Sie kamen aus allen Ecken von New York City, die Altersspanne war mit 19 bis 80 groß: 22 Künstler haben der New Yorker Maler Michael Grimaldi und der britische Turner-Preisträger Jeremy Deller eingeladen, um ihnen Zeichenunterricht für Aktporträts zu geben. Keiner von ihnen wusste, wer das Modell sein sollte. Zur Tür herein kam eine Legende, leibhaftig, 69 Jahre alt, nackt: Iggy Pop. Vier Stunden lang hatten die Teilnehmer die Gelegenheit, einen Körper zu zeichnen, der so viel mitgemacht hat wie wenig andere. Pop stand, saß und lag – am Boden oder an der Stange, mit unbewegtem Gesichtsausdruck. Ist das anstrengend? Unangenehm? Wer Iggy Pops Bühnenshows kennt, weiß: Nacktheit ist in der Regel Teil der Performance, Stillhalten eher nicht.
Dafür hat er einen Trick, wie Kurator Jeremy Deller dem Magazin Gothamist erzählte: Als Pop eine Pose 25 Minuten halten musste, soll er im Kopf die A-Seite eines seiner Alben durchgegangen sein, von der er wusste, dass sie etwa so lange läuft. Zwei Sekunden vor der Stoppuhr meldete sich der nackte Iggy. Nun hängen im Brooklyn Museum 22 mal mehr, mal weniger schmeichelhafte Nacktskizzen des Rockstars in einem kleinen Raum, ein wenig taktlos platziert zwischen Porträtmalerei aus der Kolonialzeit und Skulpturen der indigenen Bevölkerung.
Eine Message für sich
Wo vorher interessierte Gäste andächtig die Pinselstriche klassischer Maler studierten, bröckelt die Andacht im Raum mit den Iggy-Porträts. Die wenigen Älteren, die sich hierher verirrt haben, betrachten den Körper des Musikers mit ernstem Interesse, die Jüngeren feixen und fotografieren. Viele schleichen mit einem Fragezeichen im Gesicht durch Dellers Ausstellung. Am Ausgang steht auf einem Schild, dass die Iggy Pop Life Class Teil einer Serie des Museums über den Feminismus sei. Man nimmt es so aufmerksam wie ratlos zur Kenntnis. Wer nicht zum ersten Mal in einer Kunstausstellung ist, kennt die Regel: Fragen sind eine Todsünde, desto mehr, je hipper der Anlass. Wer fragt, hat keine Ahnung. Die wenigen Unwissenden, die mutig genug sind, Mitarbeiter des Museums auf das Konzept anzusprechen, ernten ein ehrliches Schulterzucken.
Um den Kontext zu weiten, hat Jeremy Deller seine Iggys mit wenigen weiteren Stücken aus unterschiedlichen Epochen garniert. Alle bilden nackte Männerkörper ab. Der Kurator schreibt dazu: „Das Spannungsverhältnis zwischen dem Heiligen und dem Profanen hat Künstler und Erzähler über tausende Jahre hinweg fasziniert, inklusive den Schöpfern von Rockmusik.“ Das Heilige und das Profane, beides lässt sich problemlos in dem majestätischen Zerfallsprodukt entdecken, das Iggy Pops Körper ist. Nur zwischen welchen Falten versteckt sich der Kampf für die Frauenrechte?
Einige Räume weiter werden große bunte Gemälde der New Yorker Künstlerin Marylin Minter ausgestellt: aufwendig in Szene gesetzte Gesichter, Münder, Zungen und Genitalien – auch sie sind Teil der Feminismus-Reihe A Year of Yes. Hier sprechen die Bilder für sich. Dennoch wird darunter auf eine App verwiesen, mit der die Besucher einen Experten im Live-Chat fragen können, was ein bunter Penis mit Feminismus zu tun hat. Vielleicht fehlte der Hinweis bei Iggy mit Absicht, in der Hoffnung, dass die Experten auf den fragwürdigen Teil der Reihe nicht angesprochen werden. Ein anonymer Chat mit einem Fremden, der sich wahrscheinlich irgendwo in einem Büroraum des Museums versteckt, ist schließlich attraktiver, als sich öffentlich die Blöße geben zu müssen.
Roko, zuständig für „Publikumsengagement“, antwortet auf die Frage nach dem Feminismus etwas ertappt: „Ich weiß, dass Iggy wie eine komische Entscheidung wirkt.“ Weiter meint er, Iggys „älterer, nicht unbedingt schöner Körper“ trete in einen „Dialog mit der Kunstgeschichte“, da es üblicherweise Frauen seien, die als Aktmodell posierten. Eine Antwort, so diplomatisch und gleichzeitig schwammig – Thomas de Maizière hätte es nicht besser formulieren können.
Deller selbst schreibt auf seiner Homepage: „Für mich ergibt es komplett Sinn, Iggy Pop zum Thema zu machen. Sein Körper ist für ein Verständnis von Rockmusik und dessen Platz in der amerikanischen Kultur zentral. Er hat viel erlebt und sollte dokumentiert werden.“ Kein Wort zu der sonderbaren Platzierung in einer Serie, die beiden Unrecht tut: dem Feminismus und dem Modell.
Offenbar war „nur“ Iggy dem Museum etwas zu wenig. Eine Fehleinschätzung. Eine monolithische Ikone der Rockmusik aus allen Blickwinkeln, herausfordernd ästhetisch konserviert, braucht keinen hinzuerfundenen Kontext. Folgerichtig ist Pops eigene Einschätzung: „Es ging um eine Dokumentation dessen, was von mir übrig ist.“ Iggys Körper ist eine Message für sich, mit jeder Falte seines Hinterns.
Info
Iggy Pop Life Class by Jeremy Deller Brooklyn Museum New York, bis 26. März 2017
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