Surfen mit Skepsis

Buchmesse Spezial Der Medienwissenschaftler Roberto Simanowski fordert den oppositionellen User
Ausgabe 11/2018

Wir müssen den Algorithmen die Stirn bieten, fordert der Medienwissenschaftler Roberto Simanowski. Nicht nur mit (und nach) Donald Trump scheine alles möglich. Der Rapper Kanye West hatte sich bereits 2015 als nächster US-Präsidentschaftskandidat angekündigt, Oprah Winfrey wurde auch schon gehandelt. In Stumme Medien stellt sich Simanowski den Facebook-Gründer Mark Zuckerberg als Präsidenten vor. Überraschend fände er so ein Szenario nicht, schließlich sei Trump dafür „geschichtsphilosophisch“ die „notwendige Vorbereitung“ gewesen. In der Tat: Mit Trump hat ein Umbruch stattgefunden, der beinahe erkenntnistheoretischer Natur ist. Bisher behauptet er nachweislich fälschlich, seine Amtseinführung sei die bestbesuchte aller Zeiten gewesen. Im Zuge der Kontroverse über die Teilnehmerzahl prägte seine Pressesprecherin den Begriff „alternative Fakten“, der bis heute symbolisch für eine verschobene politische Kultur steht.

Eben diese Debatte um Wahrheit und Lüge im Zeitalter des Internets greift Simanowski erneut auf. Hat das Internet selbst die Unterscheidung von Fakt und Fiktion so erheblich erschüttert? So einfach macht es sich Simanowski nicht. Das Medium urteilt nicht – es ist die Art, wie es benutzt wird. „Will man nicht bei der Symptombekämpfung stehen bleiben, muss man sich der Einsicht stellen, dass die Popularität der Falschnachrichten kein Betriebsunfall des Internets ist, sondern seine logische Konsequenz“, schreibt er. Hierauf wie die Bundesregierung mit einem Löschgesetz zu antworten, hält Simanowski für den falschen Ansatz, für ineffektiv und sogar gefährlich, gleich einem Orwell’schen „Wahrheitsminsterium“. Vielmehr müsse der Mensch zum Umgang mit den Neuen Medien so geschult werden, dass er dem „numerischen Populismus“ nicht auf den Leim ginge.

Den Titel Stumme Medien möchte Simanowski so verstanden haben, dass die Algorithmen nicht preisgeben, wie sie funktionieren, selektieren, verzerren. Während ein Zeitschriftenkiosk früher zumindest theoretisch ein breites Meinungsspektrum zur Verfügung stellte, bleibt die Vorsortierung der Meldungen auf Facebook unklar.

Der Text als Flugzeug

Dass sie diese Verschiebung überhaupt wahrnehmen können, erklärt Simanowski, sei ein Vorteil der Älteren, der „digital immigrants“ gegenüber den jungen „digital natives“, die das Netz zwangsläufig so benutzen, als hätte es nie etwas anderes gegeben. Angenehmerweise verfällt er dabei nicht in einen großväterlichen Duktus. Weder die neuen Medien noch ihre jungen Nutzer hätten Schuld an der Misere. Simanowski verurteilt vielmehr das Bildungssystem, das immer öfter „Kompetenzen“ einer humanistischen Bildung vorzieht. Schüler lernen nur noch Nützliches. Kritik müsse aber nicht nützlich sein: „Ihre politische Funktion ist nicht das konstruktive Misstrauensvotum, sondern die dauerhafte Opposition.“

Stumme Medien schließt nicht revolutionär, aber überzeugend. Erfrischend sind Simanowskis Ausführungen vor allem da, wo er die Ursachen für die falsche Erkenntnisskepsis nicht an den Akteuren festmacht, sondern an Ideologie, Geschichtsvergessenheit und am bildungspolitischen Verrat aufklärerischer Ideale. Rationalität ohne Reflexion sei gefährlich, denn: „Wer würde wirklich, wäre ein Flugzeug ein Text, lieber in jenes steigen, das einer gutmütig-oberflächlichen statt einer misstrauisch-symptomatischen Lektüre unterzogen wurde?“ Touché!

Schüler lernen leider bloß Nützliches. Nur: Rationalität ohne Aufklärung ist dumm

Info

Stumme Medien – Vom Verschwinden der Computer in Bildung und Gesellschaft Roberto Simanowski Matthes & Seitz 2018, 300 S., 19,99 €

Die Bilder des Spezials

Noroc heißt Glück und Gesundheit und ist ein rumänischer Ausdruck, den man verwendet, wenn man jemandem zuprostet oder sich verabschiedet. „Noroc!“, viel mehr Kommunikation fand manchmal nicht statt zwischen dem 1984 in Brüssel geborenen Fotografen Cedric Van Turtelboom und seinen Protagonisten. Noroc ist der Titel seiner Fotoserie aus Rumänien. Das Motto: sich immer bei einem Einheimischen einzuquartieren. Van Turtelboom nähert sich mit absurdem Humor einem bizarren Land und lässt uns irgendwo zwischen Dokumentation und Wintermärchen zurück, besser gesagt: mitreisen.

Der Bildband ist in limitierter Auflage erschienen und kann über cedricvanturtelboom.com bezogen werden. Noroc, 86 Seiten, 170 x 224 mm, 30 €

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