Veranstaltungbranche leidet unter Long-Covid: Maske weg, Hütte voll? Na ja

Konzerte Hallen sind ausgebucht, Tickets werden immer teurer, Personal fehlt. Kommt die Veranstaltungsbranche wieder auf die Beine?
Ausgabe 21/2022
Krise kann auch geil sein: Auf in die Mehrzweckhalle Mittenwalde
Krise kann auch geil sein: Auf in die Mehrzweckhalle Mittenwalde

Foto: Philipp Schmidli/Getty Images

Weil in den Jahren 2020/2021 viele geplante Konzerte nicht stattfinden konnten, ist das Jahr 2022 seit der weitgehenden Aufhebung von Pandemiemaßnahmen nun unfreiwillig zum Eventjahr geworden – zumindest für einige. „Kulturveranstaltungen, die in einer anderen Welt für ziemlich genau zwei Jahre reichen würden, finden alle zwischen 1. Mai und 30. Juni 2022 statt“, schrieb der Journalist René Aguigah auf Twitter. Stimmt: Über 100.000 Veranstaltungen seien im Laufe der Corona-Pandemie verschoben worden, sagte bereits im Mai vergangenen Jahres der Chef der Ticket- und Konzertagentur Eventim, Klaus-Peter Schulenberg, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).

Es wird nachgetanzt, nachgelesen, nachveranstaltet. Dass die Veranstaltungshallen in Deutschland für so viel Rummel nur begrenzt Platz bieten, hatte dabei offenbar nicht jeder auf dem Schirm. Schlagersängerin Helene Fischer etwa kündigte ihre Tour vorsorglich schon einmal für den Sommer 2023 (!) an. Auch der Sänger Johannes Oerding wollte Anfang 2022 auf Tour gehen, sah sich aber – ähnlich wie Lena Meyer-Landrut – aufgrund der noch immer hohen Corona-Fallzahlen im Winter dazu gezwungen, erneut Konzerte abzusagen. Der Versuch, die Touren zu verschieben, scheiterte: Die großen Hallen des Landes waren bereits Anfang 2022 für das gesamte Jahr ausgebucht.

Aber müssen es denn immer die ganz großen Arenen sein? Tut es nicht auch mal der Jugendclub Carpe Diem in Cottbus oder die Mehrzweckhalle Mittenwalde? Offenbar nicht. Viele Acts planen mit ausverkauften Riesenlocations. Andernfalls würden sich ihre opulenten Shows, an denen etliche Menschen beteiligt sind, wohl nicht rechnen.

Preise für Konzert-Tickets steigen

Bei dem Kabarettisten Otto Waalkes klingt das Ganze verheerend: Er sagte nicht nur seine knapp 86 Shows für das Jahr 2022 ab, sondern sieht auch in Zukunft keine Verbesserung: „Auch eine Verschiebung der Tournee um ein weiteres Jahr ist aus organisatorischen Gründen nicht umsetzbar. Viele Konzerthallen sind für die kommenden Jahre nahezu ausgebucht“, meldete sein Musikverlag noch im Februar.

Masken weg, Hütten voll: Das klingt nach Goldgräberstimmung für die Veranstaltungsbranche. Aber das täuscht. Trotz umfassend gefallener Maßnahmen würden nur zögerlich Tickets verkauft, vor allem für kleinere Veranstaltungen – so meldet es etwa die „Initiative Musik“, eine Fördereinrichtung der Bundesregierung für Musikveranstaltungen. Zudem seien die Kosten für Veranstaltungen gestiegen. Einen Anstieg von 25 Prozent berechnete etwa das Branchennetzwerk Backstagepro für Konzertkarten der „Kaisermania“-Konzerte von Roland Kaiser in Dresden. Kurzer Check: Tickets für Helene Fischer im Jahr 2023 kosten zwischen 100 und 250 Euro, VIP-Tickets bis zu 300.

Viele Veranstalter begründen die höheren Ticketpreise mit gestiegenen Kosten für Catering, Security und Technik. Auch das Personal sei an vielen Stellen knapp. Einige Beschäftigte in der Veranstaltungsbranche haben in den vergangenen zwei Jahren aus Mangel an Perspektiven schlicht das Handtuch geworfen.

Weniger bekannte Künstler benötigen Einnahmen aus Ticketerlösen

Optimismus will daher auch bei den Veranstaltern selbst nicht aufkommen. Der Präsident des Bundesverbandes der Konzert- und Veranstaltungsbranche glaubt nicht einmal daran, dass sich im kommenden Winter weitere Einschränkungen verhindern lassen: „Wir brauchen für den Fall, dass es wieder Einschränkungen gibt, jetzt – und nicht erst, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist – einen wirtschaftlichen Rettungsschirm“, sagte Jens Michow dem RND.

Was auf den ersten Blick also wie eine explosionsartige Wiederbelebung aussieht, ist in Wirklichkeit das fiebrige Zucken einer womöglich langfristig erkrankten Branche. Denn gerade die weniger bekannten KünstlerInnen sind es, die von ihren Albumverkäufen und Streaming-Einnahmen meist überhaupt nicht leben können. Haupteinnahmequelle sind für sie die Einnahmen aus Ticketerlösen und Merchandising. Und die fehlen.

Währenddessen ziehen selbst Superstars ihre ohnehin hohen Preise stark an, um die gewohnte Show überhaupt noch bieten zu können. Ein Helene-Fischer-Fan auf Facebook kommentierte die Lage so: „Kann leider nicht dabei sein, brauche die Kohle für die nächste Tankfüllung.“

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