Die Älteren erinnern sich: Es gab mal eine Zeit, da haben deutsche Rapper sehr gern Masken getragen. Wer hätte ahnen können, dass man im Jahr 2021 so viel rebellischer und krimineller aussehen kann, wenn man das lässt? Jetzt, da die halbe Menschheit Masken trägt, ob nun willentlich oder nicht, hat mancher Rapper seine längst abgelegt.
So auch jener Rapper, um den es hier geht. Nur hat das bei ihm wenig mit rebellischer Inszenierung oder Gangster-Habitus zu tun. Ganz im Gegenteil.
Es ist Mitte Februar. Besagter Rapper, der in seinem Repertoire eine beachtliche Menge Texte übers Biertrinken vorweisen kann, gesellt sich an einem milden Freitagabend mit Limo zum Interview, an einem der eigentlich lebendigsten Orte des Ausgehviertels Dresden-Neustadt. Normalerweise hätte man sich bei dieser Kombination aus Klima und Freizeit hier niemals ruhig unterhalten können. Aus bekannten Gründen geht das heute.
Gossenboss trägt den Stoffbeutel einer Supermarktkette aus Leipzig. Vor einer Weile hat er seine Heimat verlassen. Leipzig habe „etwas mehr Durchlauf, weil es zentraler liegt“, und sei deswegen aufregender, Dresden hingegen etwas „enger und fertiger“. Gleichzeitig, so betont er, schätzt er die alternative Subkultur in der Landeshauptstadt: „Für ’ne Stadt wie Dresden geht hier verdammt viel.“ Also, eigentlich ...
Zweifellos ist er in dieser fertigen Elbstadt bekannter, spätestens seit einer Antihymne, in der er die Absurdität, in einer nicht wirklich angesagten Stadt ein doch recht angesagtes Genre zu praktizieren, auf eine einfache Formel brachte: „Du bist ein Schönling, ich hässlich. Dresden bleibt dreckig.“ (2009) In dieser Line von vor über einem Jahrzehnt war bereits alles drin: Humor, Abgrenzung vom Bling-Bling-Rap, vom bürgerlichen Milieu, ja, eigentlich von der gesamten genormten Gesellschaft.
Damals trug er eine rote Sturmmaske mit einem recht albernen, selbst gebastelten Visier, gab kaum Interviews, verzichtete weitgehend auf irgendwelche Promotion und ironisierte alles, auch sich selbst, unter anderem schon mit seinem Künstlernamen „Gossenboss mit Zett“ und der stolzen Selbstbetitelung als „schlechtester Rapper Deutschlands“. Wenn er aber davon rappte, dass im rechtselbischen Dresden-Pieschen „Mike auf Pille und Mandy auf Nase“ (Miami Pieschen, 2015) sind, war das eine klare Pointe, aber auch damals schon nie nur Image, nie ganz falsch.
Die Themen sind ähnlich geblieben, am Style und der Attitüde hat sich einiges getan. Produktion und Beats sind sehr sauber, weniger hyperaktiv, mehr aufs Detail bedacht, manchmal düster. Durch sein neues Album No Future weht ein erwachsener, aber nicht großväterlicher Filmsoundtrack-Vibe. Die Maske verschwand stückweise. Erst blieb nur das Visier, mittlerweile blickt die Figur Gossenboss den Zuschauer in den Musikvideos ziemlich ernst an. In einem älteren Interview sprach er sich noch gegen eine politische Vereinnahmung seiner Kunstfigur aus. Auf No Future klingt das schon ein wenig anders. Im Track Angst heißt es: „Du erzählst mir ernsthaft was von Ehre, Ahnenstolz und Blut, doch bist ein ahnungsloser, kahlköpfiger Fußballfan, der Autos tunt.“ Die Ironieebene ist noch da, aber nicht das gesamte Album steht auf ihr. Das mag auch darin begründet sein, dass sie nicht immer verstanden wurde: „Früher gab es Zuhörer*innen, da war nicht ganz klar, auf welcher Seite die stehen. Mittlerweile sind die, glaube ich, nicht mehr dabei. Ich glaube, das ist auch so ein Ost-Lokalpatriotismus, der dazu geführt hat, dass Leute das abkulten.“
Rap im Osten ist ganz generell keine einfache Sache. Leipzig, Dresden, Halle und Jena sind nicht die urbanen Metropolen wie Berlin, Frankfurt oder Hamburg mit ihren glamourösen Höhen und ihren zahllosen Abgründen. Im Osten fehlt es oft an Höhen, dafür sind die Abgründe vielseitig. Real-Rap aus Ostdeutschland bedeutet daher oft Reimen über den ordinären Wahnsinn von Crystal Meth und Alkoholismus, Fußball, Nazis, Arbeitslosigkeit und das deutsche Kleinbürgertum, wie es auch die Rostocker Rapcrew Waving the Guns kann, mit der Gossenboss bereits auf Tour war und mit deren Frontmann er auf dem neuen Album ein Feature hat (Karl Heinz). Dort ist es weniger die ostdeutsche, sondern mehr die bürgerlich-gesamtdeutsche Seele, die ihr Fett wegbekommt.
Aber auch ganz abgesehen von irgendeiner Ost-West-Erzählung bleibt der Dresdner ein Gegenentwurf zum Gucci-und-Versace-Rap, der in Deutschland noch immer einige der erfolgreichsten Künstler stellt. Während andere pausenlos vom (legalen oder illegalen) Malochen für den großen Erfolg erzählen, geht es bei ihm öfter mal ums Liegenbleiben und verpasste Chancen (Hätte Wäre Wenn, 2015).
Mit Gelegenheitsjobs als Animateur, im Catering oder am Fließband hielt er sich jahrelang über Wasser, kurze Zeit konnte er von der Musik allein leben. „Seit der Pandemie gehe ich wieder ganz normal arbeiten, vorher war ich hauptberuflich Musiker und in der Lage, meine Miete davon zu bezahlen, weil ich Auftritte hatte.“
Dass das Geld für ein bisschen mehr als die Miete reichen müsste, offenbart der Track Papa ist zurück mit Danger Dan von der Rapcrew Antilopen Gang. In dem Track rappen beide vom Leben als Väter („Du sagst dein Hustle ist hart, doch du warst noch nie ohne Termin beim Kinderarzt“), nicht ohne den Müttern darin Respekt zu zollen. Eine ziemliche Seltenheit im Deutschrap, auch wenn es eigentlich nichts besonderes sein sollte, wie er betont.
Der Mittdreißiger mit – um es in seinen Worten zu sagen – „qualifizierendem Hauptschulabschluss“ spart in seinen Texten nicht mit bissigen Kommentaren gegenüber Student*innen oder Genrekollegen mit allzu schlauen Reimen. Womöglich war der Sächsischen Zeitung nicht klar, was für eine Beleidigung sie 2015 äußerte, als sie ihn hilflos „eher wie einen unausgeschlafenen Studenten als wie einen testosterongeladenen Boss“ beschrieb. Der Gossenboss aus dem Jahre 2021 gendert beiläufig, zum Beispiel wenn er über Künstler*innen wie ihn spricht, denen in der gegenwärtigen Krise noch immer keine Perspektive aufgezeigt wird.
Soundtrack für ein Gefühl
Ach ja, da war ja noch was: die Krise. Er selbst spräche sich für eine Strategie aus, bei der auch die Betriebe geschlossen werden: „Was ich problematisch finde, ist, dass viele Leute ständig über die Arbeit meckern, aber sich das gar nicht vorstellen können, dass es vielleicht auch einen anderen Weg geben könnte, dass man den Betrieb auch mal kurz anhalten kann. Das finde ich irre.“ Es hat etwas Bemerkenswertes, dass einer das sagt, der weiß, wie es sich so lebt, wenn man sich ohne bildungsbürgerliche Privilegien mit Minijobs durchs Leben schlägt. Einer, der viel Unterhaltsames vom Leben ganz unten gerappt hat, aber ganz sicher nicht nur Spaß macht, wenn es um die beinharte Lebensrealität im gegenwärtigen Kapitalismus geht.
Wir trennen uns wieder. Normalerweise wäre jetzt in Dresden-Neustadt die Uhrzeit erreicht, zu der spätestens irgendwo die erste Flasche zu Bruch gegangen wäre. Vieles von dem, was Gossenboss jahrelang beobachtet und lakonisch beschrieben hat, spielt sich nun größtenteils hinter verschlossenen Türen und Fenstern ab. Der Zukunft zugewandt war die Stadt auch vorher nicht, aber mehr No Future war hier tatsächlich noch nie. Zumindest am richtigen Soundtrack für dieses Gefühl mangelt es nun nicht mehr.
Info
No Future Gossenboss mit Zett 100 Prozent O.K.
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