„Träumst du vom Untergang?“ –Do You Dream Of Armageddon? – heißt ein Song der britischen Metalband Architects. In ihrer Heimat ist die Gruppe recht bekannt, spielte während des Lockdowns 2020 ein Streaming-Konzert in der legendären Royal Albert Hall und begeisterte sogar die Financial Times. Hierzulande ist sie eher Genrefreunden ein Begriff. Trotzdem erreichte ihr jüngstes Album, For Those That Wish to Exist („Für jene, die existieren wollen“), immerhin Platz drei der deutschen Albumcharts.
Fokus Massensterben
For Those That Wish to Exist macht schon im Namen klar, wer sich angesprochen fühlen darf: die junge Generation, die nur noch hoffen kann, dass ihr Leben auf diesem Planeten nicht bereits besiegelt ist. „Kein Baum kann bis zum Himmel wachsen, ohne dass seine Wurzeln bis zur Hölle reichen. Werden wir jemals unsere Lektion lernen?“, hebt Sänger Sam Carter im Intro an. Im darauffolgenden Black Lungs eruptiert der Sound: „Schwarze Lungen für die Jungen, wenn sie sich trauen zu atmen.“
Die nahende Apokalypse war seit Erfindung des Rocksounds ein Thema für Bands der härteren Gangart. Oft handelte es sich um eher abstrakte oder fiktive Szenarien – wie etwa in Slayers Song Raining Blood –, die der harten Musik eine lyrische Entsprechung geben sollten. Die Band Cattle Decapitation („Vieh-Enthauptung“) hingegen hatte schon seit ihrer Gründung 1996 nicht nur Freude daran, sondern auch ein Ziel. Die von drei Vegetariern gegründete, grob dem Death Metal zuzuordnende Gruppe machte in ihren Texten Menschen zu Schlachtvieh und zeigte auf, welch blutrünstige Szenarien die Fleischerzeugung nach sich zieht. Ihr 2019 erschienenes Album Death Atlas hat aber ein anderes Massensterben im Fokus: das der Menschheit. Der Titan Atlas, der in der griechischen Mythologie die Erdkugel trägt, ist auf dem Cover ein Sensenmann. Er trägt einen glühenden, rauchenden, toten Klumpen.
Der infernale Weltuntergang, der früher im Metal oft nur als Idee stattfand, rückt nun näher an die Realität. Die britische Zeitung The Guardian porträtierte im Frühjahr die französische Metalband Gojira. Das 1996 gegründete Quartett beschäftigt sich in mehreren neueren Veröffentlichungen mit der Umweltzerstörung und dem Klimawandel. Auf ihrem jüngsten Album von 2021 finden sich Songs wie Amazonia. Ein typisches Gojira-Stück: vertrackte Polyrhythmik, ein spiritueller Text und hymnische Härte. Auch ein Didgeridoo, das traditionelle Instrument der australischen Aborigines, kommt darin vor. In Amazonia warnt Sänger Joe Duplantier vor dem Untergang des südamerikanischen Regenwaldes und ruft zum Widerstand auf: „Stifte eine Revolte an (...). Das größte Wunder brennt nieder.“ Sowohl Architects als auch Gojira sind über ihre Texte hinaus politisch aktiv, beide Bands unterstützen etwa die Meeresschutz-Initiative Sea Shepherd.
Trendaktivismus? Marketing? Nicht wirklich, Metal-Topoi kreisen schon immer um die Verwerfungen der Moderne: die Herabsetzung des Menschen zur Arbeitskraft, Umweltverschmutzung und -zerstörung, Korruption, die Regentschaft der Maschinen, Krieg, Atomwaffen. Maik Weichert, Gitarrist bei der deutschen Metal-Combo Heaven Shall Burn, erinnert sich: „Heute ist das hochpolitisch aufgeladen, wenn du dich zum Klimawandel äußerst. Früher hätte niemand Metallica oder ähnliche Bands als sonderlich politisch bezeichnet, nur weil sie gegen Krieg oder Klimawandel waren.“ Der 43-Jährige blickt mit Heaven Shall Burn auf knapp 25 Jahre Bandgeschichte zurück. Nicht nur in Deutschland ist die Thüringer Gruppe jedem ein Begriff, der sich mit härterer Musik beschäftigt. 2020 verdrängten sie den Popsänger Pietro Lombardi von Platz eins der deutschen Albumcharts, weil Fans im Lockdown unermüdlich das Album Of Truth and Sacrifice streamten.
Auf jenem Album hat Heaven Shall Burn einen Song aus dem Jahr 1989 gecovert. Die Band verleiht dem Stück Critical Mass der US-Band Nuclear Assault ihren brutalen, mächtigen Sound, der mit der Produktionstechnik von heute in einer völlig anderen Liga spielt als das Original. Den Text ließ die Band unberührt, er passt in der Gegenwart fast genauso gut wie vor knapp 30 Jahren: „Die Biosphäre, der Ort, an dem wir leben, es scheint, als interessiert sie uns kein Stück. (...) Noch ein Ölteppich, verlagerter Atommüll, noch ein gestorbener Wald.“
„Wenn du dir aus der Zeit, auch bevor ich angefangen habe, Metal zu hören, bestimmte Metallica-Texte anschaust, da geht es schon um Themen wie Atomenergie, Klimawandel, Treibhauseffekt. Genauso ist es bei Nuclear Assault oder Obituarys Album World Demise, allein schon das Plattencover oder der Song Don’t Care. Das ist ja nichts Neues. Nur fand das unter einem anderen Vorzeichen statt. Damals hat das Waldsterben den Leuten Angst gemacht, oder das Ozonloch.“
Nein zum Hedonismus
Ganz ähnlich wie Gojira heute sang auch die US-Band Testament schon 1989 vom Waldsterben, in dem Song Greenhouse Effect („Treibhauseffekt“): „Die Welt, die wir kennen, stirbt langsam in Südamerika. Flammen brennen alles ab (...)“ Der Song lief damals bei US-amerikanischen Radiostationen oder in der Metal-Sendung Headbangers Ball von MTV. Was hat sich seitdem getan?
Die Bandgeschichte von Heaven Shall Burn zeigt anschaulich, wie sich das Zusammenspiel von harter Musik und politischem Aktivismus über die Jahre hinweg verändert hat: Zur Gründungszeit der Gruppe Ende der 1990er Jahre hatte das klassische Metal-Genre seinen Zenit vorerst überschritten. Punk- und Hardcore-Bands waren subkulturell bedeutsamer – und politischer. „In die Richtung haben wir etwas mehr geschielt, weil das im Metal noch immer eine Ausnahme war. Da ging es eher um Schätze am Ende des Regenbogens oder um Eiserne Jungfrauen und Drachen und Tod und Krieg und so“, sagt Weichert, der neben seiner Tätigkeit als Musiker als promovierter Verfassungsrechtler arbeitet.
Heaven Shall Burn entwarf einen Misch-Sound, der später „Metalcore“ genannt wurde. Die US-Band Earth Crisis (!) gilt als Vorreiter dieses Stils. Die Vermischung mit Punk und Hardcore veränderte das Auftreten vieler Metalbands. Songtexte waren im Punk mehr als Lyrik und konnten als Anleitungen zur politischen Praxis verstanden werden. Einige Musiker*innen bekannten sich zur Straight-Edge-Bewegung, die unter anderem auf Alkohol und andere Drogen verzichtete, um damit dem destruktiven Hedonismus des alten Punk eine Absage zu erteilen. Genauso spielten Vegetarismus und Veganismus eine wachsende Rolle. Das führte zu dem Typ Metalband, wie es ihn heute gibt: direkt in der Ansprache und praktisch involviert, auch über die Bühne hinaus.
Genau wie Gojira oder Architects ist auch Heaven Shall Burn eng mit Sea Shepherd verbunden und unterstützt darüber hinaus PETA oder die dezentrale Tierschutzgruppe Animal Liberation Front. Wer auf die Konzerte der Bands geht, sieht die Logos der Organisationen überall. Songs wie Hunters Will Be Hunted („Jäger werden zu Gejagten“) von Heaven Shall Burn oder The Devil Is Near von Architects („Du kannst sie schreien hören, sie rufen nach ihren verlorenen Müttern, die verbluten“) beziehen sich direkt und kompromisslos darauf.
So düster die Musik, so hoffnungsvoll ist die Energie, die in den Aktivismus fließt. Nicht ohne Erfolgserlebnisse: „Ich bin jetzt seit über 25 Jahren Veganer. Noch vor zehn Jahren warst du damit ein Alien, und keiner wusste, was mit dir los ist“, sagt Maik Weichert. „Heute kennt das jeder, da hat sich wirklich viel getan.“
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