Kein Gott wird uns aus der Pandemie retten. Aber vielleicht eine Göttin? Gerade als man glaubte, in diesem Sommer gäbe es wenig Anlass zur Freude, gleitet Taylor Swift überraschend vom Olymp herunter und beglückt ihre Jünger außerhalb ihres zweijährlichen Veröffentlichungszyklus' mit einem neuen Album, nur elf Monate nach dem vorherigen. Nichts, wirklich gar nichts scheint es zu geben, was diese Krise nicht aus den Fugen bringt.
Standesgerecht wurde die frohe Botschaft vergangenen Donnerstag auf Instagram verkündet. Die nunmehr achte Niederkunft ereignete sich dann wenige Stunden später, messianisch korrekt um Mitternacht. folklore heißt das Album, das in weiten Teilen von Aaron Dessner, Songwriter und Gitarrist bei der Band The National, mitgeschrieben und produziert wurde. Manchem Kritiker genügte das schon, um die ganz andere Qualität dieses Albums auf das Wirken eines Mannes zurückzuführen. Glücklicherweise hört man Dessners Zutun folklore aber nur unterschwellig an. Zwar verbirgt sich bereits im kleingeschriebenen Titel die Reduktion, die bemühte Zaghaftigkeit – aber nirgends wird es so schnarchig-bedrückend wie bei The National.
Sie hat es gewagt
Ungehört ließe sich nun schon mutmaßen, dass hier eine stinkreiche Musikerin die ausfallenden Konzertmillionen über ein schlicht aus Langeweile in der Quarantäne produziertes Album zu kompensieren versucht. Aber was nützt die Meckerei? Es ist ist ein trübes Jahr für alle. Man muss die Lichtblicke nehmen, wie sie kredenzt werden.
Besonders, wenn sie dann doch so vertraut kredenzt werden. Swift-Alben sind wie Bond-Filme. Es gibt Sachen, die wiederholen sich. Und irgendwas ist immer neu, aber nie so neu, dass es Fans wirklich verärgern würde. Nachdem sich die US-Sängerin und Songwriterin oft vorwerfen lassen musste, sie würde absichtlich unpolitisch dichten, um ihr womöglich Trump-wählendes Hörersegment nicht zu vergraulen, kam 2019 auf Lover der Paukenschlag: Ein LGBT-positiver Song (You Need to Calm Down) mit frecher Zeile gegen hitzköpfige Homophobe. Gut, es war eher ein Blechtrommelschlag, aber die Swift'sche Botschaft beinhaltet seit jeher das Freuen und das Sich-Ärgern über die kleinen Dinge.
Auf „folklore“ traut sich Swift abermals etwas, und das gleich im ersten Song (the 1), in der ersten Zeile, von der „Swifties“ längst wissen, dass sie auf den Alben das Mindset für alles Darauffolgende entscheidend prägt: „I‘m doing good, I‘m on some new shit.“ Hat sie nicht wirklich? Hat sie doch! Das ehemalige everbody‘s darling, das Countrymusik für weiße Kirchengänger machte, flucht! Unerhört erfrischend.
Das Ex-Lied, die Königsdisziplin
Ganz so brachial geht es aber nicht durchgängig weiter. Leichtfüßig säuselt „Taytays“ gewohnt helle Sopranstimme über ihr Erfolgsrezept, das ewige „Ich“ und „Du“ eines lyrischen Liebespaares, gerahmt in neue Kontexte. Aber kein Bereuen, keine feindselige Verbitterung, keine vamp-artige Kampfansage wie noch auf Reputation (2017) ist zu hören, auch keine selbstbewusste Ermächtigung wie auf Lover. Vielmehr spricht aus ihrem lyrischen Ich nun oft eine Art negative Versöhnung: Wir beide waren mal.
Dann die nächste Überraschung: Swift bricht mit ihrer dialogischen Gewohnheit, erzählt in the last great american dynasty eine von tatsächlichen Ereignissen inspirierte Geschichte, in der es zur Abwechslung nicht, oder zumindest nicht direkt, um ihre Innerlichkeit geht. Gelungenermaßen führt Swift damit auf folklore die dritte Person ein. Es bleibt nicht bei einem Mal.
Ein weiteres Highlight kommt als Duett daher. Zusammen mit Justin Vernon, dem Publikum bekannt als melancholischer Songwriter mit dem Pseudonym Bon Iver, zaubert Swift eine grandiose Trennungsballade (exile). Das Lied über den Ex, Swifts jahrelang eingeübte Königsdisziplin, kommt ungewohnt unaufgeregt daher und trifft dadurch umso kräftiger. Vernon steht die für seine Verhältnisse klare Produktion gut, messen kann er sich in diesem unfreiwilligen Duell mit Swift, die nicht nur die pointierteren Zeilen hat sondern auch stimmungssicherer intoniert, nur schwer. Am Ende gewinnt der Hörer.
folklore ist eine beeindruckende Demonstration dessen, was die einstige Country-Sängerin Swift, seit sie nach ihrer Entdeckung mit 14 Jahren die Heimat verließ, zuverlässig zum Welterfolg geführt hat: Ein ausgemachtes Talent für einfaches Pop-Songwriting, das die für sie üblichen Bombast-Produktionen oft gar nicht nötig hat.
Zwar könnten Fans genau deshalb die Schlagkraft ihrer Lieblingsinterpretin vermissen – kaum ein Moment auf dem Album eignet sich nunmehr wirklich gut, um ihn schamlos von der Ballustrade zu brüllen –, dafür bekommen sie die Gelegenheit, in den 16 Songs schöne Details und sogar so etwas wie Kanten, eher Kerben, zu entdecken. Ein Beispiel ist etwa die roh belassene Westerngitarre in betty, mit der Swift tatsächlich kurz so klingt, als hätte man sie eben erst aus einem Country-Café weggecastet. Erquicklich.
Alle anderen brauchen trotz des reduzierten Charakters einen gehörigen „sweet tooth“, eine Affinität fürs Süße, Dramatische, Kitschige, um folklore etwas abgewinnen zu können. Wer sich darauf aber einlässt, bekommt eine unverwechselbar neue Taylor Swift und ein wunderbar herbstliches Indie-Album für einen Sommer, den viele ohnehin die meiste Zeit durch die Fensterscheibe erleben.
folklore Taylor Swift Republic Records/Taylor Swift Productions 2020
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