Die Capitulation

Rap Capital Bra ist der größte deutsche Popstar aller Zeiten und zwingt jeden Kritiker in die Knie
Ausgabe 16/2019

Es gibt Momente im Leben eines Kritikers, in denen er besser kapitulieren sollte. Von Capital Bra wird man dazu gezwungen, sobald man ihn ernst nimmt. Capital wer? Ach niemand, nur der erfolgreichste deutsche Musiker aller Zeiten. Ganze zwölf Nummer-1-Hits verzeichnete der 24-jährige Rapper – bitte tief Luft holen – innerhalb eines Jahres. Das sind mehr Einsen, als die Beatles hierzulande hatten. Sein sechstes Album CB6 wird diesen Rekord noch weiter ausbauen.

Der naive Beobachter der Popkultur könnte angesichts solcher Erfolge nun der Illusion erliegen, es gäbe an diesem Mann etwas Einzigartiges zu entdecken. Schließlich haben alle Rekordmusiker, die sich so gut verkauft haben, irgendetwas fundamental richtig gemacht, ein Genre geprägt, einen Zeitgeist erkannt. Selbst wenn dieser Zeitgeist offenbar verlangte, dass ein Song mit dem Refrain „Ich hab ’ne Zwiebel auf dem Kopf, ich bin ein Döner“ in die Top-10 der deutschen Charts gelangen muss.

Womit aber verzaubert der „Bra“ die Jugendlichen mehr als Elvis und Take That zusammen? Nach wenigen Minuten CB6 ahnt man: Es könnte nichts sein. Einfallslose karibische Beats, tonnenweise synthetisierte Stimme und inhaltsleere Phrasen. Ist es möglich, dass dieser schelmisch lächelnde gebürtige Russe nicht einmal mehr so tut, als wäre er am ästhetischen Wert seiner Musik interessiert?

So ließe sich zumindest erklären, dass der „Bratan“ Kritik an seinem Werk kaum wahrnimmt, Zweifel an seinem Erfolg aber als Majestätsbeleidigung empfindet. Nach einem kurzen Streit mit Dieter Bohlen darüber, wer die meiste Kohle hat, freundeten sich die beiden kurzerhand an und Capital Bra gelang das Unglaubliche: Er befreite einen Modern-Talking-Hit vom ohnehin äußerst dünnen Inhalt. Die Fans fraßen die aufgewärmte Konserve mit Begeisterung. Sein Cover Cherry Lady wurde, klar, zum Nummer-1-Hit.

Mit Marimba zum Maybach

Man mag nun seine Götter des Kulturpessimismus, seinen Adorno oder gar den Nietzsche anrufen – allein, es nützt nichts, denn es ist kaum Gegenstand vorhanden, der zu kritisieren wäre. Ein fassungsloser Musikjournalist sah die Empirie als letzten Ausweg und fand heraus: Der Song Capital Bra je m’appelle besteht aus 292 „Na-na-nas, Ba-ba-bams, Le-le-les und Ell-ell-ells.“ (laut.de) Man möchte solchen bemitleidenswerten Kollegen zurufen: Gebt auf!

Wäre da nicht noch eine Sache: Er könnte doch! Auf älteren Songs weiß er virtuos, schnell und gelegentlich sogar schlau zu reimen. Schulhofreime wie – bitte noch einmal tief Luft holen – „Ich habe Sex mit mehreren Lehrerinnen“ vom neuen Album dürften deutlich unter Capital Bras Fähigkeiten liegen. Nur: Warum anstrengen, wenn die Kids auch für den erstbesten bekifften Gedanken bereitwillig die Deluxe-Box für 50 Euro vorbestellen?

Dieser junge Mann ist an einem Punkt angelangt, an dem er 50 Minuten lang in ein Mikro husten, dies mit einem Marimba-Beat hinterlegen und sich von dem Erlös einen Maybach kaufen könnte. Capital Bra ist Erfolg als Zirkelschluss, der singende, sich selbst verwertende Wert, das buchstäbliche Kapital. Und sobald man das Handtuch geworfen, die Kulturapokalpyse freundlich umarmt und sich davon verabschiedet hat, dass es an diesem konsequent weitergedachten Erfolgsprinzip noch irgendetwas zu kritisieren gäbe, tanzt es sich dazu sogar recht unbeschwert.

Info

CB6 Capital Bra (Bra Music / Urban / Universal)

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