Ein Gig ohne Handy ist wie ein neues Leben

Pop Jack White verbietet Smartphones auf seinen Konzerten. Nun glaubt uns kein Mensch, wie schön’s dort war
Ausgabe 23/2019
Vielleicht mag Jack White auch keine Smartphones, weil er sich selbst nicht gern auf Fotos sieht?
Vielleicht mag Jack White auch keine Smartphones, weil er sich selbst nicht gern auf Fotos sieht?

Foto: Isaac Brekken/Getty Images

So manche antiquierte Technik, wie die Schallplatte, feiert ein Comeback, anderes kommt nie zurück. Die durchaus nervige, aber irgendwie meditative Erfahrung des Zurückspulens einer VHS-Kassette wird wohl keine Renaissance erleben. Nicht immer aber wird alles nur komfortabler.

Konzertgänger können davon ein Lied singen. Der Ticketverkäufer Eventbrite befragte 2018 seine Kunden und fand heraus: Zwei Drittel wünschten sich, es würde vor der Bühne weniger mit dem Smartphone gefilmt und fotografiert. 40 Prozent meinten gar, auf einem Konzert solle überhaupt niemand sein Mobiltelefon für Mitschnitte zücken.

Es werfe nun den ersten Stein, wer noch nie seinen Lieblingskünstler abgelichtet hat, um den hoffentlich neidenden Freunden zu beweisen, was man für eine geile Zeit hatte (oder hätte haben können, würde man sich ernsthaft auf die Bühne konzentrieren). Mit den Smartphones auf Konzerten verhält es sich wie mit dem Falschparken. Wie schön wäre es, würde sich keiner so verhalten wie ich!

Tausendsassa Jack White wollte dieses Problem sozialer Ordnung lösen. Der ehemalige White-Stripes-Kopf, Labelchef und Gitarrenvirtuose verbietet schon seit Jahren auf Konzerten seiner zahlreichen Bands die Smartphone-Nutzung. „Wir glauben, dass ihr es genießen werdet, für einen kurzen Moment eure Köpfe von euren kleinen Spielzeugen zu erheben“, sagte er dazu einmal. Der Aufschrei war erwartbar. White konterte: „Lustig, dass die leichteste Form der Rebellion ist, den Leuten zu sagen, dass sie ihre Telefone ausschalten sollen.“

Wie er die Rebellion durchsetzt, ließ sich vergangene Woche beim Auftritt seiner Supergroup The Raconteurs in Berlin beobachten. Beim Einlass mussten Besucher ihre geliebten Mobilgeräte in kleine, verschließbare Stofftaschen stecken. Ein 2014 gegründetes Unternehmen stellt die Taschen speziell für Phone-free-Konzerte her.

Vormoderne Erfahrung

Der Anblick, der sich dann bot, war eine fast vormoderne Erfahrung: nicht ein einziger flimmernder Bildschirm! Die Besucher schauten oldschool geradeaus und zeigten sich durchaus überrascht über viele neue Raconteurs-Songs, die nicht einmal Hardcore-Fans kennen konnten, weil davon noch keine Raubmitschnitte auf Youtube existieren.

Auch sozial erzeugte das Smartphone-Verbot vergessen geglaubte Szenen: Menschen, die sonst nach dem Konzert bei einer Zigarette prüfen, welche Mails sie am nächsten Morgen mit seichtem Kater besonders grantig beantworten werden, mussten sich nun in die Augen schauen und sich unterhalten. Es soll vorgekommen sein, dass einander Wildfremde den überragenden Sound lobten und über die unverschämten Getränkepreise schimpften. Vielleicht entstand an diesem Abend, gezwungen zum Glück, eine große Liebe. Vielleicht zerbrach auch eine ob der ungewohnten Nötigung zum Austausch.

„Nun glaubt uns kein Mensch, wie schön’s hier war“, klagte Nina Hagen einst über ein fehlendes Beweisstück für den farbenfrohen Urlaub. Nach einem Konzert ohne Smartphone bleiben einem nur die Erinnerung und das abgewetzte Ticket. Wenn ich nun erzählte, dass mich Jack White an diesem Abend auf die Bühne holte, mir eine seiner sündhaft teuren Gitarren um den Hals hängte und ich ein legendäres Solo zum Besten gab, glaubte mir das kein Mensch. Aber gut: Wäre es so gewesen, hätte ich mich auch für den Rest meines Lebens geärgert, dass das keiner gefilmt hat.

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