Ich glaube“, kündigt Caroline Rosales an, „hier ist Selbstbedienung.“ Sie trifft sich zum Interview in einem Café in Berlin. Es soll um ihr neues Buch Sexuell verfügbar gehen. Gleich auf den ersten Seiten schreibt sie darin, wie sie las, dass Männer auf Frauen stehen, die Sätze mit „Ich denke …“ oder „Ich weiß nicht“ anfangen. Das begünstige eine Projektionsfläche des „absoluten störungsfreien Nichts“. In dem Café war sie schon oft, wie sie später zugibt. Sie weiß genau, dass dort Selbstbedienung gilt. Im Gespräch wird sie erläutern, wieso es so schwer ist, die anerzogene Mädchenhaftigkeit loszuwerden.
der Freitag: Wenn man Ihr Buch gelesen hat, hat man das Gefühl, Ihnen beinahe unangebracht nahegekommen zu sein. Wie Pubertät erlebt und die eigene Sexualität entdeckt wurde, das weiß man manchmal nicht mal von seinen guten Freunden. Diese Phase des Lebens wird als etwas Abgeschlossenes, bestenfalls Lächerliches behandelt.
Caroline Rosales: Ehrlich gesagt fand ich mich mit acht schon ziemlich komplett. Ich hab schrullige Klamotten getragen, hatte so unkämmbare Haare und hab viel gelesen. Aber die Gesellschaft, die Tanten, Bekannten, Freunde, die Schule – alle haben mir vermittelt: Mit dir stimmt irgendwas nicht. Du verhältst dich nicht wie ein Mädchen, du trägst keine Röckchen und du bist vor allem nicht schlank. Sei lieb und höflich, red nicht so laut, das würde uns allen guttun. Mit 14 trug ich dann Miniröckchen, war superschlank und hab Christina Aguilera gehört. Wir standen auf Partys auf den Boxen und haben mit dem Arsch gewackelt und fanden das okay. Im Grunde wirst du als Frau ziemlich in die Mangel genommen. Ich fand mich vorher in Ordnung, aber du willst auch gut gefunden werden.
Das sind ja nun Erfahrungen, die viele Frauen machen. Warum grämt man sich so davor, darüber zu sprechen?
Weil man sich das oft gar nicht bewusst macht. Warum herrscht überhaupt so ein krasser Druck, einen Freund zu haben, sein erstes Mal zu haben? Als Jugendlicher ist man gleichzeitig so sicher und unsicher wie nie wieder in seinem Leben. Ich glaube, dass man über die Pubertät nicht so viel redet, weil einem das nicht so klar ist, wie sehr das mit einem heute zusammenhängt.
Man ist ganz schlagartig einfach erwachsen, und dann wird von einem erwartet, dass man sich auch so verhält.
Du hast gar keine Zeit mehr, deine Vergangenheit zu reflektieren, weil du ja was „werden“ musst. Gerade als Frau bist du nicht einfach genug. Es gibt da diese Zeitspanne nach der Pubertät, von 18 bis 30 etwa, in der alles passieren muss. Du musst superattraktiv bleiben, studieren, eine Ausbildung machen, einen Job finden. Und gleichzeitig, und das haben Männer nicht so stark, ist zwischen 20 und 30 auch das Alter, in dem du idealerweise Kinder kriegen solltest. Ich hab meine Zwanziger nach der Pubertät wie so eine Art Autobahn des Lebens empfunden. Da gab’s keine Zeit, irgendwas zu reflektieren
Lastet so ein gesellschaftlicher Druck nicht auch auf Männern?
Ja. Im Buch beschreibe ich das Beispiel mit den Pornos: Im Grunde gucken Jungs mittlerweile wahrscheinlich so ab zehn, früher war es vielleicht ab 13, Pornos. Und dann denken die: So geht’s. Die sind ja auch verunsichert und wollen auch gefallen. Dann haben sie vielleicht das erste Mal mit 16 Sex, gehen zu ihrer Freundin und zeigen: So kann’s gehen. Und die Freundin wiederum denkt: Das ist also das, was ein Mann von mir verlangt. Beide schauspielern sich durch ihre Sexualität und tauschen sich überhaupt nicht darüber aus, was der andere will.
Sie reden in Ihrem Buch oft von der Frau, die viele Rollen schauspielern muss.
Wenn du als Typ ab 40 alleine bist, dann bist du eben der Dandy, der noch keine Frau gefunden hat, aber trotzdem cool ist. Für Frauen wird es ab 40 schon schwierig, noch Kinder zu bekommen, da ist die Party gelaufen. Da heißt es: Die Arme, die hat keinen mehr abbekommen.
Zur Person
Caroline Rosales ist Journalistin und Schriftstellerin und lebt in Berlin. Ihr nunmehr viertes Buch mit dem Titel Sexuell verfügbar erschien am 25. Januar im Ullstein-Verlag. Mit Anselm Neft liest sie am 12. März in der Berliner Kulturbrauerei
Im Gegensatz zum Mann sind die Frauenrollen grundverschieden: fürsorgliche Mutter, sexy Partnerin, harte Karrierefrau. Der Mann genügt, wenn er einfach nur der Mann ist.
Die sind nicht nur verschieden, die schließen sich gegenseitig komplett aus. Wenn du der Inbegriff einer sexy Partnerin sein willst, kannst du kein Kind auf dem Arm haben. Du kannst auch nicht zu hart auftreten, dann giltst du wieder als hysterisch. Diese Rollen können einen irremachen.
Sie schreiben auch viel über Ihre eigenen Kinder. Wird es Ihnen da nicht manchmal mulmig? Wie soll man die denn vor so etwas schützen, wenn man schon weiß, dass man mit seiner Erziehung nur begrenzten Einfluss darauf haben kann?
Zunächst habe ich schon das Gefühl, dass unsere Gesellschaft genderfluider und offener geworden ist. Es gibt Dinge, die wären während meiner Kindheit undenkbar gewesen. Im Buch gibt es eine Szene, da schildere ich ein Gespräch zwischen älteren Verwandten von mir, die sich gegenseitig in der Annahme bestätigen, dass Homosexualität eine Krankheit sei. Das habe ich als Kind mitgehört. Bei so etwas habe ich bei meinen Kindern viel mehr Hoffnung, weil ich anders bin und weil die Gesellschaft anders ist. Ich sage ihnen: Du kannst einen Mann oder eine Frau heiraten, du kannst als Mann Nagellack tragen. Die Gesellschaft ist trotzdem erbarmungslos. „Mädchensachen“ würde mein Sohn in der Schule nicht tun. Er ist jetzt sieben, da muss er seine coole Fassade bewahren.
Wenn ich an Mainstream-Pornografie denke, fällt es mir schwer, da irgendein progressives Moment auszumachen.
Ich hab trotzdem das Gefühl, dass es besser wird. Pornos, in denen beidseitiger Oralverkehr vorkommt – das gab es zu meiner Kindheit jedenfalls nicht. Und es gibt ja auch mittlerweile Pornos, die wenigstens auf eine halbwegs vernünftige Darstellung der Frau achtgeben.
Aber sind das die Pornos, die sich Jugendliche auf dem Schulhof anschauen?
Nein, das wahrscheinlich nicht. Auf der anderen Seite kann ich mir wirklich nicht vorstellen, dass die heutige Jungsgeneration noch in solchem Umfang Macker hervorbringen wird.
In Ihrem Buch machen Sie eine Unterscheidung zwischen aktiver und passiver Sexualität. Männer haben eine aktive Sexualität, sie begehren. Die weibliche Sexualität ist eher passiv, Frauen wollen vor allem begehrt werden. Das ist ja im Großen und Ganzen immer noch so, auch trotz feministischer Pornos und Nagellack für Jungs.
Und dann kommt auch noch Björn Höcke und sagt so etwas wie „Wir müssen die Männlichkeit wiederentdecken.“ Ich würde trotz allem sagen, dass es bei Frauen in dieser Generation einen Stimmungswandel gibt und sie nicht mehr bereit sind, gewisse männliche Klischees in ihrer Beziehung zu akzeptieren.
Die Männerfiguren in Ihrem Buch begreifen oft gar nicht wenn sie einen Fehler machen. Dass sie es bemerken, setzt voraus, dass Frauen überhaupt so detailreich von ihrem Innenleben berichten. Das wiederum ist tabu. Wie soll man denn so in einen Dialog kommen, sodass beide verstehen, was schiefläuft mit unseren Ideen von Männlichkeit und Weiblichkeit?
Ich bin in meinen Beziehungen offener geworden. Das war eine sehr positive Erfahrung. Es ist natürlich manchmal peinlich und kostet Überwindung, letztendlich profitiert man ja aber davon.
Müsste dazu so ein Buch, wie Sie es geschrieben haben, nicht auch von einem Mann geschrieben werden?
In meinem Buch zitiere ich den Anselm Neft, der hat einen Artikel geschrieben der hieß Grausame Geilheit. Das fand ich weltbewegend. Ich werde mit ihm zusammen eine Lesung machen. Er beschreibt, wie seine Sexualität durch Pornos geprägt wurde, und dass es ihn bis heute antörnt, wenn Frauen schlecht behandelt werden – selbst wenn es ihm dann sofort wieder leidtut. Mein Buch ist auch ein Versuch, einen ersten Stein zu werfen. Jetzt muss man hoffen, dass die andere Seite kommt.
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