem eindrucksvollen Gefährt stehen. Spindler lacht laut auf: „Ach, der Lambo! Da hab ich gesagt: Steigt doch ein! Und dann haben die sich nicht getraut!“ Auch die Ordnungshüter schienen von seiner übersprudelnden Freundlichkeit irritiert.
An diesem Tag spielte vor dem Plattenladen Spindlers aktuelle Schützlingsband Kafvka, eine linke Crossover-Gruppe, die unter anderem eine modernisierte Version der Hausbesetzerhymne Rauch Haus Song von Ton Steine Scherben zum Besten gab. Spindler, der nun Häuser besitzt, statt sie zu besetzen, schaute sich das Spektakel vergnügt an. Was auf den ersten Blick widersprüchlich wirkt, kaschiert er nicht, er genießt es.
Kann jemand, der mit einem schwarzen Lamborghini und goldener Kette zum Konzert vorfährt, noch glaubwürdig die alternative Subkultur vertreten? Wenn es nach Spindler geht, muss er das sogar. Nicht nur die Berliner Clubkultur hat sich seit den 90ern drastisch verändert. Mit Plattenläden verdient niemand mehr ernsthaft Geld. Spindlers Läden sind Liebhaberprojekte. Ohne sein Kapital gäbe es sie nicht.
Neueröffnungen sind schwierig geworden. Seit zwei Jahren will er in Neukölln einen neuen Club aufbauen. Baugenehmigung, Lärmschutz, Mindestlohn, Zuschläge – bis so ein Laden überhaupt anfangen kann, produziert er nur Kosten. Wie soll das Geld wieder reinkommen, wenn man auch Künstlern eine Bühne geben will, die (noch) keine Hallen füllen? Ein Großteil der Musiker, die Trinity Music bucht, stammt aus dem Alternative- oder Independent-Bereich. Damit das überhaupt finanzierbar ist, muss Spindler, völlig „schmerzbefreit“, wie er sagt, diese Angebote mit den Einnahmen aus dem Mainstream querfinanzieren. Ein paar Mal pro Jahr organisiert die Agentur beispielsweise Auftritte der Chippendales. Oder die eines bekannten Schweizer Tanzmusikproduzenten. „Ein DJ BoBo finanziert 50 Clubshows“, kommentiert er nüchtern. Es sei ihm bewusst, dass die Menschen nur ein gewisses Budget für Konzerte übrig hätten und dass die Ticketpreise immer teurer würden. Ohne sein Mäzen-haftes Modell fänden mittelgroße Bands aus der ganzen Welt, wie er sie schon in den 90ern seinem Publikum nahebringen wollte, zumindest in Berlin wohl nur schwer eine (legale) Bühne.
Dass es Musik jenseits des Mainstreams aber braucht, davon ist Spindler überzeugt. „Letzten Endes ist doch Musik immer noch eine Aussage. Zumindest die Musik, die wir hören.“ Moment mal, wir? Ehe man sichs versieht, ist es geschehen: Spindler hat einen zum Verbündeten erklärt.
Record Store Day
Legende Frauen, Freaks, Punks, Rum-hänger, alle strömen in den 90er Jahren ins „Revolver“, den angesagten Plattenladen in Paris. Dann kommt das Internet, der Laden geht pleite. Vernon, sein Besitzer, wird heimatlos. Virginie Despentes hat ihm, jenem Ort einer ganzen sterbenden Subkultur, in ihrer Trilogie Das Leben des Vernon Subutex ein Denkmal gesetzt.
Heute haben viele Plattenläden trotz Vinyl-Renaissance mit dem Bedeutungsverlust zu kämpfen und können sich finanziell kaum halten. Um auf die Existenz und Schönheit der Plattenläden hinzuweisen, hat ein Kollektiv amerikanischer Ladenbesitzer im Jahr 2008 den Record Store Day initiiert. Mittlerweile nehmen an diesem Aktionstag viele deutsche Läden teil. Sie veranstalten Konzerte oder bieten exklusive Veröffentlichungen an. Der nächste Record Store Day findet am 13. April statt.
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