Es gibt ein Recht auf Blasphemie

Frankreich Eine junge Frau flucht über den Islam und muss nun um ihr Leben fürchten. Solidarität mit Mila!
Ausgabe 07/2020
„Euer Laizismus, unsere Freiheit“, steht auf dem Schild einer Demonstrantin beim „Protestmarsch gegen Islamophobie und Rassismus“ in Paris, November 2019
„Euer Laizismus, unsere Freiheit“, steht auf dem Schild einer Demonstrantin beim „Protestmarsch gegen Islamophobie und Rassismus“ in Paris, November 2019

Foto: Hans Lucas/Imago Images

Mila singt, vielleicht wollte sie ein Star werden. Populär wurde sie nicht wie erhofft. Die 16-Jährige ist in Frankreich seit Wochen ein mediales und politisches Thema. Derzeit fürchtet sie um ihr Leben, kann nicht mehr auf ihr Gymnasium in Lyon gehen. Grund dafür sind Schimpftiraden gegen den Islam, die sie online äußerte, nachdem sie von einem muslimischen Mann als „dreckige Lesbe“ bezeichnet wurde: „Ich hasse die Religion (…), im Koran steht nichts als Hass. (...) Man kann einer Religion gegenüber gar nicht rassistisch sein. Ich habe gesagt, was ich denke, und ihr werdet mich nicht dazu bringen, es zu bereuen.“

Mila bereute nicht. Auch nicht, als sie Morddrohungen erhielt. Sie entschuldigte sich im Fernsehinterview für ihre vulgarité – „ein kleines bisschen“, wie sie sagt. Die Schülerin beharrte auf ihrem Recht auf Blasphemie, das im Geburtsland des Laizismus als ungeschriebenes Gesetz gilt. Seitdem ist sie untergetaucht, steht mit ihrer Familie unter Polizeischutz. Zuletzt veröffentlichte sie einen Song auf Youtube: Je ne veux pas mourir, „Ich will nicht sterben“.

Frankreichs Justizministerin Nicole Belloubet, zugehörig zu Emmanuel Macrons liberaler LRM, meinte zunächst, Milas Aussagen wären ein „Angriff auf die Gewissensfreiheit“ gewesen. Nach Kritik ruderte sie zurück, nannte ihre Worte „ungeschickt“. Weniger sensibel attackierte der Generaldelegierte des französischen Islamrats, Abdallah Zekri, die Teenagerin. Sie habe „Wind gesät“ und ernte nun den sprichwörtlichen Sturm, wenngleich er Morddrohungen verurteile. Ihr Worte seien ein Angriff auf alle Muslime, keine Religionskritik.

Das sah die Staatsanwaltschaft anders. Mila habe ihrer Meinung Ausdruck verliehen und keine Personen beleidigt, befanden die Behörden und stellten Ermittlungen in Richtung Hassrede ein. Neben Frankreichs Rechten solidarisierten sich wenige mit der jungen Frau. Der britischen Times sagte ihr Anwalt: „In diesem Land verteidigt traditionell die Linke den Säkularismus. Es macht mich traurig, dass sie es in diesem Fall nicht tut.“ Feministen und Linke, die sonst verbale und physische Gewalt gegen Frauen sofort kritisierten, blieben im Fall Mila still.

Auch in deutschen linken Medien herrscht schallendes Schweigen. Liegt es daran, dass der Fall Mila hier keine Meldung wert ist? Es wäre so, hätte Mila unflätig gegen irgendeine Religion geschossen. So wie Teenager, besonders wenn sie homosexuell sind, gern gegen den Glauben pöbeln. Das wäre irrelevant gewesen, alltäglich, langweilig. Eine junge Frau, die um ihr Leben fürchtet, ist es nicht. Nie.

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