Interview Seit Jahren kämpft der Jugendrichter Andreas Müller für die Legalisierung von Cannabis. Was sagt er zum Plan der Ampel-Koalition, Gras-Genuss zu ermöglichen?
Es kann laut werden, wenn man mit Andreas Müller telefoniert. Verwunderlich ist das nicht: Der Jurist hat eine emotionale Beziehung zum Thema Cannabis. Sein Bruder wurde in Jugendjahren wegen des Vertriebs von Cannabis verurteilt. „Eine Entkriminalisierung von Cannabis hätte meinem Bruder seine Knast- und Drogenkarriere vermutlich erspart“, schreibt Müller in seinem Buch Kiffen und Kriminalität. Nun will die Ampelkoalition bis Ende des Jahres einen Gesetzesentwurf zur Cannabis-Freigabe vorlegen. Ruhe gibt Müller deswegen noch lange nicht.
der Freitag: Herr Müller, zu Beginn unseres Gesprächs wiesen Sie mich auf eine Meldung hin: Der Bund Deutscher Kriminalbeamter meint: Kriminalisierung sei „kein geeignetes Mittel“, um den Vertrieb
ein geeignetes Mittel“, um den Vertrieb von Cannabis zu bekämpfen. Nun sind also schon Polizisten pro Legalisierung?Andreas Müller: Allmählich verlassen die Prohibitionisten das sinkende Schiff, weil sie keine Argumente mehr haben.Denken Sie, dass solche Entwicklungen auch auf Ihren Einfluss zurückgehen?Soll ich arrogant sein?Von mir aus, gern.Wenn es Richter Müller nicht gegeben hätte, der seit Jahren durch Pressearbeit, von kleineren O-Tönen übers Morgenmagazin bis hin zu größeren Talkshows immer wieder getrommelt hätte, dann wäre das nicht so weit gegangen. Ich war natürlich nur ein Aktivist von vielen. Aber eben einer im weißen Hemd und mit Status.Dabei dürften Sie als Jugendrichter am Amtsgericht Bernau an sich gut beschäftigt sein. Warum ist Ihnen das Thema so wichtig?Natürlich ist das eine Belastung. Es sind ja nicht nur Interviews, es ist auch die juristische Arbeit. Erarbeiten Sie mal eine Vorlage – 140 Seiten! Außerdem ist der persönliche Druck auch hoch: Sie können nicht einfach sagen: „Ich halte das für verfassungswidrig“ – und dann am nächsten Tag einen kleinen Jungen verurteilen.Sie sind auch im Vorstand des deutschen Ablegers der Organisation LEAP, „Law Enforcement Against Prohibition“. Dort organisieren sich Menschen aus dem Strafverfolgungssystem und machen Druck gegen die Drogenverbotspolitik.Ja, auch da bin ich aktiv. Da sind Leute aus Polizei und Justiz, die sinnvolle Arbeit machen wollen.Zudem bin ich in die Cannabis-Konsumenten-Szene vernetzt. Ich kann relativ schnell dafür Sorge tragen, dass auf Twitter das Thema trendet und so weiter. Aber ich wäre so froh, wenn ich das nicht mehr am Hals hätte ...Vor Kurzem fand in Berlin etwa die Hanfmesse Mary Jane statt, da waren Sie auch vor Ort. Sind Sie da nicht so etwas wie ein Star?Ja, ich war auf der Mary Jane und habe einen Vortrag vor 150 Leuten gehalten. Ich bin auch gerne da, weil das ein wunderbares Publikum ist – wenig Alkohol, und ich habe nicht eine Prügelei gesehen. Aber ja, Sie haben recht: Ich kann auf der Mary Jane keine zwei Meter gehen, ohne dass jemand ein Selfie mit mir machen möchte. Das ist natürlich auch anstrengend. Aber die Leute haben offenbar Freude daran, ein Bild mit mir ins Internet zu stellen, und die will ich ihnen nicht nehmen. Einen Bekanntheitsstatus hatte ich auch vor 20 Jahren und in den Jahren danach, als ich im Kampf gegen Rechtsradikalismus unterwegs war. Allerdings nicht so geballt.Nun könnten Sie den Aktivismus theoretisch ruhen lassen. Die Ampel hat das Thema Cannabis-Legalisierung sogar in den Koalitionsvertrag schreiben lassen.Das Bundesverfassungsgericht hat noch nicht entschieden. An dem Tag, wo es das macht, will ich im Dienst sein. Oder im Urlaub. Ich möchte kommentieren, was aus Karlsruhe kommt. Warum ich mir das antue: Ich denke immer, sonst macht es jemand anderes und der macht es vielleicht nicht richtig. Ich habe wegen einer familiären Geschichte immer noch eine emotionale Bindung an das Thema. Aber ich priorisiere auch: Ich habe Sie im Vorfeld gefragt, wie viel Auflage der Freitag hat. Dann denke ich: Der Freitag hat zwar nicht die höchste Auflage, allerdings lesen den viele intelligente Menschen. Dann kann man da was sagen. So ticke ich.Können Sie den intelligenten Lesern des „Freitag“ anhand eines Falles erklären, was Sie umtreibt?Es gibt viele Fälle, in denen Staatsanwälte wegen ganz geringer Mengen anklagen. Das Problem ist, die kleinen Cannabis-Konsumenten wehren sich in aller Regel nicht. Das sind liebe Leute. Und die Kollegen um mich herum verurteilen, als ob nichts wäre. Ich verstehe viele Staatsanwaltschaften, deren Leitungen, und auch die Kollegen Richter nicht. Warum setzen sie nicht aus in einer solchen Zeit? Der Staat sagt: Was bisher passiert ist, das ist Unrecht.Placeholder authorbio-1Burkhard Blienert, der neue Sucht- und Drogenbeauftragte der Bundesregierung, setzt sich ebenfalls für eine Legalisierung von Cannabis ein.Aber leider nicht für eine sofortige Entkriminalisierung. Wir haben fünfzig Jahre Mist gebaut, aber wir machen weiter Mist, bis wir ein vernünftiges Gesetz haben. Das ist so absurd diese ganze Geschichte. Wir wissen: Das ist Unrecht! Aber wir schauen zu, wie das Unrecht permanent weiter in den Gerichtssälen dazu benutzt wird, Menschen zu verurteilen. Für manche sind 1.000 Euro so viel, dass die weinen. Für manche ist eine Freiheitsstrafe das Schlimmste überhaupt. Es werden Leute in Bayern verurteilt, als Wiederholungstäter, weil sie einfach nicht lassen von diesem „bösen Gift“. In deutschen Gefängnissen sitzen Menschen ein wegen des Umgangs mit Cannabis!Was glauben Sie denn, warum Richter und Staatsanwälte das noch so hart verfolgen?Wenn sie 30 Jahre lang oder länger Cannabis-Konsumenten verurteilt haben, ist das einfach in den Köpfen drin. Die Staatsanwaltschaft ist auch weisungsabhängig, die muss die Akten wegarbeiten. Sie kann zwar von den Einstellungsrichtlinien Gebrauch machen, aber es gibt keine Weisung dahingehend, die Verfahren jetzt erst einmal auf Halde zu legen. Der Richter kriegt sie dann auf den Tisch, oftmals mit einem sogenannten Antrag auf schriftliches Urteil, bei Kleinkonsumenten. Und der unterzeichnet, was soll er sonst machen?Es gibt doch da ganz sicher einen Gestaltungsspielraum.Er könnte natürlich eine Hauptverhandlung anberaumen. Dann wird er sich aber möglicherweise anhören müssen: „Wieso verurteilt ihr mich noch?“ Also macht er ein schriftliches Verfahren, der Cannabis-Konsument denkt: Okay, das Urteil nehme ich an. Das wird einfach abgezeichnet. Da denkt man nicht lang. Das sehe ich überall. Alle deutschen Richter könnten sagen: Wir setzen es aus und schicken es nach Karlsruhe. Was Karlsruhe dann macht, ist eine andere Geschichte. Aber das wäre unheimlich anstrengend. Ich rege mich schon wieder auf.Auf die Gefahr hin, Sie erneut aufzuregen, muss ich Sie trotzdem fragen: Es gibt Menschen, die sehen die Legalisierung von Cannabis nicht so locker wie Sie. Die Vereinten Nationen haben einen Bericht vorgestellt ...Das habe ich ja nun überhaupt nicht erwartet, dass Sie mich nach dem Bericht fragen! Die Vereinten Nationen haben irgendeinen Bericht vorgestellt, wonach die Drogentherapien im Zusammenhang mit Cannabis um 30 Prozent gestiegen sind. Okay, aber was bedeuten 30 Prozent? Das hinterfragt ja kein Journalist.Ich kann das durchaus hinterfragen, aber jetzt frage ich Sie.Entschuldigung, okay. Also: Warum ist das gestiegen? Und: Ist das überhaupt gestiegen? Dann muss man sich die Frage stellen: Liegt es an der Gesetzgebung? Werden die Leute eventuell schneller verpflichtet, irgendwo zu einer Suchtberatung zu gehen? Ist es vielleicht etwas Positives und nichts Negatives? In Ländern, in denen legalisiert wurde, gehen die Leute vielleicht auch früher mit ihrer eigenen Sucht besser um. Man kann das auch ganz anders sehen. Wissen Sie, wenn ich in Deutschland tatsächlich ein Problem mit Cannabis hätte und von morgens bis abends an der Bong hängen würde, dann wäre die Hemmschwelle, sich Hilfe zu holen, bei einer Kriminalisierung unheimlich hoch. Wenn man legalisiert, steht das nicht mehr unter dem Damoklesschwert des Strafrechts und es ist einfacher für die Menschen, mit ihrer Sucht umzugehen.Das erzeugt unweigerlich Kosten.Es sind aber keine „schlechten“ Kosten. Und ich meine, ein Cannabis-Entzug – oder eine Reduzierung des Konsums –, wenn das jemand wirklich will, dann geht es relativ flott. Schneller jedenfalls als ein Opiat-Entzug. Ich habe mir vor zwei Jahren als Erster in Deutschland mal die Mühe gemacht, in Zahlen aufzuschreiben, wie viele Leute aufgrund einer vermeintlichen Cannabis-Abhängigkeit – in aller Regel sind es Polytoxikomane – tatsächlich in stationärer Behandlung sind. Warum sind die da? Es gibt den Ratschlag von Anwälten: Mach auf Cannabis-Abhängigkeit, dann gibt es eine mildere Strafe! All solche Geschichten spielen eine Rolle. Man darf nicht einfach alles glauben, auch nicht von der Weltgesundheitsorganisation. Dahinter stecken Prohibitionisten, die Cannabis ganz böse finden und ein Argument finden möchten. Die WHO hat jahrelang Homosexualität als Krankheit dargestellt. Sie hat von Cannabis als Einstiegsdroge geredet. Was soll man von so einer Organisation groß erwarten?Nun hat die Ampelkoalition gerade eine Frist verstreichen lassen, die nötig gewesen wäre, um aus einem von zwei wichtigen UN-Verträgen auszusteigen, die für den Besitz und Anbau von Cannabis Strafen vorsehen.Den 1961er, das Einheitsabkommen über Betäubungsmittel.Genau das meine ich. Rechnen Sie denn vor diesem Hintergrund damit, dass die Legalisierung wirklich so bald kommt, wie etwa Christian Lindner es andeutet?Man kann internationale Abkommen auch brechen. Das hat Kanada gemacht, das haben die Vereinigten Staaten gemacht. Da kräht kein Hahn danach.Keine Strafen, keine Sanktionen, nichts?Ja, natürlich, da gibt’s dann eine Gelbe Karte. Aber ich wüsste jetzt nicht, dass Kanada großartig deswegen sanktioniert worden wäre, außer: „Liebes Kanada, das darfst du aber nicht!“ Uruguay, andere Staaten wie Thailand ... die haben auch nicht mehr gekriegt als eine Gelbe Karte. Man kann Verträge brechen und sollte sie auch brechen, wenn die Verträge unsittlich sind. Und dieser Vertrag ist unsittlich. Dann gibt es Zweistaatenlösungen und es gibt noch EU-Recht – Deutschland als größte Nation in der EU könnte sofort eine andere Entwicklung herbeiführen. Da wären Frankreich, England und so weiter alle glücklich. Man kann brechen, man kann ändern, man kann austreten und wieder eintreten – es gibt tausend Möglichkeiten, da etwas zu machen. Im Moment ist es so, dass sich die CDU – zum Beispiel so ein Stephan Pilsinger – hinstellt und sagt: Ich habe zwar keine Argumente mehr, aber wir sind Vertragspartner. Wir sind Vertragspartner im Blöden!Sie rechnen also nicht mit einer baldigen Legalisierung?Nein. Ich rechne damit tatsächlich Ende nächsten Jahres. Alles andere würde ... mir ein Glücksgefühl herbeiführen. Die Ampel wird sich verzetteln, unendlich ins Detail gehen, sie will das perfekte, unangreifbare Gesetz. Das werden sie nicht schaffen. Jedes Gesetz hat irgendwelche Geschichten, die nachgebessert oder geändert werden müssen. Wichtig wäre aber zunächst: Hört auf mit der Kiffer-Jagd! Das können Sie gerne titeln.Das überlege ich mir. Was wollen Sie eigentlich tun, wenn Cannabis legal ist?Dann setze ich mich mit einer Flasche Rotwein vor den Reichstag und ziehe an einem Joint. Oder vielleicht lasse ich das mit dem Joint lieber, Mischkonsum ist nicht gut. Nein, Spaß beiseite: Ich denke, da werde ich wohl im Bundestag sitzen, irgendein Abgeordneter wird mich wohl einladen.
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