TV-Kritik: Roche & Böhmermann

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Der schmissige, selbstreferentielle Galgenhumor, mit dem die experimentelle Schose anmoderiert wurde, durchzog sie wie ein roter Faden: Verkabelte die launigen Tischmikrofone, die statt den modernen Knöpfen am Revers verwendet wurden, fädelte die kleinen Zettel mit Regieanweisungen auf, die den Moderatoren von Zeit zu Zeit gereicht und nicht geflüstert wurden und hielt den Gesprächskreis, der optisch mehr an eine Pokerrunde oder Probeaufnahmen für den noch zu erfindenden Presseclub erinnerte, zusammen.

In vielem versuchte man sich vom Überangebot konventioneller Talkshows zu unterscheiden, vor allem aber im Style. Es gab Whiskey mit oder ohne Eis, es durfte geraucht werden und wer fluchen wollte, konnte sich mit Hilfe eines praktischen Klingelknopfes in der Tischmitte selbst ausbeepen. Getrunken wurde jedoch kaum, geraucht wurde gar nicht, zensiert vor allem zu Demonstrationszwecken.

Die Moderatoren gaben sich Mühe, den besonderen Style auch in die Gespräche zu retten. Einigermaßen offen wurde die Wirksamkeit des Krautes diskutiert, das vor der Sendung geraucht wurde und einigermaßen offen auch gingen die Moderatoren mit ihren Unsicherheiten um. So wollte Roche vom Berghain-Türsteheher und Fotokünstler Sven Marquardt beispielsweise wissen, wie man denn mit einem Fotografen über seine Bilder spricht, was leider daran scheiterte, dass Marquardt offenbar gerade keine Lust zum Reden hatte. Böhmermann fragte die High-Noon-Talkerin Britt Hagedorn, wie um alles in der Welt man bitte 19 Prozent Quote holt, was diese mit albernem Gestammel und Schulterzucken quittierte. So ist das mit nicht vorbereiteten Interviews – sie münden nicht immer in sinnvollen ganzen Sätzen, transportieren manchmal aber trotzdem einiges.

Das war alles sehr ambitioniert, erfrischend und vor allem kurzweilig. Wie eine zügige Karussellfahrt um den heißen Brei – dessen Existenz man sich zuweilen nicht mehr sicher sein konnte.

Jan Böhmermann gelang es allerdings zweimal an dem zu Kratzen, was das Format leisten kann und was es auszeichnet. Einmal, als er Sido sehr ernsthaft dafür kritisierte, dass dieser keine Ahnung hat, ob er Ökostrom bezieht oder nicht. Sido machte keinen Hehl daraus, wie uncool er dieses Thema findet, worüber sich Böhmermann köstlich aber ehrlich echauffierte. So sehr, dass sich Sido nach Sekunden perplexer Sprachlosigkeit ungläubig rückversichern musste, ob Böhmermann diesen Angriff gerade ernst meinte. Ein zweites Mal läuft Böhmermann zu Höchstform auf, als er Britt Hagedorn in eine Diskussion um die brutale Bloßstellung und arrogante Verhöhnung ihrer Talkshowgäste verwickelt und zwar so eng, dass diese nur noch mit zeitgewinnenden Fragen, aber nicht mehr mit Argumenten kontern konnte, was sie sichtlich anstrengte. (Kein Wunder bei dem fiesen Kneipenlicht.)

In beiden Fällen wurde die Sendung sichtbar zurückgespult, weil Böhmermanns unbeherrschte Unnachgiebigkeit in eine rhetorische Sackgasse geführt hatte. Ein weiteres hübsches Gimmick der Sendung, aus der etwas werden könnte, wenn man einen Weg in tiefere Gespräche findet. Von Heidi Klum’s Laufsteg-Rakete Jorge Gonzales hat man nach dem – für alle Gäste großartigen und erhellenden – Einspielfilm beispielsweise nur noch erfahren, dass er Nuklearökologe ist, der kein Deutsch in der Schule hatte und professionelle Distanz zu Heidi hält. Soso. Da wäre mit weniger Gästen garantiert noch mehr drin gewesen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

kopfkompass

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