Wie Daft Punk ohne Helme

Musik „Die Heiterkeit“ bringen auf ihrem dritten Album den Pop unter die Erde und feiern unfröhliche Auferstehung
Ausgabe 22/2016

Falls eine Band mit ihrem dritten Album noch als underground gelten darf, ist es schon mutig, es gleich als Doppelalbum herauszubringen. Dieses Format ist schließlich sonst nur Superstars vorbehalten, die sich nicht darum scheren müssen, ob ihr Kram auch gehört wird. Es dürften immer weniger Hörer werden, die in Zeiten von Spotify noch die Geduld für ein popmusikalisches Opus magnum wie Pop & Tod I+II aufbringen. Umso mutiger ist es, dass Die Heiterkeit ihr Drittwerk tief melancholisch mit den Worten: „Hier kommt die Kälte“ beginnen. Von Serviceleistungen wie „den Zuhörer mitnehmen“ keine Spur. Auf den Song The End folgen noch zehn weitere.

Der Widerspruch scheint Methode zu haben. Das Symbol der Band ist ein Smiley mit ausdruckslosem Gesicht, ihre Musik nur selten zum Lachen und in ihren Videos von Heiterkeit nicht viel zu sehen. Das war nicht immer so. Auf dem Debütalbum Herz aus Gold klang Sängerin Stella Sommer noch nach Judith Holofernes von Wir sind Helden, und der Band wurde Dilettantismus unterstellt. Beides wollte sie offenbar schleunigst ablegen. Wenn sie alte Songs wie Für den nächstbesten Dandy (2012) live spielt, singt Sommer sie heute tiefer als früher.

Sichtlich genervt

Auf Pop & Tod I+II hat Stella Sommer nun sowohl ihre strenge Aussprache als auch ihre Tenorstimme perfektioniert und klingt an manchen Stellen fast so herrlich apathisch wie Hildegard Knef. Zusammen mit Hanitra Wagner und Sonja Deffner bildet Die Heiterkeit so etwas wie einen Pop-Kirchenchor, der gelegentlich perkussiv von Philipp Wulf untermalt wird, dem Schlagzeuger der Band Messer. Wie jetzt – Philipp? Für das Musikmagazin Spex haben Die Heiterkeit damit ihr Alleinstellungsmerkmal verspielt. Sie seien nun „keine reine Frauenband mehr“. Das klingt, als hätten sie sich kastriert – wie wenn Daft Punk ihre Helme oder die Mehrheit der deutschen Rapper ihren Sexismus abgelegt hätten. In Interviews antworten die Musikerinnen, auf die angebliche Besonderheit ihres Frauseins angesprochen, sichtlich genervt, man würde die Mehrzahl männlich besetzter Kapellen ja auch nicht als „Jungsband“ bezeichnen. Obwohl es Bands mit Frauen in allen zentralen Positionen tatsächlich zu wenige gibt: Kann man, wenn mal eine vorbeikommt, nicht einfach über die Musik sprechen?

Die ist nämlich bei Die Heiterkeit Alleinstellungsmerkmal genug, wenngleich nicht alles überzeugt. So erfrischend die musikalisch ungewöhnliche Inszenierung von Pop & Tod ist, so leicht kippt sie manchmal ins Eintönige. Textlich findet sich viel Spannendes, aber eine Zeile wie „Haben die Kids es nicht einfach geliebt?“ ist nicht reichhaltig genug, um daraus einen ganzen Song zu bauen. Möglich, dass das alles unter der Überschrift Pop & Tod als Metaebene gedacht ist, die ironisch den Hörer, die Musikerinnen und die Kulturindustrie auf die Schippe nehmen soll. Womöglich ist das aber auch ein bisschen dünn.

Das stört aber kaum, denn die Perlen überwiegen – keine Hits, sondern Kunst. Im Zwiespalt ist so ein Kunststück oder auch besagtes The End, das schon zur Halbzeit steht. Vielleicht ist das auch eine These des Albums; für jeden neuen Anfang muss etwas sterben, um zu sehen, dass „es in Ordnung sein“ wird, wie es dort heißt. In diesem Sinne: Tod den Jungsbands, es lebe der Pop!

Info

Pop & Tod I+II Die Heiterkeit Buback 2016

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