Warnung
Der nachfolgende Text enthält teils drastische Schilderungen von Suizid, die Menschen mit einer psychischen Prädisposition beeinträchtigen könnten
Im Frühjahr beschloss Lisa* zu sterben. An manchen Tagen kam sie nicht mehr aus dem Bett, grübelte ewig, weinte viel. Schaffte sie es mal auf Arbeit, fand sie sich umzingelt von feindlicher Anteilnahme wieder: „Wir haben viel Verständnis für deine Situation“, sagte ihre Chefin, „aber jedes Verständnis hat Grenzen.“ Sie müsse doch verstehen: Jeden Tag, den sie „einfach so“ zu Hause bliebe, müsse ihre Arbeit jemand anderes machen. Und das sei schließlich irgendwann unfair.
Das leuchtete ihr ein. Sie nickte freundlich, entschuldigte sich und fand genügsam die Bestätigung für die Ausweglosigkeit ihrer Situation, die ihr längst klar war. Umso mehr wunderte sie sich darüber, dass ihre Therapeutin widersprach, wenn sie formulierte, was ihr logisch erschien: „Ich stehe allen im Weg.“ Die Therapeutin beschwichtigte und wich aus. Warum sie glaube, dass sie so traurig sei, fragte die Therapeutin. „Ich bin nicht traurig“, antwortete Lisa, „Ich bin die Traurigkeit.“
Info
*Die Charaktere dieses Essays sind fiktiv, beruhen aber auf realen Personen und Begebenheiten
2019 hat sich der Welttag der psychischen Gesundheit – ein Aktionstag der Weltgesundheitsorganisation – der Prävention von Suiziden verschrieben. Zwar ist die Suizidrate in vielen Länder der Welt rückläufig, dennoch: Alle 40 Sekunden stirbt ein Mensch durch die eigene Hand. Unter Menschen zwischen 15 und 29 Jahren ist der Suizid die zweithäufigste Todesursache, nach Verkehrsunfällen, weltweit. Mehr Menschen sterben durch ihn als durch Krieg und Terror. Der schätzungsweise einen Million Suiziden weltweit stehen zwanzig Mal mehr Suizidversuche gegenüber. In Deutschland nehmen sich jedes Jahr 10.000 Menschen das Leben, drei Mal mehr als im Straßenverkehr sterben.
Die Stiftung Depressionshilfe stellt fest, dass in 90 Prozent der Fälle einem Suizid eine psychische Erkrankung vorangegangen ist, in mehr als der Hälfte aller Fälle die Depression. Noch immer existiert viel Falsch- und Halbwissen über diese. Die Stigmatisierung der Betroffenen als irre, krank, irrational trägt oft zur Verschlechterung ihres Zustandes bei. Sie hilft aber der Restgesellschaft, sich auf der richtigen, der wahren, der funktionalen Seite zu fühlen. Ganz besonders in den Industrienationen. Wer wird denn traurig werden im Paradies?
Dieser naiven Einschätzung liegt ein Trugschluss zugrunde. Depressive sind nicht einfach traurig, unter Umständen können sie sogar regelrecht lebensfroh daherkommen. Was Lisa aussprach, war eine exakte Entsprechung dessen, was sie wahrnahm. Wo sie ihre Gedanken äußerte, wendeten sich die Menschen irritiert ab. Zum Arbeiten war sie nicht zu gebrauchen. Ihre Freunde verängstigte sie zunehmend, wenn sie nüchtern davon sprach, dass sie sterben möchte, so als ob es um einen Umzug ginge. Dass sie niemandem etwas nützt, wenn sie nur im Bett liegt und Filme schaut, Musik hört oder einfach gar nichts tut. Hat sie so Unrecht, wenn sie das Gefühl hat, austauschbar zu sein, wertlos? Liebäugelt ihre Chefin nicht längst mit der Idee, ihre Stelle neu zu besetzen? Stimmt es nicht, dass ihr Zustand die kapitalistischen Mühlen, denen sie sich nicht so richtig anzuschließen vermag, aufhält?
Keine Tränen im Paradies
Selbst die Erkenntnis schützt nicht vor der Gewalt der eigenen Gedanken. Der britische Autor Mark Fisher, selbst jahrelang gebeutelt von Depressionen, beschrieb seinen Zustand als „verinnerlichten Ausdruck tatsächlicher sozialer Kräfte“. Obwohl der scharfe Kritiker des neoliberalen Kapitalismus Teile der Schuld für seinen Zustand außerhalb von sich selbst fand – etwas, das vielen Depressiven nicht gelingt – hat er den Kampf gegen die Negativität verloren und nahm sich 2017 das Leben. Eines seiner bekanntesten Bücher heißt Capitalist Realism. Als bezeichnend für jenes Wirtschaftssystem, das sich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion endgültig manifestierte, nannte er seine Alternativlosigkeit. Diese Alternativlosigkeit hat bestechende Ähnlichkeit zu der Ausweglosigkeit, die nicht nur Depressive wahrnehmen und die sie zum scheinbar letzten Mittel greifen lässt.
Dem gesellschaftlichen Missverständnis der Depression folgt ein klinisches. Die moderne Psychologie sucht die Ursachen bei biochemischen Funktionsstörungen im Gehirn oder traumatischen Erlebnissen, die eine verzerrte Wahrnehmung und irrationale Schlüsse zur Folge haben können. Zwar gibt es Hinweise darauf, dass Depressionen erblich sind, fehlendes Serotonin ist aber nicht allein ursächlich. Die Vereinten Nationen erkannten bereits im Jahr 2011, dass das „dominante biomedizinische Narrativ der Depression“ auf der „verzerrten und selektiven Nutzung von Forschungsergebnissen“ beruhe, die „nicht weiterverfolgt“ werden sollten. Man solle den Fokus wechseln von „chemischen Ungleichgewichten“ hin zu „Machtungleichgewichten“.
Die gängigen Methoden begreifen das negative Denken der Betroffenen als ungünstigerweise angelerntes Verhalten, das man wieder verlernen kann. In der Psychotherapie gilt die sogenannte kognitive Verhaltenstherapie als äußerst wirksam gegen die Depression, zumal in Verbindung mit Antidepressiva. Bei dieser Gesprächstherapie lernt der Patient, Wahrnehmung und Verhalten so anzupassen, dass er wieder zu einem funktionalen Mitglied der Gesellschaft wird. Falsche und belastende Schlüsse sollen umgedeutet werden, zu „realitätsgerechten Kognitionen“. Nur was, wenn die Realität bei nüchterner Kognition kaum positive Schlüsse zulässt?
Dass die moderne Welt so in Ordnung ist, wie sie ist, bedarf für manche beträchtlicher Umdeutungsarbeit. „Ihre Situation ist keine Sackgasse, man kann sie ändern“, sagt Lisas Therapeutin. „Ach ja?“, denkt sich Lisa, und versucht sich vorzustellen, wie sie einmal nach 40 Beitragsjahren in Rente geht. Sie denkt an die „Gesunden“, die zwei Drittel ihres wachen Tages ackern. Die, die dazwischen noch eine Yogastunde, eine Partnerschaft und ein Feierabendbier quetschen. Die, die ihre Arbeitskollegen öfter sehen als ihr eigenes Kind und das für normal oder mindestens alternativlos halten. Sie hält ihre Einschätzung für durchaus realitätsgerecht: „Ich kann das nicht und ich werde das niemals können.“ Ihre Therapeutin nickt und notiert: irrationales Katastrophisieren, dysfunktional.
Mitleid hält den Betrieb auf
Es ist nicht klar, ob gegenwärtig mehr Menschen an einer Depression erkranken als jemals zuvor, aber die Krankschreibungen aufgrund psychischer Probleme steigen. Schon ächzen die Arbeitgeber und die Krankenkassen und sehen dringenden Handlungsbedarf: Depressive kosten zu viel, Tote zahlen keine Steuern. Verzichtbar sind die Schwachen nämlich nach wie vor nicht. Seit Jahrzehnten entwickelt die westliche Gesellschaft unentwegt Technologien, die das Leben einfacher machen, mit denen die Menschen sehr viel mehr Wohlstand mit immer weniger Arbeitskraft erwirtschaften können. Die Arbeit scheint dadurch nicht abzunehmen. Im Gegenteil: Im hochindustriellen Kapitalismus müssen noch die, die sich schwer verbiegen lassen, wenigstens noch die Stärken ihrer Abweichung „entdecken“.
Das klappt bei manchen Formen des Autismus – hunderttausende Bürostuhlpsychiater und Fernanalysten Greta Thunbergs sind sich da einig – und natürlich bei der Neuro-Mode der Stunde: dem Narzissmus, der zwar eine anerkannte Persönlichkeitsstörung ist, aber selten behandelt wird, weil er in fast all seinen Ausprägungen hochgradig kapitalismuskonform ist. Die Betroffenen sehen selten Handlungsbedarf, es geht ihnen ja gut. Ihr oft rücksichtsloses Gebaren und ihre Unfähigkeit zum Mitgefühl kann sie sehr weit bringen. Mitleid und Anteilnahme hingegen halten den Betrieb auf.
„Ich muss dann mal wieder los,“ sagte ihre Freundin an einem Abend. „Klar, du musst ja morgen früh raus.“ Lisa schloss die Tür hinter ihr sanft und überlegte, wie sie nun verschwinden könnte, ohne dass noch jemand großen Ärger hat, ohne dass jemand hinter ihr aufräumen müsste oder dass ihr Tod noch Geld kostet. Zum ersten Mal seit einer ganzen Weile räumte sie auf. Sie packte ihre Sachen sauber in Kisten, damit ihre Eltern, Freunde und Bekannte beim Entrümpeln ihrer Wohnung nicht so viel zusammensuchen müssen. Die müssen schließlich wieder früh raus und die Beseitigung der materiellen Reste eines Menschen gibt es keinen Sonderurlaub, höchstens kulante Krankheitstage.
Sie beschließt dann doch, es nicht an diesem Abend geschehen zu lassen. Ihre Freundin schreibt gerade an einer Abschlussarbeit und befindet sich in der stressigen Schlussphase. Lisa möchte nicht der Grund sein, dass sie nicht fertig wird. Bereitwillig hört sie ihren Dämonen daher noch ein paar Nächte zu, die ihr flüstern, dass sie wertlos ist und längst hätte gehen sollen. Am Abend schaut sie eine Dokumentation über einen schwerreichen Immobilienunternehmer. Angesprochen auf die Rechtmäßigkeit seines Reichtums, verteidigt er sich: „Ich bin in dreißig Jahren drei Mal nicht zur Arbeit erschienen wegen Krankheit. Wenn ich einen Bandscheibenvorfall hab, bin ich bei der Arbeit; wenn ich vierzig Grad Fieber habe, bin ich bei der Arbeit; wenn meine Frau mit mir Krach macht und mich nicht schlafen lässt, bin ich bei der Arbeit.“
„So verrückt“, denkt Lisa, „bin ich nicht“.
Info
Hilfe bei akuten Krisen bietet jederzeit die Telefonseelsorge unter 0800 1110111 oder auf telefonseelsorge.de.
Kommentare 22
++ Depressive sind nicht einfach traurig, unter Umständen können sie sogar regelrecht lebensfroh daherkommen. ++
Das stimmt. Die können ihre Umgebung lange täuschen.
++ Die gängigen Methoden begreifen das negative Denken der Betroffenen als ungünstigerweise angelerntes Verhalten, das man wieder verlernen kann. In der Psychotherapie gilt die sogenannte kognitive Verhaltenstherapie als äußerst wirksam gegen die Depression, zumal in Verbindung mit Antidepressiva. ++
Tatsächlich? Ich dachte das wird so bei Höhenangst oder Zwangssachen vorgeschlagen? Die bedrohlich erlebte Situation wird immer wieder aufgesucht. Gegen Depression kann ich mir das überhaupt nicht vorstellen.
++ .. beschrieb seinen Zustand als „verinnerlichten Ausdruck tatsächlicher sozialer Kräfte“...++
Das ist die andere Seite von Einseitigkeit. Es ist dann gesünder, in sich einen Zorn oder zumindest innere Gegenkräfte zu entwickeln, auch wenn man sie nicht wirklich besiegen kann. Aber, die Einsicht, dass man nicht die ganze Welt auf seinen Schultern tragen kann, ist manchmal hilfreich.
Anmerkung: Ich war vor vielen Jahren noch in der DDR in Therapie wegen einer Panik und Angststörung, verbunden mit depressiven "Verstimmungen".
Da gabs eigentlich kaum Angebote. Aber ich hatte Glück.
Therapie in einem Lebensabschnittsland
Noch etwas: Depressive Leute sind sehr anstrengend für ihre Umgebung. Ihnen ist schwer zu helfen, wenn sie nicht selbst einen Weg finden, sich helfen zu lassen und sich selbst irgendwann zu helfen. Die Umgebung hat einfach manchmal Angst, mit herunter gezogen zu werden. Es geht nichts über eine gute Therapie, die mehr will, als die Leute zum Funktionieren zu bringen.
Toller Text!
Ich bin auch schon lange aus der kapitalistischen Tretmühle aufgrund psychischer Schieflagen raus und jeden Tag kommt mir der auch im Text beschriebene Wahnsinn (Arbeitskollegen öfter sehen als seine Kinder) immer abstruser vor. Natürlich beschädigt das tagliche Sich-Zum-Konformismus-Zwingen auf Dauer alle Menschen, die zwar brav in der Matrix (arbeite sonst bist Du nichts wert) funktionieren aber trotzdem objektiv durch ewige Lohnabhängigkeit zu den Verlieren zählen die Leute. Man kann es täglich erleben wie der Ton im öffentlichen Raum aggressiver wurde und wird.
Es braucht allerdings enorme psychische Kraft wenn man unhinterfragt in der Matrix aufgewachsen ist, sich täglich von ihr zu emanzipieren (von dem ewigen Gerede von den Arbeitsscheuen im Internet und Fernsehen etwa). Ich hatte das große Glück zu Hochzeiten des politischen Punkrock aufgewachsen zu sein und habe daher eh eine sehr kritische Sicht auf die ganzen Funktionierer mit ihrer ständigen Aufforderung wie sie zu sein oder angeblich wertlos zu sein. Ich kann (wemseidank) nur erahnen wie sich jemand junges wie im Text heute fühlen muss ohne die Kraft und/oder die Anleitung zu haben sich von dieser kranken unmenschlichen Gesellschaft grundlegend zu emanzipieren.
"Depressive Leute sind sehr anstrengend für ihre Umgebung."
Gilt umgekehrt aber auch. Oder sogar noch mehr.
"Ihnen ist schwer zu helfen, wenn sie nicht selbst einen Weg finden, sich helfen zu lassen und sich selbst irgendwann zu helfen. Die Umgebung hat einfach manchmal Angst, mit herunter gezogen zu werden"
Sagen vielleicht jene, die schwierige Lebensphasen bewältigen konnten. Seht: ich habe es mit Hilfe und dank meines Willens geschafft. Ergo: es liegt letztlich an der hilfsbedürftigen Person selbst.
"Es geht nichts über eine gute Therapie, die mehr will, als die Leute zum Funktionieren zu bringen"
Sagte die (welche?) Therapie wo und wann?http://www.wissenschaftskritik.de/sigmund-freud-ein-verriss-der-psychoanalyse/
Magda, es heißt "kognitive Verhaltenstherapie". Das Konzept geht davon aus, dass sich "negative Gedanken" in einem Teufelskreis verfestigt haben. In der Therapie lernt man nicht das Aushalten negativer Gedanken, sondern die Entwicklung und Erhaltung positiver Vorstellungen und Haltungen. Negative Gedanken werden gemieden und, das ist ganz wichtig, im Konzept der kognitiven Therapie, gerade nicht durchgearbeitet.
Bei Phobien lautet das Konzept gestufte Konfrontation mit Dingen und Vorstellungen, die Angst machen.
"Täuschen" ist ein aktiver Vorgang, Magda. Das liegt Depressiven aber fern, die nicht täuschen wollen, sondern leisten und leisten, trotz ihres Leidens, selbst wenn das psychisch eigentlich nicht geht und sie ihr reales Versagen bitter erleben.
Wenn man ganz ehrlich ist, in der Beurteilung verschiedener Psychotherapieformen, mit und ohne medikamentöse Therapie, erklärt sich die Beliebtheit und Bevorzugung der verhaltens- und kongitionstherapeutischen Verfahren aus ihrer Effizienz im Bezahlsystem.
Der beschränkte, gerade nicht holistische Ansatz, ist effizient. Die Instrumente zur Messung des Therapieerfolgs sind skaliert und leicht validierbar, solange es einen Kontakt mit den KlientInnen gibt und eine Überprüfung mit den dafür entwickelten Fremd- und Selbstbeurteilungsskalen erfolgt. Die Therapie ist kein Fluss mit Ufern in der Biografie in der Lebenssituation und der Persönlihkeit, sondern ein Aufguß, beginnend in kleinen Schritten, wie bei der Kneipkur. Auch die hilft und so hilft auch die kognitive Therapie.
Ganz zu Recht, zweifeln Sie an der "Einseitigkeit", die hohe Behandlungszahlen, in kürzerer Zeit und mir weniger Personal erlaubt, aber die neurotischen Anteile der Erkrankung nicht aktiv auflöst.
Aber es ist nicht von der Hand zu weisen, dass schwer depressive Menschen oftmals zunächst gar nicht analytisch psychotherapiefähig sein können, ja, nicht einmal kognitiv therapeutisch erreicht werden. Eine Zeit lang, kann und muss dann die Therapie eher supportiv und leicht aktivierend sein, aber eben niemals aufdeckend oder umkonditionierend. - Immer zu beachten ist, dass Depressive alltägliche Kränkungen nicht wie Gesunde verarbeiten, sondern als tatsächliche und realitätsgerechte Einschätzung ihrer Person und ihres Leistungsvermögens begreifen: Ich bin schlecht, ich bin nicht leistungsfähig, ich verstehe niemanden, ich bin schuldig, ich bin faul, ich bin,....Diese beständige Selbstabwertung wird nicht oder zu spät öffentlich und ist eines der Hauptmotive für suizidale Handlungen, für die, in letzter Konsequenz, die letzten und restlichen Aktivitätsreserven mobilisiert werden.
Beste Grüße
Christoph Leusch
»Aber es ist nicht von der Hand zu weisen, dass schwer depressive Menschen oftmals zunächst gar nicht analytisch psychotherapiefähig sein können, ja, nicht einmal kognitiv therapeutisch erreicht werden. Eine Zeit lang, kann und muss dann die Therapie eher supportiv und leicht aktivierend sein, aber eben niemals aufdeckend oder umkonditionierend.«
Würden Sie das bitte näher erklären. – Sie wissen, dass ich ein Freund der Lebensleitlinienanalyse bin. Und manchmal ist die Klient/Patient-Beziehung in der Psychoanalyse auch hilfreich.
Die Therapie, die ich in der DDR erlebt habe, habe ich in meinem - verlinkten - Beitrag geschildert. Sie nannte sich "Dynamische Gruppentherapie". Damals leistete Dr. Höck, der auch inzwischen in der Bundesrepublik gewürdigt wird, Pionierarbeit.
Mir hat sie - über Jahre allerdings - sehr geholfen. Und auch eine Veränderung meiner persönlichen Situation. Psychoanalyse war da nicht die Methode.
Natürlich wollen Depressive die Umgebung nicht täuschen über ihren Zustand, sie wollen ihn verbergen, wie ich denke. Es soll alles "normal" sein .
Danke. Hab` mich gleich mal etwas schlauer gemacht:
https://www.aerzteblatt.de/archiv/64972/Psychotherapiein-der-DDR-Revolte-als-Heilungschance
Interessant. Was Verbote (ähnlich wie im Kulturbetrieb) so bewirkt haben.
Hallo,
Wie emanzipiert man sich Ihren Vorstellungen und Erfahrungen nach denn von der Gesellschaft?
Mit freundlichen Grüßen
Danke für diese tolle Ergänzung.
Den Text kannte ich noch gar nicht. Super. Genau so war das alles.
Ich habe - Jahre nach meiner Behandlung in Hirschgarten - mit Dr. Höck ein Interview geführt.
Der war einfach ein wunderbarer Menschenfreund. Was in dem Beitrag geschildert wurde, habe ich auch so erlebt. Am Anfang freundliche Einführung, dann ziemliches Chaos, keine Ansprache, kein Trost, aber massenweise Arbeit "in Haus und Garten". Und am Ende -nach viel Gruppenarbeit - in der Tat auch eine kleine Revolte. Das war durchau "emanzipatorisch".
Auf der Stelle hat das nicht gewirkt, aber am Ende stand ein Konzept von Eigenverantwortung und Mündigkeit. Ich habe noch ein Interview von 2009 dazu gefunden, das deutlich macht, wie sehr Dr. Höck jetzt auch anerkannt ist. Das freut mich vor allem deshalb, weil es ihm immer darum ging, Menschen zu helfen. Die Patienten dort waren alle ganz normale Leute, sehr aktive, beruflich beanspruchte Männer und Frauen von sehr unterschiedlichen Bildungsgraden.
Indem man versucht ein unabhängiges Selbstbewusstsein zu entwickeln. Humanistische Grundüberegungen, etwa ich bin etwas Wert weil ich als erstes Mensch und nicht weil ich so oder so bin helfen dabei sehr. Im Grunde ganz naive Überlegungen wie das ich natürlich das Recht habe am Reichtum der Gesellschaft zu partizipieren weil ich in sie hineingeboren wurde, ich muss mir meine angeborenen (logischen) Menschenrechte nicht erst durch Konformität oder Arbeit verdienen. Solche, im Grunde naive Gedanken und Überlegungen helfen zumindest mir mich zu emanzipieren.Natürlich muss man eine enorme psychische Energie aufwenden das bei zu behalten, denn gerade heutzutage lugt an jeder Ecke die kapitalistische Verwertungslogik hervor, die besagt nur wer sich brav ausbeuten lässt und nicht weiter auffällt ist es wert als volles (unteres natürlich) gesellschaftliches Mitglied zu sein. Manchmal bedarf es auch eines Alkohol-Voll-Rausches begleitet von altem Punkrock bei Youtube um wieder Kraft zu schöpfen. Bisher funktioniert es aber, zumindest bei mir.
2. Natürlich helfen solche Texte wie dieser hier sehr. Man muss schon auch noch geistiger Nahrung suchen um dem alltäglichen Wahnsinn stand halten zu können.
Ich habe einfach in meiner Punk-Zeit viel gelernt. Ich bin absichtlich angerissen rum gelaufen, weil ich schon als Kind lernte das teure Klamotten, der jeweiligen Mode entsprechend, die ich nie hatte, noch keine tollen Menschen machen. Ich habe immer wieder gemerkt wie ich aufgrund meines Aussehens verurteilt wurde, also lernte ich das Lookismus, also vom Aussehen eines Menschen auf seinen Wert zu schliessen falsch ist. Und so weiter und so fort. Ich lernte sehr viel in meiner Punk-Zeit, was mir noch heute sehr zu gute kommt. Aus grundsätzlichen Erfahrungen und Überlegungen wurde im Laufe der Zeit dann eine, mehr oder minder fundierte, politische Überzeugung. Davon zehre ich noch heute. Leider ist die Zeit des Punks heute vorbei, ich habe damals viele Leute getroffen den es sehr ähnlich ging wie mir, die mit Hilfe der Punk-Kultur vor allem psychisch aus den krankmachenden Zwängen der Eltern und/oder der Gesellschaft ausgebrochen sind. Viva Punk ;)
Ich habe noch ein wenig unter Flegels Kommentar geschrieben. Ich denke, das passt auch zu ihrem Beitrag.
Beste Grüße und nur weiter
Christoph Leusch
Ein toller Text, mit dem sie Depression und Funktionsdruck in der kapitalistischen Gesellschaft zusammenbringen. Was mir fehlt, ist die Enstehung der Depression, wenn sie schon nicht körperlicher/erblicher Natur ist. Ich bin der Meinung, dass viele Depressionen heutzutage aus verfehlter Erziehung, fehlender Liebe und auch fehlendem Schutz in der Kindheit resultieren. Es wäre schön, wenn sich eine Edelfeder wie Sie diesem Phänomen widmen und dem noch etwas auf den Grund gehen könnte.
Ich habe meine eigene Geschichte genau unter diesem Aspekt aufgearbeitet. Ich habe jahrelang im System funktioniert und mein Narzissmus hat dazu beigetragen, dass ich relativ schnell Karriere gemacht und in verantwortungsvollen Positionen gelandet bin. Je höher ich flog, desto tiefer fiel ich aber auch. Nach der dritten Kündigung bin ich dann in eine analytische Psychotherapie gegangen und dort habe ich verstanden, was mir meine Eltern angetan haben (bis hin zu sexuellem Missbrauch durch die Mutter). Wie sehr ich das aber für normal gehalten habe und wie sehr ich alles attackiert habe, was mir dahingehend widersprochen hat und damit alle Schutzwälle der Täter aufrecht erhalten habe, das ist schon frappierend.
Darum hab ich meine Geschichte in einem Buch aufgearbeitet. Damit man mal sehen kann, wie verworren und stabil diese selbstzerstörerischen Mechanismen sein können und auch, wie man sich davon befreien kann. Vielleicht haben Sie (der Verfasser des Artikels) ja Lust, sich damit zu befassen und im nächsten Artikel auch die Perspektive der Ursachen und Entstehungsbedingungen mit aufzunehmen. Ich stehe Ihnen auch gerne für ein Gespräch oder Interview zur Verfügung, wenn Sie mögen. Kontaktdaten finden Sie über meine Website...ich möchte jetzt nicht zu offensiv Werbung betreiben.
Vielen Dank für diesen Artikel und die daraus entstehende Diskussion! Es ist sehr wichtig, dass wir uns darüber austauschen!
Mir ist gerade aufgefallen, dass das etwas flapsig daherkommen könnte: Edelfeder ist ein absolut positives Kompliment, das meinen Respekt vor Ihrem Schreibstil ausdrücken soll!
@Konstantin NowotnyIhre Beschreibung über Narzissmus habe ich so hart gefeiert. Selten hat es jemand so treffend beschrieben. Danke.
>>Seit Jahrzehnten entwickelt die westliche Gesellschaft unentwegt Technologien, die das Leben einfacher machen, mit denen die Menschen sehr viel mehr Wohlstand mit immer weniger Arbeitskraft erwirtschaften können.
Nein.
Das ist eines der größten Probleme unserer Zeit: Wir müssen immer mehr leisten, um unseren Wohlstand zu halten - sind aufgrund technischen Fortschritts immer produktiver, arbeiten aber noch genau so lange und verdienen unerheblich mehr, teilweise sogar weniger als unsere Elterngeneration. Das ist, glaube ich, was viele heutzutage fertig macht. Wir sind nie fertig mit der Arbeit; uns wird immer eingebläut, dass wir noch mehr machen könnten, als wir ohnehin schon tun. All der technologische Fortschritt kommt im Wesentlichen den Wirtschaftsmächtigen zugute - und wir profitieren nicht in dem Maße davon, wie wir eigentlich könnten oder sollten.
Herr Nowotny,
ich danke Ihnen für diesen Artikel, dem ich in allen Punkten zustimme. Vorallem ist es die nüchterne Pragmatik, mit der ihre fiktive Protagonistin ihren Selbstmord plant, die uns eigentlich erschrecken sollte, die sich aber aus meiner persönlichen Erfahrung genau so in der Vernunft des nicht-mehr-Funktionierenden vollzieht; es ist eben die von Ihnen und Fisher so treffend bezeichnete Alternativlosigkeit, - sowohl des Systems als auch des Suizids.
Was bleibt einem noch vom Leben in unserer Gesellschaft, wenn man nicht mehr funktioniert? Was kann man denn von seinen Angehörigen realistisch erwarten, die alle Sklaven auf dem selben Schiff sind? - man fällt ihnen nur zur Last, wenn man nicht mehr die Kraft hat, mitzurudern. Es bräuchte schon eine radikale Selbstakzeptanz und Abgekoppelung des Selbstwertgefühls vom gesellschaftlich vermittelten "Wert" der eigenen Person, der in einer Leistungsgesellschaft (die ja auch ihre Vorteile hat - potenziell Meritokratie z.B.) eben beinahe exklusiv über die Arbeit definiert wird (nebst Vermögen und gutem Aussehen vielleicht); die demütigenden Mühlen, die man dann am Horizont lauern sieht - die Jobcenter-Maßnahmen, Ärzte-Odyssee (deren höchst fragwürdigen pharmakologischen Behandlungen man sich dann, bis hin zur Elektroschocktherapie, wohl oder übel unterziehen muss um als "austherapiert" zu gelten) und die soziale Ausgrenzung; mal ganz abgesehen von der Frage, ob man von der Grundsicherung wirklich ein menschenwürdiges Leben führen kann, - lassen den ein oder anderen, bei ganz nüchterner Betrachtungsweise, eben nicht mehr auf ein vergleichsweise (!) erfüllenden oder würdevolles Leben hoffen.
Rechnet man dann noch den unglaublich hohen Vergleichsdruck der heutigen Zeit über social media (denen man sich besser heute als morgen entzieht, vorallem als low-performer, um der eigenen Gesundheit Willen!) und die hohen Erwartungen einer Generation, deren Eltern ihr ständig vermittelt haben, sie hätten es so viel einfacher, sie hätten so viele Möglichkeiten, "alle Türen stehen euch offen, ihr könnt alles erreichen,was ihr wollt, sein, wer ihr sein wollt", ... dann braucht man sich nicht wundern über das Ergebnis.
Ich übe jetzt mal Kritik.
Zuerst sehe ich dieses Thema Depression genauso im Kern wie Angst, oder auch das erzeugen von Hassauslebungen an anderen an und bezeichne es als Erdbeerfeld da die Erdbeere eine Nuss darstellt die man aber nicht über einen erhöhten Kraftaktaufwand knackt, wie bei anderen Nüssen, die eine harte Schale haben. Das hilft schon mal weiter wenn man sich vorstellt, wie knacke ich eine Erdbeere?
Und das andere. Allgemein kannn ich über solch ein Thema nicht reden, da jede Person eine andere Persönlichkeit darstellt mit anderen Bedürfnissen und Wünschen und selbst Depressionen, wie auch Ängste und Hass erzeugen Bedürfnisse und Wünsche in einem Raum in dem Täter und Opfer zu gleichen Teilen agieren. Will ich in deiesen Raum eine ander Gravitation erzeugen muss ich als Opfer mich mit dem Täter beschäftigen und daraufhin kann ich aktiv auf die Gravitation einwirken und dazu reichen einfache veränderte Tagesabläufe, einfach veränderte Gewohnheiten und dafür gibt es kein allgemein Gültiges Rezept, da jeder andere Bedürnisse, wie Wünsche und Erwartungshaltung in sich trägt und ebenso spielt die Herkunft, die Erziehung und nicht bewältigte Traumatas eine Rolle.
Das einzige was ich verallgemeiner kann, ist dass ich aus einem instabilen Charakter einen stabilen Charakter zu seiner eigenen Identitätsstiftenden Vorstellung bilden kann. Bilden heißt, dass der Mensch sich selber durch tatkräftige Impulse ein bilden über sich selbst erstellt und auch eine geistige mentale Reife erfährt um sich aus den bisherigen einfangenden und zugreifenden Gravitationsumständen wie etwa bei Hass und Angst lösen zu können oder diese Gravitation ein anderen Drehimpuls versetzt so dass das negative erzeugte Kraftfeld als Rückkopplung auf den Täter überspringt.
Und jetzt gehe wir gemeinsam alle in Kino und sehen uns Star Wars 9 an.
Ist die Macht in Star Wars nicht einfach nur die Angst vor sich selbst und weil mit diesen negativen Bild von sich selbst kein anderer Umgang zu erwarten ist, wie wenn sich Krebs in einem selbst ausbreitet und diese Mesastasen halten einen in dieser finsteren Gravitation gefangen. Palpatine kann ja nicht gehen und verkörpert so diese Mesastasen, aber er schafft es das alle anderen laufen und zwar im immer wiederkehrenden selbigen Kreis, da ja seine Macht jede Stimme im Kopf darstellen kann und so gesehen haben Alle Angst vor sich selbst in diesem Universum und kämpfen mit Ihrer innewohnenden Schizophrenie um eine neue innere Balance. Und dann gibt es noch die Mitläufer, die ohne besonderen Grund dem Helden bei seiner Arbeit um das erringen der eigenen inneren Balance mitlaufen wollen, da Sie nichts besseres zu tun haben und meinen davon profitieren zu können, ohne selber etwas an der eigenen Balancearbeit tun zu müssen.
Supiedubie gut und von den Widersprüchen in den Handlungen mit den Naturgewalten, will ich gar nichts weiter dazu sagen, außer: Diese Macht über die Natur steckt in uns allen und so werden wir alle neue Helden der Arbeit, da wir die Erde nach unseren Wünschen, in einen neuen Stern umbauen werden. The force (Palpatine) is with you. Schon sind wir beim Klimawandel das man auch als eine Erdbeere zu betrachten hat und nicht mit dem was wir zur Zeit als Löungen ansehen positiv in eine neue Balance erstellen, da ja Arbeit so wie wir Sie weiter betreiben der eigentliche Kipppunkt darstellt und wir diue Erde in einen Stern umbauen werden. Alles natürlich verschwindet in ca. 5 Jahren. Das fängt schon mal mit unserer Ernährung an. Ernährung ein wichtiger Baustein um Depressionen zu fördern oder Angst zu triggern, über zu salzige Nahrung. Und jetzt wenn durch das Klima Kunstfleisch dazu kommt oder anderes gecrisprtes Essen, dann hat das Auswirkungen auf unseren Bakteriehaushalt und unseren Stoffwechsel auf unser Wohlbefinden.
Für mich ging es in diesem Star Wars Film eigentlich nur, um das antizipieren von gewünschten selbsterfüllenden Prophezeihungen als Bedürfniss oder Wunsch und schon bin ich darüber eigentlich auch bei uns selbst angelangt, oder bei der GAFAM Industrie, wie auch bei youtube Influencervideos. Hierzu ein Vergleich über ausbreitenden Hass in der Gesellschaft, als gewünschtes Ziel, damit instabile Identitäten erschaffen werden und so Manipulationen in gewünschte Richtungen möglich werden.
Die Befreiung oder Emanzipation aus diesen negativ einwirkenden und beengenden Konfliktzonen ist eine eigen inner Balance zu erarbeiten und war dann auch die Kernaussage von Star Wars, damit die aber Milliarden Fremdstimmen im Kopf stumm bleiben und die eigene Stabilität über das erarbeiten von geistiger Erweiterung erhalten bleibt.
Lieber @na64 ... Leider bin ich aus ihrem Kommentar nicht schlau geworden. Die Idee aber, man könne den negativen äußeren Einflüssen durch eine "innere Balance" oder auf sonst irgendeine introspektive Art und Weise, entrinnen, grenzt leider an magisches Wunschdenken.
Es ist genau diese Ideologie, welche die Ursachen der Probleme der Individuen, welche durch die Raster der Leistungsgesellschaft gefallen sind, im Innern der Einzelnen suchen will, was Schuldgefühle erzeugt und politische Prozesse in eine bessere Richtung lähmt.
Also nein: es gibt keine "innere Kraft" oder "Macht", keinen alchemischen Prozeß durch welchen wir, entschuldigen Sie meine Ausdrucksweise, Scheiße in Gold verwandeln können. Wir sind unser Umfeld.