Zu gut fürs Radio

Pop Isolation Berlin trauen sich einen echten Drahtseilakt: Gute Popmusik mit deutschen Texten. Bitte nicht abstürzen!

Eigentlich ist es paradox, wenn sich junge Menschen in der europäischen Place-to-be-Metropole mit über drei Millionen Einwohnern einsam fühlen. Vielleicht ist es aber gerade die Überzahl an Menschen, die plötzlich ganz schön einengt. So sehr, dass vier junge Männer Anfang 20 ihre Band Isolation Berlin und ihr neues Album etwas geschwollenen Und aus den Wolken tropft die Zeit nennen. Sänger Tobias Bamborschke gibt sich darauf taumelig zwischen Schwermut und Wut, zwischen Heulen und Ausrasten über das soziale Absaufen und Herzschmerz in der Großstadttristesse.

Das gelingt ihm hervorragend, seine ungeschliffene Stimme kratzt und säuselt, mit seiner Phrasierung erinnert er an Rio Reiser. Trotzdem klingt seine Lyrik nicht so unagenehm prätentios-intellektuell, wie das oft bei den Genre-Genossen Tocotronic der Fall ist. Sie bleibt klar und deutlich: „Es ist so schwer aufzustehen, wenn man einfach nicht mehr weiß wofür. Es ist so schwer aus dem Haus zu gehen, wenn man weiß, kein Weg führt mehr zurück zu dir.“ (Schlachtensee)

Flirt mit dem Kitsch

Bamborschke ist einer dieser Sänger, denen man am liebsten noch ein paar gebrochene Herzen und Lebenskrisen mehr an den Hals wünschen würde, wenn daraus so viel Poesie entspringt. Aber Und aus den Wolken tropft die Zeit kugelt sich nicht nur in Joy-Division-esker Deprimiertheit sondern kennt auch die Lösung: abhauen – so wie im chansonartigen Fahr weg, dass charmant an die Libertines oder Radiohead erinnert.

Mit der ein oder anderen Leichtigkeit dieser Art schrammt Isolation Berlin gefährlich nah an der Tauglichkeit fürs Bierzelt vorbei. Das ist aber weniger die Schuld der Band, sondern eher ein deutsches Problem. Gnadenlos sind die Volksfeste in ihrem besoffenen Schunkelrausch, wenn sie todtraurige Zeilen mitgrölen, als würden sie sie selbst nicht verstehen – das ist spätestens seit NDW-Hits wie Major Tom oder Joachim Witts Goldenem Reiter bekannt.

Gleichzeitig mit dem neuen Album erschien auch eine Songsammlung alter Demos der Band. Dort sind es Zeilen wie „Nimm den Arm von diesem Kerl, den du überhaupt nicht liebst“, die manchmal so unangenehm mit dem Kitsch flirten (Lisa). Auf dem neuen Album gibt es diesen Pathos auch, aber er klingt zum Glück nicht mehr so sehr nach Teenager-Tagebuch: „Der Garten deiner Seele ist verwildert und überwuchert von Unkraut und Getier. Es wartet nur darauf, mich zu zerfleischen wenn ich mich noch einmal darin verlier.“ Das ist weder zuviel noch zu wenig gewollt. Lyrik für den Hipster und seine Mutter.

Musikjournalisten sind schnell dabei, „das nächste große Ding“ auszurufen, wenn sie mal wieder etwas gehört haben, was sich auch nur ein kleines bisschen vom Einheitsbrei abhebt. In der Regel sind diese „großen Dinger“ auch tatsächlich gut – der Erfolg und die Resonanz bleiben trotzdem aus. Im Radio dudelt das ewige Einerlei, die Musikpreisverleihungen sind der Erwartung entsprechend zum Heulen. Die Kategorie radiotauglich ist hierzulande allen Ernstes für Bands wie Revolverheld reserviert.

Isolation Berlin nun aber könnte gelingen, was zuletzt auch Wanda gelungen ist: Authentischer, deutschsprachiger Poprock, radiotauglich aber nicht eklig-glatt. Ihre Releaseparty zum Album feierten die Jungs in einer Halle auf einem Neuköllner Friedhof. Dorthin hatten sie auch ihre Eltern eingeladen, was sie nicht davon abhielt, auf der Bühne zu saufen, zu rauchen und darüber zu singen, wie deprimierend fünfmaliges Masturbieren am Tag ist. Vielleicht ist es dieses Image, das noch dafür sorgen könnte, dass der Mainstream Abstand hält. Ansonsten wird den Musiksnobs bald nichts anderes übrig bleiben, als ihre Überlegenheit mit einem „Ich kannte die schon, bevor sie cool waren“ auszudrücken.

Und aus den Wolken tropft die Zeit Isolation Berlin (Staatsakt)

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