Kommt jetzt die Deutschrap-Dämmerung?

#MeToo Ausgehend von erneuten Vorwürfen sexuellen Missbrauchs sammelt ein anonymes Kollektiv Geschichten von Betroffenen. Steht nun ein Wandel in der Szene bevor?
Ausgabe 26/2021
Shirin David bei der Bambi-Verleihung 2019. Die Rapperin schaltete sich in den „Fall Samra“ ein und machte sich für Betroffene stark
Shirin David bei der Bambi-Verleihung 2019. Die Rapperin schaltete sich in den „Fall Samra“ ein und machte sich für Betroffene stark

Foto: Thomas Niedermueller/Getty Images

Und wieder einer mehr. Und wieder die gleichen Diskussionen, das Anschwellen und Abflauen der Erregungskurve. Wieder wird einem deutschen Rapper ein sexuelles Verbrechen vorgeworfen. Wieder wird mutmaßlichen Opfern Verleumdung unterstellt und kein Glauben geschenkt. Und wieder passiert: Nichts. Oder?

Langsam, und von vorn, auch für die, die nicht eingeweiht sind im Deutschrap-Kosmos. Denn das Problem ist sehr viel größer als „nur“ Deutschrap, der für eine bestimmte Zielgruppe bereits von gigantischer Bedeutung ist. Dem Berliner Rapper Samra, bürgerlich Hussein Akkouche, wurde jüngst vorgeworfen, eine Frau vergewaltigt zu haben. Die Youtuberin Nika Irani äußerte deutliche Vorwürfe, die der Rapper in ihrem und in jedem anderen Fall abstreitet: „Ich habe niemanden vergewaltigt.“

Es hätte einer dieser Fälle sein können, die nach dem immer gleichen Muster ablaufen: Eine Frau spricht Vorwürfe gegenüber einem äußerst erfolgreichen Musiker aus und wird anschließend bedroht und beleidigt. Die Medien betreiben eine Eiertanz-Berichterstattung, weil sie entweder die künftige Zusammenarbeit nicht beschädigen wollen oder Unterlassungsklagen befürchten müssen – wie im Fall des Rappers Gzuz, dem 2019 ebenfalls sexuelle Belästigung vorgeworfen wurde und gegen den anschließend Strafbefehl erging (der Freitag 29/2019).

Diesmal ist aber vieles anders. Zwar muss sich Irani auch in diesem Fall im Netz von unzähligen Fans und anderen Rappern anhören, dass sie Vorwürfe erfunden hätte, um wahlweise „Aufmerksamkeit zu bekommen“ oder um eine „Karriere zu zerstören“. Sie erhält aber auch Rückendeckung, etwa von der bekannten Rapperin Shirin David, die auf Instagram darauf hinwies, dass Vergewaltigungsvorwürfe nur selten ohne Grund erhoben werden, und dass junge Frauen im hohen Ausmaß Erfahrungen mit strafrechtlich relevanten Übergriffen machen.

Im weiteren Verlauf zeichneten sich aber noch zwei weitere Dinge ab, welche die Szene grundsätzlich verändern könnten. Zunächst reagierte Samras Label, Universal, auf die Vorwürfe: Man lasse die Arbeit mit dem Künstler vorerst ruhen und spreche sich gegen jede Form der Gewalt aus. Das ist der erwartungsgemäß pseudodiplomatische Ton eines der größten Major-Labels überhaupt, das mit dem sehr erfolgreichen Rapper gutes Geld verdient. Aber es ist eine Reaktion, wo vorher keine waren. Rapper, gegen die ähnliche Vorwürfe erhoben wurden, mussten sehr selten befürchten, dass sich das ernsthaft auf ihre Karriere niederschlägt.

Zudem kündigte ein anonymes Frauenkollektiv auf Instagram und Twitter an, Vorfälle ähnlicher Natur zu sammeln. Eine Veröffentlichung ist geplant: „Nach ersten Absprachen mit unseren Anwält*innen haben wir nun die Möglichkeit, in den nächsten Tagen die ersten anonymisierten Geschichten von Betroffenen zu veröffentlichen.“ Das wäre ein Meilenstein.

Ein #MeToo der Deutschrapszene ist so überfällig wie ein #MeToo in der Musikwelt insgesamt (der Freitag 8/2020). Nicht nur, weil viele Fälle aufgrund von Machtdynamiken, die allesamt auch mit dem finanziellen Erfolg der Künstler zu tun haben, nie bekannt geworden sind, sondern auch, weil der Umgang vieler Fans mit den Vorwürfen vor allem eins belegt: Männer decken Männer, mutmaßliche Opfer werden unter Druck gesetzt, bis sie schweigen. Diese Effekte haben zu jenem Klima beigetragen, das junge Frauen bis heute glauben lässt, frauenfeindliche Lyrics seien „nur“ und immer das Produkt einer Kunstfigur und Männern auf der Bühne sei irgendwie mehr über den Weg zu trauen als Männern auf der Straße. Bedauerlich bleibt bislang, dass dieser dringend nötige Wandel von den Betroffenen selbst organisiert werden muss.

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