Ikke Hüftgold beim ESC-Vorentscheid: Kann Dummheit null Punkte verhindern?

European Song Contest Am 3. März entscheidet sich, wer beim ESC in Liverpool für Deutschland in den Kampf um den letzten Platz ziehen darf. Unser Kolumnist Konstantin Nowotny hat einen klaren Favoriten
Ausgabe 09/2023
Der Produzent Ikke Hüftgold polarisiert gern: Vergangenes Jahr mit dem Ballermann-Hit „Layla“
Der Produzent Ikke Hüftgold polarisiert gern: Vergangenes Jahr mit dem Ballermann-Hit „Layla“

Foto: IMAGO / Funke Foto Services

Wer einmal versucht hat, einen Popsong zu schreiben, dem fällt die Kritik an Musik nie wieder leicht. Sicher, die Popgeschichte weiß Unmengen an schlecht Gedachtem, schlecht Umgesetztem und Kombinationen daraus vorzuweisen – aber: Die richtige Menge an Leichtigkeit und Tiefe zu finden, einen Wiedererkennungswert zu schaffen, ohne repetitiv zu werden, das alles allgemeinverständlich umzusetzen und gleichzeitig etwas Besonderes zu sein, das ist so viel schwerer, als es aussieht.

Vor diesem Hintergrund ließe sich nun die Liste der insgesamt neun Kandidaten für den deutschen Vorentscheid zum Eurovision Song Contest (ESC) eigentlich überhaupt nicht mehr kritisieren. Nein, man muss den glattpolierten Choreo-Funk mit vietnamesischer Note von Trong (Dare To Be Different) nicht mögen. Ja, man kann Patty Gurdy und ihren Drehleier-Pop (Melodies Of Hope) schräg finden. Und dennoch: Gut gemacht, auf ihre eigene Art und Weise, sind sie ja alle. Aber reicht das, um eine gewisse deutsche Peinlichkeit – genauer: drei katastrophal schlechte ESC-Platzierungen in den vergangenen vier Jahren – zu verhindern?

Dass irgendetwas anders laufen muss, wird zunehmend auch den Entscheider*innen bewusst. Nachdem in den vergangenen Jahren diverse Fachjurys zielsicher auf das falscheste Pferd gesetzt haben, soll nun das Publikum etwas mehr einbezogen werden. Aber bitte nicht zu viel! Schon im vergangenen Jahr konnten sich Bands selbst für den Vorentscheid bewerben. Zum Publikums-Voting wurden sie aber nur zugelassen, wenn die Jurys das abnickten. Andernfalls wäre vergangenes Jahr wohl die Band Electric Callboy nach Turin gefahren. Auch deren hardcore-hedonistischen modernen Metal-Sound muss keiner lieben, aber das 2022er-Album Tekkno der Band erreichte immerhin Chartplatzierungen in mehreren europäischen Ländern außerhalb Deutschlands.

Für die deutschen Jurys war das aber nichts. Ergebnis: Der Vorentscheid 2022 mit dem prätentiösen Titel „Germany 12 Points“ wurde zu seiner eigenen Karikatur. Malik Harris’ Song Rockstars erreichte kein einziges Mal zwölf Punkte – und den letzten Platz. Der Künstler trug es mit Humor, zu Recht: Rockstars scheiterte zwar beim ESC, war dann aber im deutschen Chartradio erfolgreich. Und genau das ist die Crux, denn: Auch wenn es hierzulande historisch gern anders betrachtet wird, findet der Rest der Welt nicht automatisch genial, was den Deutschen gefällt.

Dieses Jahr nun konnten sich auch auf der Plattform Tiktok Bands und Künstler*innen für den Vorentscheid bewerben. Das klingt überraschend publikumsnah. Aber, aber: Zur Abstimmung zugelassen wurden natürlich nur ausgewählte Acts. Nicht auszudenken, wenn hier ein eher jugendliches Plattform-Publikum darüber entscheidet, wer für Deutschland in den Kampf um den letzten Platz beim ESC ziehen darf.

Das Publikums-Voting gewann nun ausgerechnet Partyschlagersänger Ikke Hüftgold, dessen Label vergangenes Jahr einen skandalösen Ballermann-Hit über eine gewisse Sexarbeiterin (Layla) produzierte. Lied mit gutem Text heißt sein ESC-Beitrag, ein für den 46-Jährigen gewohnt primitives Stampfmassaker, das selbstironisch auch die Musikindustrie auf die Schippe nimmt: „Wir brauchen endlich mal ein Lied ohne Saufen, wir brauchen endlich mal ein Lied ohne Sex, wir brauchen endlich mal ein Lied ohne Drogen, endlich mal ein Lied mit gutem Text – und der geht: La La La...“ Das ist zwar von Herzen dumm, aber auch nicht ganz so blöd, wie es vorgibt zu sein. Es ist Rammstein für die Ballermann-Disco, Pop als Marschmusik, Sound in seiner deutschesten Form, und damit genau das, was die Welt von diesem Land erwartet.

Diesen Song nach Liverpool zu schicken wäre geradezu fahrlässig bescheuert – und damit das einzig Richtige.

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