„Wenn Shakespeare der größte Dichter und Minetti der größte Schauspieler ist, dann ist Unseld der größte Verleger.“ Mit diesen Worte, katapultierte Thomas Bernhard seinen Verleger Siegfried Unseld zu dessen 60. in den Olymp des Literaturbetriebs.
In diesen Tagen hätte der 2002 verstorbene Verleger seinen 90. Geburtstag gefeiert. Für den Suhrkamp-Verlag ein willkommener Anlass, seinem Olympier ein Buch zu widmen: Siegfried Unseld. Sein Leben in Bildern und Texten, herausgegeben vom Cheflektor Raimund Fellinger und Matthias Reiner, Leiter der Bildredaktion und der Werbeabteilung. Der Band ist schon rein äußerlich ein Denkmal. Er wiegt über anderthalb Kilo, hat fast A4-Format, ist in dunkelblaues Leinen gebunden und von einem glänzend weißen Umschlag mit einem Porträt des Patriarchen umfasst.
Diese Denkmalpflege ist weder verwerflich noch verwunderlich. Unseld, geboren 1924 in Ulm, war schließlich der Verleger von Brecht, Handke, Hesse, Frisch, Beckett, Joyce, Adorno, Bloch und vielen anderen – und das, obwohl er mit seiner körperlichen Erscheinung eher in eine Preisboxerbude als in einen schöngeistigen Verlag zu passen schien. Seine Vitalität ist sagenhaft, genauso sein Gespür für Literatur. Er war ein „sanfter Herrscher“ (Amos Oz) in einem Verlagsreich, mit dem er „mentalitätsbildende Kraft“ (Jürgen Habermas) hatte.
Sein eigener Biograf
Woher aber stammen die Entwürfe für das Ehrenmal? Als der Journalist Peter Michalzik vor Jahren an einer Biografie über den Suhrkamp-König arbeitete, merkte er bald, dass Unseld sein eigener Biograf sein wollte. Neben Aufsätzen, Artikeln und Interviews hinterließ er ordnerweise Dokumente, darunter eine sogenannte Chronik, die, gleichsam Skelett einer Autobiografie, zwanzig Leitz-Ordner füllt. Unseld wollte eine bestimmte Sicht auf sein Leben festhalten: seine. Der Denkmal-Band stimmt in diesen Heldengesang ein, indem er Unselds Überlieferungen viel Platz einräumt: Immer wieder wird aus der Chronik zitiert, aus seinen Briefen, seinen Aufsätzen und Reden. Doch kommen auch Weggefährten des Verlegers zu Wort, wichtige Titel aus dem Programm werden vorgestellt, ebenso die bedeutendsten Autoren des Verlags, ja selbst die Zeitgeschichte wird mit großformatigen Bildern aufgerufen, alles ergänzt durch einen knappen Kommentar der Herausgeber. So bastelt der Bildband an einer Art sozialbiografischem Mosaik.
Natürlich gibt es in diesem Mosaik viele schöne Steinchen: Ein Schulzeugnis aus dem Frühjahr 1937 mit einem „sehr gut“ in Leibesübungen und einem „genügend“ in Deutsch. Ein Bild des Jungschar-Fähnleinführers Unseld, unterlegt mit der Erinnerung eines anderen Fähnleinführers, dass „Sigo“ schon damals Führungseigenschaften zeigte, „die er auch mitzuteilen verstand“. Ein Porträt des 19-jährigen Marinefunkers Unseld, der sich während des Zweiten Weltkriegs gleich zweimal durch stundenlanges Schwimmen im offenen Meer rettete. Das Bewerbungsschreiben an Peter Suhrkamp von 1951, das, so Unseld, vor allem deshalb „geschieht“, „weil die besondere Weise meiner Berufsentwicklung gewissermaßen aus sich heraus nach Ihrem Verlag zielt“. Selbstverständlich auch den Artikel George Steiners aus dem Times Literary Supplement vom 1973, aus dem die viel zitierte Phrase von der „Suhrkamp-Kultur“ stammt. Ein lakonischer Kommentar der Herausgeber unter dem Bild einer „Postkonferenz“ im Verlag: „Es war den Anwesenden klar, dass die letztgültigen Entscheidungen nur einer traf.“
Siegfried Unseld. Sein Leben in Bildern und Texten Raimund Fellinger, Matthias Reiner (Hg.) Suhrkamp, 335 S., 58 €
Der Band erzählt vor allem zwischen den Zeilen und Bildern unzählige Geschichten. Aber er hält sein Versprechen nur bedingt. Er enthält nämlich nicht wirklich Unselds Leben in Bildern und Texten. Denn erstens verschwindet mit dem 1952 einsetzenden Kapitel „Lehrjahre eines Verlegers“ die Privatperson Unseld fast völlig. Und zweitens ergibt das Mosaik des Öfteren kein Ganzes. Der Büchermacher Unseld steht dann neben seiner Verlagsgeschichte, seinen Autoren, seiner Sozialgeschichte. Als würden für den Band Listen abgearbeitet. Es heißt, dass der großartige Ostberliner Schriftsteller Johannes Bobrowski unter keinen Umständen Suhrkamp-Autor werden wollte, weil er Unselds Schmetterlingssammler-Mentalität bei den Autorenjagd nicht mochte. Dieses Bild lässt sich aufnehmen: Der Denkmalband ist eine Art postumer Schaukasten.
Tiefer bohren
Das ist zwar legitim, doch auch schade und bezeichnend. Schade, weil an vielen Stellen nur ein kleiner Schritt gefehlt hätte, um der Person Unseld nahezukommen. Beispielhaft sei hier das Verhältnis des Verlegers zu Walter Boehlich genannt. Boehlich, ein brillanter Intellektueller, dem es großen Spaß gemacht haben soll, seinen Chef mit dessen Bildungslücken zu demütigen, war in den Sechzigern Cheflektor des Verlags. 1968 führte er einen Lektorenaufstand an, an dessen Ende nicht die Mitbestimmung stand, sondern die Gründung des Verlags der Autoren durch eine Gruppe unzufriedener Suhrkamp-Mitarbeiter. Der Bildband erschöpft sich in Andeutungen zur Beziehung Unseld-Boehlich, die in einem Zitat des Lektors und Schriftstellers Urs Widmer enden: „Siegfried Unseld war so etwas wie das Gegenteil von Walter Boehlich.“ Eine bessere Vorlage für eine Charakterbeschreibung gibt es nicht. Doch bohrt der Band nicht tiefer.
Bezeichnend ist die Schaukastendarstellung, weil der Suhrkamp-Verlag heute nicht wenig von seinem symbolischen Kapital lebt, das er erwirtschaftet hat. Natürlich gibt es auch im aktuellen Programm reihenweise gute Autoren. Doch eine „mentalitätsbildende Kraft“ geht vom Verlag nicht mehr aus. Wie auch? Wenn Kultur heute eher von Facebook, Google und Amazon geprägt wird als von Buchverlagen. Genau das ist der Grund, warum Suhrkamp das alte, große Label sorgsam pflegt. Dass viele Seiten im vorliegenden Band für Gedenkfeiern und Beerdigungen reserviert sind, ist so symbolisch wie symptomatisch.
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