Die politisch korrekte Sprache des Alten Testaments kann nicht darüber hinwegtäuschen: Gebote sind des Teufels. Eltern säuseln: „Wenn du Oma anrufst, würde sie sich sehr freuen, sonst wäre sie sicher enttäuscht.“ Ein psychologisches Massaker für das Kind. So viel schmerzhafter, langfristiger ist die Schuld, die man sich selbst gibt, als die kathartische Strafe beim Übertreten des Verbots. Der Philosoph Slavoj Žižek meinte einmal, im Spätkapitalismus gäbe es ein Gebot zum Genießen. Wer nicht genießt, fühle sich schuldig: Du lebst im Paradies, verhalt dich auch so! Die Woche hat 40 Arbeitsstunden, immer schön lächeln!
Kürzlich sagte die Schauspielerin und UN-Sonderbotschafterin für Frauen- und Mädchenrechte Emma Watson in einem Interview mit der British Vogue, sie sei nicht single, sondern „in einer Partnerschaft mit mir selbst“. Außerdem fühle sie sich mit fast 30 schlecht, wenn sie daran denke, dass sie noch nicht erreicht habe, was sie sich für dieses Alter vorgenommen habe. Und sie habe viel mit der Schuld „gekämpft“, die sie überkomme, weil sie ihr Leben als weltbekannte Schauspielerin nicht ordnungsgemäß auskoste: „Ich sollte all das mehr genießen“, meinte sie.
Im Interview sagt Watson viel Schönes, die „Selbstbeziehung“ aber blieb hängen. Der Guardian jubilierte ob der revolutionären Formel: „Während die Welt, ihre Politik und die Angst vor einer drohenden Apokalypse das Verhältnis zu uns selbst, anderen Menschen und unserer Zukunft verändern, stecken wir immer noch fest in einer veralteten und einschränkenden Sprache über romantische Beziehungen.“ Lustfeinde sind wir, allesamt, die beim Blick in den Abgrund keine Worte finden.
Clever manövriert durch die Postmoderne, wer mit Sprache seine vermeintlichen Unzulänglichkeiten in Vermögenswerte verwandeln kann. Eine Partnerschaft mit sich selbst – klingt so viel schöner als „single“, „solo“, „alleinstehend“. Letzteres ist was für den traurigen Pöbel, der „arbeitslos“ und nicht „auf der Suche nach neuen Herausforderungen“ ist. Gewinnertypen wissen: Eine Beziehung zu einem anderen Menschen, das ist wie eine Stufe auf der Karriereleiter. Irgendwann sollte es so weit sein, und es muss „passen“ wie eine maßgeschneiderte Skinny Jeans.
Die Soziologin Eva Illouz nannte dies „Hypersubjektivität“, die „Selbstbejahung“, selbst wenn sie aus der „wiederholten Erfahrung des Nichtwählens“ besteht. Selbst schuld, wer nicht auch noch den Verzicht genießen kann, oder eben die „drohende Apokalypse“. Von Geboten keine Spur, überall nur Freiheit. Mir geht’s gut, und dir?
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