Was mich meine Hündin lehrt

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In diesen Augenblicken werden meiner Hündin Eierstöcke und Gebärmutter entfernt. Beide Organe sind entzündet und bereiten ihr Schmerzen. Das ist meine Schuld. Mir ist übel, mir ist kalt und ich fürchte mich.

Milda ist seit fünf Jahren bei mir und genauso lange habe ich mich um die Kastration gedrückt. Eine Operation erfordert immer die Verletzung des Körpers. Sie erfordert immer Narkose, Wunde und Schmerz. Möglicherweise verursacht sie ein Trauma und beschädigt das Vertrauen. Mir war das zu teuer.

Es hat mich nie gestört, dass Milda zweimal im Jahr läufig wurde und ich ihr dann permanent hinterherwischen musste. Sie ist mir auch nie ausgebüxt. Sie war immer gehorsam. Und die Idee, Eierstock- oder Gebärmutterkrebs zu vermeiden, indem man beides vorsichtshalber entfernt, erschien mir immer – ja, es ist das richtige Wort – pervers. Als würde ich mich prophylaktisch von meiner Prostata trennen.

Wie nun von der Ahnung zur Gewissheit wird, ist es ebenso pervers, eine Hündin nicht kastrieren zu lassen, ihr aber trotzdem die Fortpflanzung zu verbieten. Indem ich sie eben nicht laufen lasse, wenn sie läufig ist, handele ich gegen ihre Natur. Die vielen unbefruchteten Zyklen haben nun zum Verkleben der Gebärmutter und zur Entzündung der Eierstöcke geführt.

Um dem Wesen meiner Hündin gerecht zu werden, hätte ich ihr erlauben müssen, Junge zu haben. Zweimal im Jahr. Das allerdings passt nicht zu meinem Wesen, genauer: zu meinen Lebensumständen. Ich habe einen Job, ich lebe in zwei Städten, habe aber in beiden nur eine kleine Wohnung, die ich nicht mit neun oder zehn Welpen teilen möchte. Ich kann keine zehn Welpen im Freundes- und Bekanntenkreis unterbringen. Ich will sie aber ebenso wenig ins Tierheim geben. Das einzige Argument, mit dem ich die Haltung eines Hundes überhaupt vor mir rechtfertigen kann, ist ja gerade, dass er es bei mir besser hat als in dem Tierheim, aus dem ich ihn geholt habe.

Das alles im Blick, bleibt mir nur eine Schlussfolgerung: Hunde sollten nicht bei Menschen leben. Generell sollten Tiere nicht bei Menschen leben. Ich glaube nicht, dass es möglich ist, Haustiere artgerecht zu halten. Und gerade wenn man Tiere liebt, muss man doch ein Interesse daran haben, das sie ihrem Wesen entsprechend leben können. Und zwar in Freiheit.

Wahr ist aber auch, dass wir unseren Bezug zu Tieren verlieren, wenn wir sie nur noch in Tierdokumentationen erleben. (In Zoos oder auf Bauernhöfen haben Tierliebhaber der oben beschriebenen Logik folgend ja wohl nichts verloren.) Und wahr ist ebenso, dass ich von meiner Hündin Dinge gelernt habe, die mein Leben sehr wesentlich verändert haben. Verbessert nämlich.

Es klingt albern, romantisch und ein bisschen zu einfach, aber es stimmt: Mein Hund hat mich gelehrt, wie wenig nötig ist zum Glücklichsein. Natürlich: Die Anforderungen eines Hundes sind geringer als die eines Menschen. Aber auch den kann ein Spaziergang mit offenen Augen, offener Nase und offenem Herzen glücklich machen. Insbesondere dann, wenn ein zufriedener Hund mit wedelndem Schwanz vor ihm herläuft. Oft begreife ich unterwegs, wie künstlich und zivilisiert meine Probleme sind. Und dass im Grunde alles in Ordnung ist.

Weil meine Hündin eine Struktur braucht, habe ich seit ihrem Einzug auch eine. Sie muss morgens zeitig raus, also muss ich es auch. Jeden Nachmittag bin ich wenigstens für eine Stunde in der Natur unterwegs, meistens länger. Abends gibt es einen dritten Spaziergang, egal bei welchem Wetter. Seitdem erlebe ich die Jahreszeiten sehr genau, das Wachsen und das Schrumpfen der Natur. Ich bin klarer im Kopf, weil ich genügend Zeit zum Sortieren habe. Außerdem passt mein Biorhythmus besser zu den Uhrzeiten.

Wenn ich meiner Hündin in die Augen blicke, sehe ich kein Kuscheltier sondern ein Gegenüber. Vieles was ich tue (auf den vorderen Plätzen: Bloggen) versteht sie nicht. Vieles andere aber sehr genau. Anhand kleinster Gesten schlussfolgert sie, was ich als nächstes tun werde. Wenn wir gemeinsam unterwegs sind, brauche ich kaum Worte. Meine Hündin spielt und jagt, sucht Nähe und Freiraum, träumt und wacht. Sie beschützt mich furchtlos, was mir – des Nachts in Berliner U-Bahnen unterwegs – schon einige Male sehr recht war. Und sie sucht Schutz in Situationen, die ihr fremd sind. Wir sind ein Team, obwohl sie ein Hund ist. Es hat deshalb nicht lange gedauert, bevor mir in Mildas Gegenwart die Begründungen dafür ausgegangen sind, Tiere schlechter zu behandeln als Menschen. Und wenn ich eine Seele hinter den Augen meiner Hündin entdecke, warum sollte ich dann hinter denen einer Legehenne oder denen einer Milchkuh keine finden können? Meine Hündin hat mich gelehrt, dass Wert keine Kategorie in Bezug auf Leben sein darf. Seitdem kann ich keiner Fliege mehr etwas zu leide tun. Auch Mücken nicht. Nur Zecken.

Inzwischen ist Milda aus der Narkose erwacht und schielt mich benommen an. Ihr Fell ist blutverkrustet. Sie stinkt nach Desinfektion. Ich habe die Operation beauftragt und ich bin verantwortlich dafür, dass sie nötig wurde. Ich liebe meinen Hund, aber meinem Verhalten ist das nicht zu entnehmen. Wenn die Betäubung nachlässt, wird Milda Schmerzen haben. Das ist meine Schuld. Was sie mich lehrte zu behalten und zu verbreiten ist das einzige, das ich tun kann, um mein Gewissen einigermaßen zu beruhigen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

kopfkompass

Wannabe alternative mainstream critic. Artist. Photographer. Videographer. Queer. Pre-Buddhist. Post-Genderist. Banker. Nerd. Dog-Daddy. Green. Vegan.

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