Unbegrenzte Möglichkeiten, begrenzter Raum

Big Apple Eine Wohnung in Berlin, Hamburg oder München zu finden ist schwer und teuer? New Yorker Studierende können sich da nur vor Lachen die Bäuche halten

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Frühstück im Bett mit luxuriösem Fenster – mehr kann man nun wirklich nicht verlangen.
Frühstück im Bett mit luxuriösem Fenster – mehr kann man nun wirklich nicht verlangen.

Ryan Nethery @ The Worst Room (http://www.worstroom.com/)

New York City gehört zu den Top 5 der teuersten Wohnregionen der Welt. Ein Quadratmeter kostet durchschnittlich über 10.000 Dollar, in Manhattan kann ein Apartment schon mal die Millionengrenze sprengen. Eine Unterkunft in der Stadtmitte kommt selbst mit Stipendium nicht infrage. Reguläre Mietverträge für "erschwingliche" Wohnungen in den Außenbezirken um die Manhattan-Insel – Brooklyn, Queens und The Bronx sind für Studierende ebenfalls oft unerreichbar, da die Vermieter hohe Hürden für die Bonitätsprüfung setzen. Bezahlbare WG-Zimmer werden also unter der Ladentheke auf Facebook oder dem US-Kleinanzeigenportal Craigslist angeboten – und sind dort dementsprechend hart umkämpft wie freie Sitzplätze in der U-Bahn.

Bis zur Schlüsselübergabe habe ich in knapp zwei Monaten etwa fünfzig Nachrichten verschickt. Vorangegangen waren dem mindestens eine Stunde Recherche täglich. Mein Vokabular musste ich in dieser Hinsicht ein wenig anpassen. In Anlehnung an das Der Freitag A-Z hier die wichtigsten Stichworte für für die erfolgreiche Wohnungsjagd in einem der wildesten Reviere der Welt:

B wie "busy"

Da Einzimmerapartments quasi unbezahlbar sind, viele New Yorker aber dennoch zumindest das Gefühl haben wollen, allein zu leben, legen sie viel Wert darauf, dass sie "busy" (beschäftigt) oder "hardworking" sind. Diese beiden Wörter tauchen gefühlt in jeder zweiten Annonce auf. Meist wird auch vom zukünftigen Mitbewohner verlangt, dass er viel zu tun hat. Das kommt einem zunächst eigenartig vor, auf dem deutschen WG-Markt sind Zweck-WGs selten. In New York möchten sich Mitbewohner unbedingt aus dem Weg gehen. Nichts gibt einem ein besseres Willkommensgefühl als eine Zimmeranzeige, in der steht: "Wir verlangen von dir, dass du so gut wie nie zu Hause bist." Umso kurioser, da von vielen Wohngemeinschaften dennoch eine umfangreiche Selbstauskunft, vom Lebenslauf bis hin zum Myer-Briggs-Typenindikator verlangt wird (kein Witz).

C wie "cozy"

Cozy (gemütlich) ist eine euphemistische Umschreibung für "klein". Very cozy klingt nach Himmelbett oder Hängematte, meint aber: Schuhkarton. Für unter 1000 $ erwarten den zukünftigen Mieter zwischen fünf und zehn Quadratmeter. Wenn es heißt, ein Bett und ein Schrank passen locker ("easily fits"), dann meint das: passt, wackelt und hat (mit etwas Glück) noch Luft, um die Tür zu öffnen. Appropos Luft: Ein Fenster ist selbstverständlich absoluter Luxus und nicht immer im Angebot enthalten. Zum Glück gibt es für viele Smartphone-Kameras mittlerweile ziemlich brauchbare Weitwinkel-Aufsätze und schicke Filter. Damit kann jede fensterlose Hundehütte wie ein leuchtender Tanzsaal aussehen.

G wie „guarantor“

Für die Bonität gibt es in den USA ein Ranking wie bei sportlichen Wettbewerben. Die „credit score“ ist eine Platzierung der eigenen Kreditwürdigkeit auf einigen hundert Rangplätzen, die nach mehreren Kriterien in unterschiedlichen Gewichtungen berechnet wird. Für den New Yorker Wohnungsmarkt ist selbstverständlich eine Platzierung bis knapp hinter der Pole Position notwendig. Die erreicht man beispielsweise mit enorm hohen Kreditrahmen auf mehreren Karten oder erfolgreich abbezahlten Häusern und Autos. Wie, das haben Sie nicht? Kein Problem: Alternativ (oder meistens: zusätzlich) für den Mietvertrag wird ein Nachweis über ein Jahreseinkommen benötigt, dass in der Regel die 40-fache Miete beträgt. Richtig gelesen: vierzigfach. Für eine günstige Wohnung in Brooklyn mit 950 $ Monatsmiete sind das 38.000 $ im Jahr (also ein Monatsgehalt von circa 3.100 $). Das können Sie als Student nicht aufbringen? Kein Grund zur Sorge, ihre Eltern dürfen selbstverständlich mit einer Bürgschaft herhalten. Aufgrund des höheren Risikos verdoppelt sich dann allerdings der Faktor, es geht nun also um die, wieder kein Witz, achtzigfache Monatsmiete. Ihr Studium in New York werden Sie tatsächlich nie vergessen. Dafür sorgen solche Summen und der Schuldenberg an Studiengebühren.

H wie „house rules“

Eigentlich glaubte ich immer, seit meiner ersten eigenen Wohnung jedes Bedürfnis nach irgendwelchen Regeln kontinuierlich verloren zu haben. Die Betreiberin eines New Yorker Hostels, das ich zur Wohnungssuche angemietet hatte, hat mich eines besseren belehrt. Obwohl sie selbst Amerikanerin ist, vermietet sie nicht gern an ihre Landsleute. Diese würden keine Regeln beachten: „Die haben einen Überlegenheitskomplex. Wenn die für etwas bezahlen, glauben sie, es ist ihr Eigentum.“ Deutsche und Belgier, sagt sie, seien die besten Gäste: „Die scheinen Regeln irgendwie zu mögen.“ In der Tat hätte sie alles mögliche von mir verlangen können, ehe ich bereit gewesen wäre, freiwillig eine Nacht unter der Brooklyn Bridge in Kauf zu nehmen. Manche Hausregeln von New Yorker Wohngemeinschaften stießen mir dann aber doch etwas sauer auf. Keine Haustiere? Klar. Keine Partys? Okay. Keine Pärchen? Ähm, nagut. Keine Gäste? Wie bitte? Womöglich bin ich – und das würde mich sehr beruhigen – weniger deutsch als gedacht, aber für 1000 $ im Monat würde ich gern meine FreundInnen zu einem Kaffee bei mir einladen dürfen.

I wie „immediatly“

Wenn asap („as soon as possible“ – so bald wie möglich) nicht mehr ausreicht, dann greift immediatly (sofort). Seit einer Folge der Sitcom How I Met Your Mother kennen auch viele Deutsche eine häufigen amerikanischen Wortmissbrauch: „literally“ (wörtlich) wird oft anstelle von „figuratively“ (bildlich/im übertragenen Sinne) benutzt. Wenn es zum Beispiel heißt: „That literally blew my mind.“, ist nicht wörtlich ein Schädel explodiert, sondern nur metaphorisch. Steht in einer New Yorker Wohnungsanzeige jedoch „immediatly“, dann heißt das auch wörtlich „sofort“. Wohnungsanzeigen werden zum Teil für den selben Tag zur Besichtigung ausgeschrieben und können zum Teil am Folgetag bezogen werden, weil sich die Anbieter zu keiner Zeit um die Nachfrage sorgen müssen. Mehr als zwei Wochen im Voraus wird kaum inseriert. Sollte ein Austauschstudent auf die absurde Idee kommen, die Wohnungsfrage bereits Wochen (oder Tage, oder Stunden) vor Abflug nach New York klären zu wollen, wird ihm spätestens bei dieser Erkenntnis vielleicht wörtlich der Kopf platzen.

R wie "railroad"

Der britische Comedian Michael McIntire ist überzeugt: Amerikanisches Englisch ist expliziter als britisches, weil Amerikaner immer eine Erklärung mehr brauchen. So stellt er beispielsweise fest, dass „horse riding“ („Pferdereiten“) in den USA „horseback riding“ („Pferderückenreiten“) genannt wird, damit klar sei, wo genau das Tier zu satteln ist. Unter einem „railroad style“ („Bahn-/Zug-ähnlichem“) Apartment könnten sich Wohnungssuchende die aufregendsten Dinge vorstellen. Es meint leider lediglich höchst-explizit: Eine Wohnung, deren Zimmer wie Zugabteile aufeinander folgen. Es gibt keinen Flur, jedes Zimmer ist ein Durchgangszimmer. Ursprünglich womöglich zur Einzelvermietung gedacht, werden solche Wohnungen in NYC von verzweifelten Studierenden zu Wohngemeinschaften umfunktioniert. Ein nächtlicher Gang auf die Toilette? Bitte leise, denn Sie müssen durch das Zimmer Ihres Mitbewohners. Anzeigen für Railroad-Apartments erwähnen gern, dass auf Privatssphäre geachtet würde. Umso mehr, da manche dieser Wohnungen auch keine Türen besitzen. Wer jedoch ein railroad apt als 3er-WG in Betracht zieht, den stört vermutlich auch ein Vorhang als Tür nicht mehr.

T wie „there is no kitchen“

Ein Einzelapartment inklusive Bett in Brooklyn für unter 1.000 Dollar? Da muss irgendwo ein Haken sein. Der Beschreibungstext hierfür las sich zu schön um wahr zu sein, bis auf den letzten Satz: „Es gibt keine Küche.“ In der Tat war auf dem Bild direkt hinter der Wohnungstür das Bett, davor ein kleiner Nachtschrank und ein Fernseher. Auf dem Schrank stand eine Mikrowelle. Wer es in dieser Stadt ernst meint mit der Traumwohnung, muss eben Opfer bringen.

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