Streaming rettet die Branche, nicht die Musik

Corona Das Netz galt jahrelang als Feind, nun hat Streaming die Musikbranche gut durch die Krise gebracht. Aber haben davon auch die Künstler*innen etwas?
Ausgabe 12/2021
Ja, ein anderes Bezahlmodell wäre wünschenswert. Aber ohne Spotify stünden viele Musiker*innen in dieser Krise auch deutlich schlechter da
Ja, ein anderes Bezahlmodell wäre wünschenswert. Aber ohne Spotify stünden viele Musiker*innen in dieser Krise auch deutlich schlechter da

Foto: Ben GAbbe/Getty Images

Während die Welt draußen weiterhin an Strömung eingebüßt hat, strömt es immer öfter daheim. Schon am Anfang dieses Jahres meldeten das Marktforschungsinstitut GfK Entertainment und der Bundesverband Musikindustrie (BVMI), dass der Marktanteil von Streamingdiensten im Musikmarkt wächst. Ganze 139 Milliarden Musikstreams wurden im Jahr 2020 gezählt, ein Drittel mehr als im Vorjahr. Florian Drücke, Chef des BVMI, sagte der dpa im Januar, dass in den ersten sechs Monaten des Jahres 2020 rund zwei Drittel des Umsatzes in der Musikindustrie aus den Streams von Spotify, YouTube, Amazon und Co. generiert wurden.

Herr Drücke hat allen Grund, zu jubilieren. Jahrelang hat er versucht, die Branche und ihre Protagonisten davon zu überzeugen, dass das Internet kein Feind (mehr) ist, sondern im Gegenteil: die Zukunft. Mit Erfolg. Die Zahlen des BVMI, der laut eigenen Angaben immerhin 80 Prozent der Musikbranche hierzulande repräsentiert, sprechen eine deutliche Sprache: Trotz Krise erwirtschaftete die deutsche Musikindustrie im vergangenen Jahr ein Umsatzplus von neun Prozent im Vergleich zu 2019, der Deutschlandfunk meldete in seinen Kulturnachrichten: „Streaming rettet Musikbranche“.

Kann das sein? Haben wir uns nicht längst an den Gedanken gewöhnt, dass Streaming-Anbieter ebenso kapitalistische Janusköpfe sind wie Amazon, Südfrüchte oder Billigflieger: Jeder schätzt den Komfort, aber alle wissen um die Ausbeutung und sogar um die Klimaschädlichkeit (Sie erinnern sich, liebe Leser*innen, die Rechenzentren, der Strom, das CO₂ ...)?

„Im Vergleich zu den Freund*innen und Kolleg*innen aus der Livebranche geht es uns als Label tatsächlich sehr gut. Auch Dank des Streamings“, sagt mir Maurice Summen, Betreiber des Berliner Plattenlabels Staatsakt. Er merkt an, dass er den skeptischen Blick der Musikjournalist*innen auf das Thema Streaming nicht ganz nachvollziehen kann, schließlich wären Radiosender und ihre oft homogenen Playlisten weder für erwartungsvolle Hörer*innen noch für die Künstler*innen abseits des absoluten Mainstreams irgendeine Hilfe. Aber hieß es nicht immer, die Künstler*innen würden nur Bruchstücke von Centbeträgen pro Stream bekommen, von denen kein Mensch leben kann? „Natürlich wäre ein anderes Bezahlmodell auf Streaming-Portalen mehr als wünschenswert, aber meines Wissens wird das aktuell eher durch die großen Player aus der alten Musikindustriewelt verhindert denn durch Streamingdienste“, sagt Summen. Recht hat er. Spotify macht seit Jahren Verluste und versucht eher verzweifelt, sich von der Marktmacht der Labels zu lösen, trotz steigender Zahlen von Nutzer*innen. Noch teilen aber Warner, BMG und Universal mit ihren Sublabels die Gewinne der (wieder) wachsenden Industrie weitgehend untereinander auf.

Es ist ein schwacher Trost für die meisten Künstler*innen, wenn „die Musikbranche“ sich retten konnte. Denn wie ein Freitag-Kollege neulich sehr treffend sagte: „Die Musikbranche ist nicht die Musik, so wie der DAX nicht die Wirtschaft ist.“ Vor ein paar Wochen erzählte mir der Rapper Gossenboss mit Zett (der Freitag 10/2021), dass er schon nach recht kurzer Zeit ohne die Möglichkeit von Auftritten einen anderen Job annehmen musste – obwohl es ihm gerade erst gelungen war, von der Musik zu leben. Aber auch er meinte, das Streaming sei derzeit eine Hilfe.

Derweil wirkt es so, als fluteten die Neuerscheinungen ungebrochen den Markt, weil Künstler*innen, die nicht touren können, eben schreiben und aufnehmen. Was dabei ungeschrieben, ungedacht und ungehört bleibt, etwa weil viele mit großen Ambitionen längst nicht mehr an die Kunst denken können – es verliert sich in der Strömung.

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